Vor dem Schlachter gerettet: Goofy, ein Weihnachtsmärchen
Eine Schülergruppe aus Hamburg wollte einen Ochsen großziehen und schlachten. Dann wurde der Protest zu groß. Wie konnte es dazu kommen?
Goofy, der Zillertaler Ochse, ist jetzt fast weltweit bekannt. Alle reden über ihn, es ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Eine Schulklasse aus Hamburg sah den Ochsen während einer Klassenfahrt ins österreichische Zillertal, verliebte sich in ihn und nahm in schließlich mit nach Hamburg. Als Lehrobjekt, einerseits. Andererseits aber auch als Fleischlieferat. Denn nach der Unterrichtseinheit sollte Goofy geschlachtet werden.
Als das bekannt wurde, regte sich wüster Protest. Tierschützer, Veganer – das Walddörfer-Gymnasium wurde bestürmt und beinahe lahmgelegt vor Beschimpfungen und flehentlichen Bitten, dem Tier das Leben zu lassen. Wie überhaupt die Idee aufkam, den Ochsen mitzunehmen und was wirklich dahinter steckt, enthüllen wir nun hier. An den Weihnachtstagen kann das Dramolett auch im Familienkreis eingeübt und dargeboten werden.
Juni 2019, Zillertaler Alpen, Klassenfahrt der 8c des Walddörfer-Gymnasiums aus Hamburg. Im Landschulheim. E, L, C, P und M sitzen in ihrem Mehrbettzimmer, gerade sind sie von einer Wanderung zurückgekommen.
E: „Habt ihr gesehen? Aus dem süßen Kalb bei diesem Bauern könnte man gut Schnitzel und so machen.“
L: „Ja, geil, Kalbfleisch. Sehr zart, und die Kutteln verkaufen wir an Tim Mälzer, der macht was Leckeres draus …“
C: „… Hirn nimmt der auch.“
(Alle kichern)
P: „Aber wie kriegen wir das Kalb zu uns? Der Bauer will es doch bestimmt selbst haben.“
M: „Wir müssen eine Geschichte erfinden. Heute läuft alles über Narrative.“
Nach einem Jahr voller Abstand und Kontaktbeschränkungen widmen wir uns in unserer Weihnachtsausgabe dem Gefühl, ohne das 2020 wohl erst recht nicht auszuhalten gewesen wäre: der Liebe. Muss man sich wirklich selbst lieben, um geliebt werden zu können? Hilft der Kauf eines Flügels bei der Auseinandersetzung mit dem Kind, das man einmal war? Und was passiert eigentlich mit all den Lebkuchenherzen, die nicht auf Weihnachtsmärkten verkauft werden konnten? Ab Donnerstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
P: „Niemand darf wissen, dass wir es eigentlich nur schlachten wollen. Es muss eine Liebesgeschichte sein.“
E: „Kinder so verliebt in ein Kälbchen, dass sie es vom Zillertal bis nach Hamburg mitnehmen oder so.“
(In Gedanken fliegen Herzchen-Emojis umher)
Im Stall. Ein Esel steht da, im Futtertrog ein weißes Bündel. Jesus? Nein, Reste einer Kraftfuttertüte. In einem Verschlag das Kälbchen. Sein Name: Goofy.
Bauer: „Servus! Alles fit?“
P: „Leider schon bald Abreise.“
(E, C und M schmiegen sich ganz doll an Goofy, er schnauft.)
Bauer: „Jo, wos’n dös? Hobts ihr euch verliebt?“
E: „Dürfen wir ihn mit nach Hause nehmen?“
C: „Er wird es gut haben. Außerdem suchen wir noch einen Ochsen für unser traditionelles Krippenspiel zu Weihnachten. Goofy wäre perfekt.“
Bauer: „Meinetwegen könnts den hobn. I würd ihn eh verkaufn; weil der keine Milch gibt, konn i nix mit dem onfongn.“
(Leckerschmecker-Emojis fliegen umher, P postet einen Braten)
Im Landschulheim, der Lehrer wird eingeweiht.
Lehrer: „Super Idee, ich kenne ein tolles Rezept für Ossobuco.“
M: „Hä?“
L: „Knochen mit Loch. Kalbshaxe, Spezialität aus Mailand.“
Lehrer: „Es darf nur niemand wissen, was wir vorhaben. Die Veganisten machen uns sonst die Hölle heiß. Zumal die denken, wir sind eine Waldorfschule.“
Bei einem Bauerngröstel feilen sie an dem Plan.
Lehrer: „Die Lovestory ist gut, die vom Krippenspiel auch, aber es muss noch eine zweite Ebene rein. Was Pädagogisches.“
C: „Ich hab’s! Wir sagen, wir wollen die Absurdität unseres Umgangs mit Tieren erkunden. Wie wir erst verliebt waren in das süße Kälbchen und dann nur sein Fleisch gesehen haben.“
Lehrer: „Sehr gut! So können wir so tun, als würden wir fächerübergreifend am Beispiel von Goofy arbeiten. Ernährungslehre, Ethik, Biologie, Wirtschaft, Umwelt, da ist alles drin.“
M: „Und am Ende gibt’s lecker Schnitzel.“
Alle: „Mmmmh!“
Ja, so fing es an mit Goofy. Eine Petition und ein Shitstorm wütender Tierschützer haben dann verhindert, dass er geschlachtet wird. Er soll nun bis ans Lebensende als Zugochse in einem Museumsdorf ackern. Als Zugochse!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!