Vorwürfe gegen Bremer Polizei: „Der Fisch stinkt vom Kopf“
Bremer Polizist:innen werfen ihrer Behörde Rassismus vor. Doch Ermittlungen könnten schwierig werden: Die Angst vor den Kolleg:innen ist groß.
Einer von ihnen ist Jürgen G. Er will anonym bleiben und schätzt, dass 20 bis 30 Prozent seiner Kolleg:innen rassistische Einstellungen haben und Racial Profling betreiben, also Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe kontrollieren. Solche Kontrollen sind verboten. In Bremen können kontrollierte Personen sich aber eine Quittung ausstellen lassen, auf der angegeben wird, durch was sie den Verdacht auf sich gezogen haben.
Jürgen G. sagt, dass einzelne Kolleg:innen auch noch weiter gehen. „Die gehen dann los und sagen: ‚Wir checken heute mal ein paar N****r ab.‘ Wenn die bei einem Einsatz bei einer deutschen Familie sind, dann läuft alles normal. Wenn sie aber bei einer Familie sind, die farbig ist oder einen Migrationshintergrund hat, dann verhalten die sich anders. Dann wird eine Widerstandshandlung provoziert. Dann wird dem Familienvater zum Beispiel ins Ohr geflüstert: ‚Ich ficke deine Frau.‘ Wenn der dann aggressiv wird, wird entsprechend hart eingegriffen.“
Es sind Aussagen, die sich nicht überprüfen lassen. Doch bundesweit werden immer wieder ähnliche Vorwürfe laut. Wie viele Polizist:innen rassistische Einstellungen haben und welche Folgen das im Dienst hat, dazu gibt es in Deutschland kaum wissenschaftliche Forschung. Eine bundesweite „Rassismus-Studie“ bei der Polizei gibt es nicht.
Forscher: Verhaltsweisen werden „kulturalisiert“
In Bremen zeigte man sich offen für eine solche Untersuchung. Doch der damalige Bundesinnenminister, Horst Seehofer (CSU), lehnte diese ab. „Es wird keine Studie geben, die sich mit Unterstellungen und Vorwürfen gegen die Polizei beschäftigt“, erklärte Seehofer. Denn die überwältigende Mehrheit seiner Beamt:innen stehe auf dem Boden des Grundgesetzes. Geht es also nur um Einzelfälle?
Jürgen G. ist anderer Meinung. Er sieht ein strukturelles Problem beim Thema Rassismus in seiner Behörde. Viele seiner Kolleg:innen würden einen „tollen Job“ machen. Er will sie nicht alle pauschal verurteilen. Er hat aber festgestellt, dass es eine problematische Polizeikultur gibt: „Man fängt an, Menschen in Schubladen zu stecken.“ Es gebe Polizist:innen, die Menschen je nach Herkunft bestimmte Eigenschaften zusprechen.
Dies hat auch der Wissenschaftler Frank Müller beobachtet. Er arbeitet als Ethnologe an der Universität Bremen. Zwischen 2014 und 2018 hat er im Rahmen eines Forschungsprojekts Bremer Polizist:innen immer wieder auf Streife begleitet. Offener Rassismus sei ihm dabei nicht begegnet, sagt er. Seine Forschung habe aber gezeigt, dass sich bei der Polizei Stereotype bilden würden. Verhaltensweisen von bestimmten Bevölkerungsgruppen würden „kulturalisiert“.
„Da sagt man dann, die Polen machen dies und das oder die Russen dieses und jenes“, erklärt Müller. „Und da wird dann eben ein Sprechen und ein Denkmuster bedient, die dann in bestimmten konkreten Situationen problematisch werden können.“
Beabsichtigte Eskalation
Müller sei auch aufgefallen, dass Bremer Polizist:innen bestimmte Einsätze eskalieren lassen. Die Polizei sei nicht immer neutral, sagt er. Solche Situationen träten in der Regel bei jungen Männern aus einem schwierigen sozialen Milieu auf, „die in unserer Stadt sehr häufig Migrationshintergrund, teilweise dann eben auch keinen deutschen Pass haben“.
Die Beamt:innen hätten ein Gespür dafür, wie sie Situationen eskalieren lassen können, sagt Müller. „Sie sind durch ihre Berufserfahrung durchaus in der Lage, Situationen zu steuern. Und in der ein oder anderen Situation ist mir klar geworden: Sie steuern es jetzt gerade in eine Richtung, wo es zur Eskalation kommt.“ Laut Müller seien dies aber Provokationen von beiden Seiten. Er habe bei seinen Beobachtungen auch einen fehlenden Respekt gegenüber der Polizei wahrgenommen. „Aber umgekehrt gibt es eben auch Situationen, in denen das zurückgespielt wird“, so Müller.
Polizist Jürgen G. kennt weitere rassistische Vorfälle bei der Polizei in Bremen. Einer davon sei in der Behörde ein offenes Geheimnis. Eine Gruppe von Polizeianwärter:innen habe vor einiger Zeit beim Laufen das Lied „10 kleine N****lein“ gesungen. Reaktionen von Seiten der Ausbilder:innen habe es daraufhin nicht gegeben.
Die Bremer Innenbehörde kennt den Vorfall, der sich bei der Bereitschaftspolizei abgespielt haben soll. Es gebe Ermittlungen – allerdings zunächst ohne ein Ergebnis. Denn trotz eines Aufrufs hätten sich keine Zeug:innen gemeldet.
Auch andere Polizist:innen erheben anonym Vorwürfe
Jürgen G. ist nicht der einzige Polizist im Bundesland Bremen, der seiner Behörde Rassismus vorwirft. Das belegen interne Unterlagen der Polizei schon im Jahr 2018. Darin schildert ein Polizeianwärter, der als Person mit Migrationshintergrund beschrieben wird, einen Vorfall während seiner Ausbildung in Bremen. Er sei bei einer Verkehrskontrolle dafür verantwortlich gewesen, die Fahrzeuge auszuwählen. Der Praxisanleiter sei vor Beginn der Kontrolle zu ihm gekommen und habe ihm die Anweisung gegeben: „Du hältst jetzt genau die an, die so aussehen wie du!“
Laut der Bremer Innenbehörde ist der beschuldigte Ausbilder bekannt. Die Staatsanwaltschaft habe jedoch festgestellt, dass seine Bemerkung keine Straftat sei. Auch disziplinarrechtlich sei das Verfahren eingestellt worden. Der Mann gelte in der Polizei Bremen als rehabilitiert.
Der Polizeianwärter soll laut den internen Unterlagen gesagt haben, dass Alltagsrassismus in der Polizei sein ständiger Begleiter sei. Insbesondere der Sprachgebrauch sei voller Rassismus und der Polizei unwürdig. Oft werde über „Kanaken, Ölaugen, Südländer und Arschhochbeter“ gesprochen und gewitzelt. Dies bestätigen zwei weitere Beamte, deren anonyme Beschwerden in den Polizei-Papieren dokumentiert sind. Sie berichten, dass nach Einsätzen Sprüche gefallen seien wie: „Die N***r gehen mir auf den Zeiger.“
Ein anderer Bremer Polizeianwärter erhebt in der polizeiinternen Kommunikation zudem den Vorwurf, dass in Bremen Racial Profiling betrieben werde. Er habe während seines Praktikums bei Kontrollen oft erlebt, dass das Kriterium für eine Kontrolle nur das Aussehen der Person gewesen sei.
Die Bremer Polizei ermittelt selbst
Mit den Vorwürfen ihrer Mitarbeiter:innen konfrontiert, antwortet die Pressestelle der Bremer Polizei: „Die Polizei Bremen wendet sich gegen jede Form von Diskriminierung. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sensibilisiert und interagieren im Selbstverständnis einer bürgernahen Polizei unvoreingenommen mit den Bürgerinnen und Bürgern.“
Sollte es dennoch Verdachtsfälle von diskriminierendem Verhalten eingesetzter Polizist:innen geben, dann müssten Hinweisgeber:innen nicht anonym bleiben. Dafür gebe es mehrere Anlaufstellen. Solche Beschwerden und Anzeigen würden bei der Polizei objektiv geprüft und die notwendigen Schritte eingeleitet. In Bremen würden strafrechtliche Ermittlungen gegen Beamt:innen im Dienst unabhängig von der eigenen Behörde geführt. Denn für solche Verfahren ist die Dienststelle „Interne Ermittlungen“ zuständig. Diese ist nicht der Polizei, sondern dem Innensenator unterstellt.
Zudem würden auch disziplinarrechtliche Ermittlungen angewandt, wenn Fehlverhalten unterhalb der strafrechtlichen Grenze liege. Weiter will sich die Polizei Bremen nicht zu den konkreten Vorwürfen äußern und verweist auf die laufenden Ermittlungen.
Die Untersuchungen dürften schwierig werden. Alle Bremer Polizist:innen, die polizeiintern Kritik äußern, wollen gegenüber ihrem Arbeitgeber anonym bleiben. Auch Jürgen G. hat seine Erlebnisse und Vorwürfe nie gemeldet. Zu groß ist die Angst vor Konsequenzen – vonseiten seiner Arbeitskolleg:innen.
„Wenn das rauskommen würde, dann würde ich als Nestbeschmutzer gelten. Dann könnte ich mich bei keiner Dienstgruppe mehr sehen lassen“, sagt er. „Die Polizeiführung wird sicher sagen: Warum kommt der damit nicht zu uns? Aber auch dann würde ich im Kollegenkreis als linke Zecke, N****rfreund oder Ausländerversteher abgestempelt. Am Ende würde auch nix passieren.“
Es gebe viele Kolleginnen, die von Rassismus betroffen seien und dies nicht melden würden. Jürgen G. sagt: „Der Fisch stinkt vom Kopf. Wenn die das Problem nicht beim Namen nennen, dann wird sich da nie etwas ändern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin