Vortrag von Francesca Albanese in Berlin: Streng bewachte Rede
Trotz Absagen trat UN-Berichterstatterin Francesca Albanese zweimal in Berlin auf. Die Veranstaltungen wurden von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet.
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„Deutschland ist das einzige Land, in dem Francesca Albanese nicht an einer Universität sprechen kann“, sagt der Philosoph Robin Celikates, der sie an die Freie Universität (FU) eingeladen hatte. Doch die „Nicht-mehr-so-freie Universität“, wie Albanese sie nun nannte, sagte die Veranstaltung ab, die deshalb am Mittwoch ersatzweise im ehemaligen Umspannwerk in Kreuzberg stattfand und im Netz gestreamt wurde.
Polizeieinsatz wegen Übertragung an der FU Berlin
Die Studierendenvertretung der FU sorgte dafür, dass die Übertragung auch in einem Studi-Café und einem Hörsaal verfolgt werden konnte. Als die Uni-Leitung davon Wind bekam, stürmte die Polizei den Hörsaal. Nach Verhandlungen mit den Beamten durften die Studierenden die Übertragung aber bis zum Schluss verfolgen.
Auch die Diskussion im Umspannwerk wurde von der Polizei begleitet, fünf Beamte verfolgten die Debatte im Saal. Albanese und Eyal Weizman, der Gründer der Rechercheagentur Forensic Architecture, erklärten dort vor rund 200 Zuhörern, warum sie Israels Vorgehen im Gazastreifen als Völkermord einstufen. Beide sprachen über dessen Vorgeschichte und andere Völkermorde. „Genozid ist ein Prozess, kein Akt“, sagte Weizman.
Und sie sprachen über die Verantwortung Deutschlands, einen drohenden Völkermord zu verhindern – einen Auftrag, den der Internationale Gerichtshof bereits mit seiner Anordnung vorläufiger Maßnahmen im Januar 2024 erteilt habe, so Albanese.
„Mafia-Methoden der Einschüchterung“
Ein Ende der israelischen Besatzung und der „Apartheid“ wäre eine Befreiung – nicht nur für Palästinenser, sondern auch für Israelis, betonte Albanese. Denn die seit 57 Jahren andauernde, völkerrechtswidrige Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser habe zu einer Brutalisierung der israelischen Gesellschaft geführt. Nichts, was sie sage, sei gegen Israel gerichtet. „Niemand soll auf seine Rechte verzichten. Ich stelle nur Privilegien infrage, die Israelis auf Kosten der Palästinenser genießen.“
Sie sei es gewohnt, dass israelische Botschafter sie attackierten, äußerte sich Albanese auch zu der Kritik an ihr. „Schockiert“ zeigte sie sich aber darüber, dass Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) eine Absage ihres Vortrags gefordert hatte und dass die FU unter diesem Druck eingeknickt sei.
Die Uni hatte ihre Absage mit „der aktuellen Polarisierung und der nicht kalkulierbaren Sicherheitslage“ begründet. Albanese sprach von „Mafia-Methoden der Einschüchterung und Bedrohung“ und sagte, so etwas habe sie noch nie erlebt. Universitäten sollten Orte sein, an denen man sich auch darauf einigen könne, sich nicht einig zu sein, appellierte sie an die jungen Studierenden. „Was hier passiert, ist extrem.“
Veranstaltungsort beschmiert
Am Abend zuvor war Albanese auf einer siebenstündigen Konferenz in den Räumen der Zeitung Junge Welt zu Gast gewesen. Auch diese Veranstaltung war kurzfristig verlegt worden. Die ursprünglichen Vermieter, das Kühlhaus nahe dem Park am Gleisdreieck, hatten ihre Zusage am Dienstagmorgen zurückgezogen: Man sehe sich aufgrund der „angedrohten Eskalation“ nicht in der Lage, die Sicherheit aller Besucher zu gewährleisten, erklärten sie. Ihr Veranstaltungsort war zuvor mit Parolen beschmiert worden, die Albanese und das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen diffamierten.
Auch die Veranstaltung bei der Jungen Welt wurde von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet. Polizisten waren mit einem Übersetzer auch im Saal, um mögliche strafbare Aussagen zu unterbinden. Sie lauschten der Filmemacherin Pary el Qalqili, die Fälle von Polizeigewalt gegen propalästinensische Proteste auflistete. Und sie lauschten einem Streichkonzert des Geigers Michael Barenboim, der mit einem Quartett die Pausen füllte. Das hatte etwas von einem Theaterstück. Offen blieb nur, ob es sich um Brecht oder Beckett handelte.
Kritik von Parteichefinnen
Politiker von Linkspartei und BSW kritisierten den Umgang mit der UN-Sonderberichterstatterin scharf, darunter die Parteicheffinen. Die Co-Parteichefin der Linken, Ines Schwerdtner, nannte die Absagen von Veranstaltungen mit Albanese „zutiefst verstörend“. „Es muss möglich sein, offen über Menschenrechtsverletzungen im Gazastreifen zu sprechen – einschließlich des Vorwurfs eines Genozids, der gerade vom IGH geprüft wird“, schrieb sie am Mittwoch auf X.
Sahra Wagenknecht vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) sprach von einem „Angriff auf die Grundfreiheiten unseres Grundgesetzes“. Legitime Kritik an der in Teilen rechtsextremen Regierung Netanyahu dürfe nicht kriminalisiert werden. Vor der FU Berlin hatte schon die Ludwig-Maximilians-Universität in München einen Vortrag von Albanese abgesagt.
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