Vorstoß der Wehrbeauftragten Eva Högl: Zivilpflicht statt Wehrpflicht!
Eine Wiederauflage der Wehrpflicht würde das Rechts-Problem in der Bundeswehr nicht lösen. Sinnvoller wäre ein obligatorischer neuer Zivildienst.
M it diesem Slogan warb ein großer Arbeitgeber vor einigen Jahren: „Mach, was wirklich zählt.“ Was zählt? Alte und Kranke pflegen? Kinder erziehen? I wo. Die Bundeswehr wollte junge Leute für ihren freiwilligen Wehrdienst und zu Waldläufen, Kletterübungen und zum Robben durch den Staub animieren. Was wirklich zählt also.
Die Truppe hat seit der Aussetzung der Wehrpflicht vor neun Jahren ein Nachwuchsproblem. Der Nachschub von 130.000 Rekruten pro Jahr fiel damals aus, die knapp 7.000 Jugendlichen, die heute freiwillig Wehrdienst ableisten, können diesen Verlust nicht ausgleichen. Nun schlägt die SPD-Politikerin Eva Högl vor, die Wehrpflicht kurzerhand wieder einzusetzen.
Mit diesem Vorschlag kann sich die holprig ins Amt beförderte neue Wehrbeauftragte vielleicht eine Loyalitätsmedaille bei den immer noch skeptischen Soldat:innen verdienen. Dass es aber per Wehrpflicht gelingen soll, rechtsextreme Tendenzen bei Teilen der Bundeswehr zu stoppen, ist zweifelhaft. Auch zu Zeiten der Wehrpflicht gab es Berichte über fragwürdige Aufnahmerituale und nationalsozialistische Begrüßungen.
Die Akademie der Bundeswehr analysierte von 1997 bis 2000 fast tausend Verdachtsfälle auf fremdenfeindliche und rechtsextreme Delikte. Die Mehrzahl begangen von Wehrpflichtigen in den ersten Dienstmonaten. Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht bietet also keine Aussicht auf Besserung.
Unbeliebter Bundesfreiwilligendienst
Stattdessen lohnt es sich, über eine neue Art von Pflichtdienst nachzudenken: eine Zivilpflicht. Der Aussetzung der Wehrpflicht fiel nämlich auch der daran gekoppelte Zivildienst zum Opfer. Die gut 100.000 Zivis, die pro Jahr verweigerten, hatten überwiegend im sozialen Bereich gearbeitet. Den stattdessen eingeführten Bundesfreiwilligendienst nehmen dreimal weniger Jugendliche wahr – und jede Dritte bricht vorzeitig ab.
Die neue Zivilpflicht würde für alle gelten, ob männlich, weiblich oder divers. Die Konditionen sollten die gleichen sein wie beim freiwilligen Wehrdienst: 1.500 Euro Grundbetrag und freie Bahnfahrten zum Dienstort. Dafür würden die neuen Zivis helfen, Alte und Kranke zu pflegen oder Kinder zu betreuen oder also in gesellschaftlich wichtigen Bereichen arbeiten, wo es an Personal mangelt. Und wer den Zivildienst verweigert, muss zum Bund.
So hätte die Bundeswehr zwar nicht ihre Probleme mit Rechtsextremismus behoben. Diese ließen sich erst dann lösen, wenn klar wird, warum der „Bund“ eine bestimmte Klientel anzieht und was heutzutage eigentlich der Sinn der Bundeswehr ist – was wirklich zählt. Sinnlose Auslandseinsätze in Afghanistan oder Mali sind es nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos