Vor Parlamentssitzung in Katalonien: Mit allen Konsequenzen
Große Anspannung vor der Rede des katalanischen Präsidenten Puigdemont vor dem Autonomieparlament: Erklärt er die Unabhängigkeit?
Mit Spannung wird – nicht nur in Madrid, sondern auch in Katalonien selbst – erwartetet, ob Puigdemont die Unabhängigkeit ausruft. „Wir werden anwenden, was das Gesetz vorsieht“, erklärte Puigdemont im Vorfeld der Parlamentssitzung, die ursprünglich für Montag vorgesehen war, aber auf Antrag der Sozialisten vom Verfassungsgericht suspendiert wurde.
Denn anders als jetzt war auf der Tagesordnung nicht von der „aktuellen politischen Lage“, sondern von der Bewertung des Ergebnisses der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der nord-ost-spanischen Region rund um Barcelona die Rede. 90,2 Prozent hatten am 1. Oktober für eine Republik Katalonien gestimmt.
An der Abstimmung beteiligten sich trotz des Verbots durch die spanische Justiz und unter erheblicher Polizeigewalt 43 Prozent der Stimmberechtigten. In den Gegenden, in denen die Polizeieinsätze ausblieben, fanden deutlich über 50 Prozent den Weg an die Urnen.
Unter den Unabhängigkeitsbefürwortern knirscht es
Das katalanische Gesetz zur Volksabstimmung, das vom Verfassungsgericht für unrechtmäßig erklärt wurde, sieht vor, dass Puigdemont binnen 48 Stunden nach dem endgültigen Ergebnis die Unabhängigkeit ausrufen muss. Das Endergebnis wurde bereits am Freitag verkündet. Alles deutet darauf hin, dass es unter den Unabhängigkeitsbefürwortern hinter den Kulissen knirscht.
Während die antikapitalistische Kandidatur der Volkseinheit (CUP), die die Minderheitsregierung von Puigdemont und dessen Wahlbündnis „Gemeinsam für das Ja“ (JxSí) unterstützt, eine sofortige Unabhängigkeit will, zeigte sich der katalanische Präsident in den vergangenen Tagen zögerlich. Seine Demokratisch-Europäisch-Katalanische Partei (PdeCat) stellt den konservativen Flügel im Regierungsbündnis „Gemeinsam für das Ja“. Der andere Partner, die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) um Vizepräsident Oriol Junqueras, neigt eher der CUP zu.
Immer wieder sprachen Puigdemont und einige seiner Minister von Dialog und internationaler Vermittlung. Denn der Druck auf Katalonien erhöht sich, seit immer mehr namhafte Unternehmen ihren Sitz in andere Regionen Spaniens verlegen. Der konservative spanische Ministerpäsident Mariano Rajoy lehnt jedweden Dialog ab.
Szenarien: „Symbolische“ und „ausgesetzte“ Unabhängigkeit
Mehrere hochrangige Mitglieder der PdeCat brachten in den vergangenen Tagen unterschiedliche Szenarien ins Spiel. So etwa eine Art „symbolischer“ Unabhängigkeitserklärung, die keine unmittelbare Folgen hätte, aber ein Fernziel darstellt, auf das Puigdemont und die Seinen dann hinarbeiten und hinverhandeln. Eine solche Lösung legte Marta Pascal – Chefkoordinatorin der JxSí – in einem Interview mit der britischen BBC nahe.
Eine andere Möglichkeit wäre ein Verfahren ähnlich wie einst in Lettland – so ein Europaabgeordneter der PdeCat: eine Unabhängigkeit, die dann erst einmal ausgesetzt wird, um internationale Unterstützer zu sammeln.
Bisher allerdings hat Puigdemont kein Glück mit internationalen Unterstützern. Frankreich stellte sich in den vergangenen Tagen ebenso wie Deutschland oder Brüssel hinter die Zentralregierung in Madrid. Kritik an dem dort regierenden Mariano Rajoy gab es – wenn überhaupt – nur bezüglich des unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes am 1. Oktober.
Wenn Puigdemont am Abend vor das katalanische Parlament tritt, werden ihn die Befürworter einer sofortigen Unabhängigkeit keinen Augenblick aus den Augen lassen. Die Organisation „Katalanische Nationalversammlung“ (ANC) die das Rückgrat der Unabhängigkeitsbewegung bildet, ruft die Menschen zu einer Versammlung vor der katalanischen Volksvertretung, um Druck aufzubauen. „Glaubwürdigkeit und Würde legen eine Unabhängigkeitserklärung nahe“, erklärte der ANC-Vorsitzende Jordi Sanchez. Die Polizei sperrte am Dienstag den den Park um das Tagungsgebäude.
Fast alle spanischen Parteien sind sich einig
Eines ist klar: Sollte Puigdemont die sofortige Unabhängigkeit ausrufen, wird die Zentralregierung in Madrid den Artikel 155 der spanischen Verfassung anwenden. Dieser sieht vor, dass die Autonomieregierung entmachtet und die Region direkt von Madrid aus regiert wird. Sollte das nicht reichen, würden weitere Schritte folgen, erklärte Ministerpräsident Rajoy. So mancher in Spanien wertet dies als Androhung des Ausnahmezustandes.
Rajoy genießt dabei die volle Unterstützung der sozialistischen PSOE und der rechtsliberalen Ciudadanos. Von den spanienweit agierenden Parteien fordert nur die linksalternative Podemos einen Dialog.
Besonders deutlich wurde am Montag der Vizepräsident und Sprecher von Rajoys konservativer Partido Popular (PP), Pablo Casado: „Wer die Unabhängigkeit erkläre, „endet womöglich so wie derjenige, der sie vor 83 Jahren erklärt hat“, drohte er Puigdemont vor der Presse. 1934 hatte der Regierungschef Kataloniens, Lluis Companys, einen unabhängigen Staat ausgerufen. Die gesamte katalanische Regierung wurde daraufhin verhaftet. Später floh Companys nach Frankreich. Die Gestapo lieferte ihn nach dem Einmarsch an Spanien aus. Companys wurde 1940 nach einem Schnellverfahren unter der Diktator von General Franco standrechtlich erschossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe