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Vorwürfe gegen UN-FlüchtlingshilfswerkDie UNRWA überflüssig machen

Tanja Tricarico
Kommentar von Tanja Tricarico

Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge ist auf kurze Zeit nicht zu ersetzen. Mit einer politischen Lösung wäre das Ende der UNRWA machbar.

Ausgabe von Hilfsgütern durch die UNRWA in Chan Yunis im südlichen Gazastreifen im November 2023 Foto: Ibraheem Abu Mustafa/reuters

P ünktlich zum Ende der Woche schickt das UN-Hilfswerk für palästinensische Geflüchtete (UNRWA) einen Spendenaufruf – wie immer seit Beginn des jüngsten Kriegs im Gazastreifen. Dieser Tage hat der Aufruf und der dramatische Hinweis auf die katastrophale humanitäre Lage von rund zwei Millionen Menschen in dem Küstengebiet jedoch einen schalen Beigeschmack. UNRWA-Mitarbeiter sollen in den brutalen Überfall der Hamas verwickelt gewesen sein und die Terrormiliz unterstützt haben.

Die israelische Regierung hat Beweismaterial ihrer Geheimdienste an US-Medien durchgestochen. Es geht um die unmittelbare Beteiligung an dem Massaker vom 7. Oktober und um rund 10 Prozent aller UNRWA-Angestellten, die Verbindungen zur Hamas haben sollen. Bekannt ist, dass neben den Terroristen auch Zivilisten am 7. Oktober gemordet, geplündert, israelische Bür­ge­r:in­nen verschleppt haben. Nicht belegt ist hingegen eine direkte Beteiligung von UNRWA-Mitarbeitern.

Die Dokumente, die den israelischen Geheimdiensten vorliegen, sind nicht veröffentlicht und einige Aussagen widersprüchlich, wie ein aktueller Bericht von Sky News zeigt, der nun nicht mehr von zwölf mutmaßlich Beteiligten spricht, sondern nur noch von sechs Personen. Tatsächlich kommen die Anschuldigungen nicht überraschend, gibt es doch seit Jahren Diskussionen über Lehrbücher, die antisemitische Hassbilder in UNRWA-Schulen verbreiten.

Gemessen an den rund 13.000 Mitarbeitern der Organisation ist die Anzahl der Menschen, die die Hamas unterstützen, aber offenbar doch recht gering. Der Einsatz von Hilfsorganisa­tio­nen in Krisengebieten ist bedingungslos zu akzeptieren. Das gebietet die Menschlichkeit. Und zugleich birgt die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern immer auch ein Restrisiko. So auch im Ga­za­strei­fen, in dem das UNRWA einer der größten Arbeitgeber ist. Wohin fließen Gelder? Wer unterstützt welche Milizen?

Über Jahrzehnte gewachsene Strukturen

Natürlich muss es Kontrollmechanismen geben, um einen Missbrauch der Hilfsgelder auszuschließen. Sollten die UNRWA-Geberländer ihre Zahlungen nicht umgehend wieder aufnehmen, droht ein Massensterben. Das betrifft auch die Bundesregierung, die zu Recht auf eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe drängt. UNRWA-Chef Phi­lippe Lazzarini leitete Untersuchungen ein. Was einfach klingt, ist derzeit schlichtweg nicht machbar.

Eine sofortige Übergabe an andere Organisationen ist allein aufgrund der über Jahrzehnte gewachsenen Verteilungsstrukturen in Gaza nicht möglich. Sie zu ersetzen, bräuchte Zeit. Zeit, die die palästinensische Zivilbevölkerung nicht hat. Die größte Herausforderung aber ist, den UNRWA-Auftrag zu reformieren. Zentral ist das verankerte Rückkehrrecht aller palästinensischen Geflüchteten. Wohin? Dafür gibt es derzeit keinen validen Plan, der politisch gedeckt wäre.

Seit 1949 – mit der Gründung des UNRWA – hängen palästinensische Geflüchtete am Tropf internationaler Organisationen. Nicht nur im Gazastreifen und der Westbank, sondern auch in Syrien, im Libanon und andernorts. Eine Integration in die jeweiligen Sozialsysteme der Staaten war dort nicht gewollt. Eine Aufnahme der palästinensischen Flüchtlinge für immer war nicht geplant, nicht von den meisten Gaststaaten und noch weniger von der PLO.

Unersetzlicher Rettungsanker

Das Ende des UNRWA ist da, wenn es zu einer wie auch immer gearteten Zweistaatenlösung kommt, also zur Gründung eines palästinensischen Staats, in dem die Geflüchteten und ihre Nachfahren leben könnten, wenn sie sich dazu entscheiden. Aus israelischer Sicht ist dieser Plan vom Tisch, doch gerade in diesen Wochen drängen vor allem die USA und auch Deutschland auf die Zweistaatenlösung.

Den Druck auf Jerusalem aufrechtzuerhalten und eine diplomatische Lösung voranzutreiben, ist das Gebot der Stunde. Solange das nicht passiert, gilt, was das Hilfswerk in seinem Aufruf schreibt: Die Menschen in Gaza sind abhängig vom UNRWA, ihrem unersetzlichen Rettungsanker.

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Tanja Tricarico
wochentaz
Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Leitet derzeit das Politik-Team der wochentaz. Privat im Einsatz für www.geschichte-hat-zukunft.org
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6 Kommentare

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  • Endlich mal jemand, der sich wenigstens gegen die Hetze gegen UNRWA stellt.

  • Endlich mal ein Artikel der unaufgeregt die Situation schildert, sowie sie sich seit Jahren in der, zugegeben eher sparsamen , Berichterstattung dargestellthat.

  • Am Anfang steht die Akzeptanz, dass es Israel weiter geben wird und das von Palästinensern, allen arabischen Ländern und dem Iran auch nicht mehr in Frage gestellt wird. Auf dieser Basis könnte sich vieel gute nachbarschaftliche Beziehungen entwickeln und manche heute unüberbrückbar erscheinende Gegensätze gelöst werden.

  • Ein wenig Hintergrund, der in der laufenden Berichterstattung nicht häufig genug mitgeteilt wird.

    Die bei den UN zuständige Stelle ist dre "United Nations High Commissioner for Refugees". Ausnahme sind die Palästinaflüchtlinge.

    Grund für diese Ausnahme ist, dass nach herkömmlicher Ansicht der Flüchtlingsstatus kein Dauerzustand bleiben soll. Ein Flüchtling, der in einer überschaubaren Zeit nicht in sein Heimatland zurückkehren kann, soll im Aufnahmeland oder in einem Drittland eine neue Heimat finden.

    Das war für die Palästinaflüchtlinge nicht gewollt. Aus Gründen (mutmaßlich Antisemitismus) sollte die Wunde offen bleiben und so wurden die Flüchtlinge der UNRWA unterstellt, die Städte und Schulen baut für die Flüchtlinge und deren Nachkommen, die den Flüchtlingsstatus erben.

    Stellen wir uns mal vor, es hätte nach dem Zweiten Weltkrieg eine vergleichbare Einrichtung für die Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten gegeben. In Grenznähe gäbe es räudig gebaute Städte für die Flüchtlinge und deren Nachkommen, vielleicht Neu-Königsberg, und würde dort im Ostpreußischen Dialekt geleht, dass den Großeltern durch die Vertreibung grobes Unrecht geschah. Die Westeuropäische Bevölkerung hätte ihr Mitleid und ihre antikommunistischen Affekte miteinander verwoben.

    Eigentlich war die Sache nicht überraschend. Wenn ein paar Prozent der Pälästinenser bei der Hamas sind, dann sind ein paar Prozent (plus X) der UNRWA-Ortskräfte auch bei der Hamas. Schließlich dürfte diese ein guter Arbeitgeber sein, und Hamas-Kontakte sind sicherlich hilfreich, einen guten Job zu bekommen.

    Trotzdem ist die UNRWA jetzt in den Fokus der Berichterstattung gerückt, vielleicht kann man das als Anlass nehmen, anstelle dieser etwas besseres zu schaffen.

  • Diesem Aufruf kann ich mich nicht anschließen.



    Vielmehr sollten wir uns klarmachen - da greife ich auf Angaben von Florian Markl zurück - wer und was die, von Deutschland an zweiter Stelle finanzierte UNWRA eigentlich ist. Diese Organisation verwendet *sechs* Prozent ihres Budgets für Sozial- und Hilfsleistungen. In Zahlen: 6%! 58% der Mittel werden für 700 Schulen aufgewendet, in den die palästinensischen Kinder "für das Leben" lernen und geprägt werden. Da wiederum müssen wir uns klarmachen, was das für Schulen sind und wer dort die Kinder erzieht. Dazu: www.i24news.tv/en/...massacre-terrorism



    Das ist die Realität. Kinder, die die Zweistaatenlösung verwirklichen und das Prinzip der friedlichen Koexistenz umsetzen sollen, werden von Lehrern unterrichtet und geprägt, die das Köpfen und zu Tode Martern der zukünftigen guten Nachbarn *preisen* und *bejubeln*.



    Das fortzuführen wäre mMn eine Katastrophe! Klar gesagt hat das die SZ: www.deutschlandfun...-1d2d8327-100.html



    Die allererste Massnahme muss darum sein, nicht die humanitäre Hilfe zu beenden, da stimme ich Frau Tricarico zu, aber das Erziehungswesen nicht bei der UNWRA zu belassen.

  • "Eine sofortige Übergabe an andere Organisationen ist allein aufgrund der über Jahrzehnte gewachsenen Verteilungsstrukturen in Gaza nicht möglich."

    Da bin ich anderer Meinung. Es ist bitter, aber auf Grund des Krieges befinden sich die meisten Bürger Gaza's in einer relativ eng begrenzten Region und sind somit leichter für Hilfen zu erreichen, als in Nicht-Kriegszeiten, wenn sie sich über das gesamte Land verteilen.



    Ebenso, traurig, tragisch, werden wohl leider einige der seit Jahrzehnten für/mit UNRWA arbeitenden Bürger verwundet oder schlimmstenfalls sogar gestorben sein oder können gegenwärtig nicht mitarbeiten, weil sie sich um ihre Kinder, Eltern etc. kümmern müssen.

    Da auch kein Schulunterricht etc. stattfindet und weitere Aufgaben der UNRWA den Umständen geschuldet entfallen, gehe ich davon aus, dass andere Hilfsorganisationen die gegenwärtig notwendigen Tätigkeiten der UNRWA übernehmen können. Sie sind ja alle für solche Situationen ausgebildet.

    (Ich stimme der Argumentation im Artikel des Authoren Florian Markl voll umfänglich zu und bin der Ansicht, die UNRWA kann und muss zeitnah aufgelöst bzw. die Zusammenarbeit darf nicht über Dez. 2025 hinaus verlängert werden.)