Vorwürfe gegen Gesundheitsministerium: Mal alle tief Luft holen
Das Gesundheitsministerium soll überlegt haben, fehlerhafte Masken an Bedürftige zu verteilen. Selbst wenn es so war – ein Skandal wäre es nicht.
E inem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, rät ein deutsches Sprichwort. Der gute Ton verlange es, kleine Aufmerksamkeiten dankbar entgegenzunehmen, auch wenn sich absehbar keine Verwendung dafür findet. In der Regel lässt sich davon ausgehen, dass es zumindest gut gemeint war. Anders ist es, wenn sich in der Gabe eine von außen nicht erkennbare Boshaftigkeit verbirgt. Ein wurmstichiger Apfel etwa oder die Pudelmütze einer von Läusen befallenen Vorbesitzerin.
Skandalös und menschenverachtend, so schimpfen Kritiker, sei die Idee gewesen, minderwertige Masken unter Obdachlosen und Hartz-IV-Empfängerinnen zu verteilen. Kann man Gesundheitsminister Jens Spahn oder welcher seiner Mitarbeiter auch immer die Verantwortung für den Plan trägt, ernsthaft böse Absichten unterstellen? Welches Ziel genau hätte er damit verfolgen wollen? Gruselige Vorstellungen, wenn man den Gedanken mal bis zu Ende denkt.
Wahrscheinlich war es so, dass die Masken nun einmal da waren, zwar nicht perfekt, aber nach Ansicht des fraglichen Mitarbeiters im Bundesgesundheitsministerium doch zu schade zum Wegwerfen. Ziemlich nachhaltig eigentlich. Berechtigt ist daneben die Frage, warum die Sache jetzt erst an die Öffentlichkeit kommt, wo das von der SPD geführte Arbeitsministerium offenbar schon vor Monaten die Verteilung stoppte.
Noch bevor überhaupt klar ist, was der Gesundheitsminister wusste, wer die Entscheidung traf und wie minderwertig die Masken sind, überschlägt sich die Opposition. Und wie viele Menschen haben keine oder zu wenige kostenfreie Masken bekommen, weil sich der Plan zerschlug? Jede Maske bietet noch immer mehr Schutz als gar keine. Wir erinnern uns an die Nähvorlagen für die Maske Marke Eigenbau.
Drei Monate vor der Bundestagswahl ist der Skandal ein gefundenes Fressen für alle gegnerischen Parteien. Über den „moralischen Verfall der Union“ sinniert SPD-Chefin Saskia Esken. Jetzt mal alle tief Luft holen und abwarten, wer denn nun eigentlich was genau plante. Für einen Rausschmiss bleibt noch immer Gelegenheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste