Volksentscheide in Berlin: Den Willen der Mehrheit kann man nicht ignorieren
Die schwarz-rote Koalition in Berlin handelt mit ihren Plänen für Vergesellschaftungen und das Tempelhofer Feld gegen den Willen der Berliner*innen.

W er die Spielregeln selbst mitbestimmen kann, weiß das System insgesamt mehr wertzuschätzen, lautet ein gängiges Argument für direkte Demokratie. Wenn es danach geht, dürften die Berliner*innen nur noch wenig Wertschätzung für die derzeitige politische Ordnung übrig haben. Denn die sieht direkte Demokratie zwar vor – allerdings nur auf dem Papier.
„Mit dem Volksentscheid besteht die Möglichkeit, neue Gesetze zu erlassen, bestehende Gesetze zu ändern oder ganz aufzuheben“, heißt es bei der Landeszentrale für politische Bildung. Und sie erwähnt dann auch gleich ein Beispiel: „Im Jahr 2014 verhinderte eine Volksabstimmung die vom Senat geplante Bebauung des Tempelhofer Feldes.“
Nun, das war einmal. Denn der schwarz-rote Senat interessiert sich weniger für den Willen des Volkes als für den der Immobilienlobby. Und die hat ein großes Interesse daran, das Tempelhofer Feld in bester Innenstadtlage mit hochpreisigen Wohnungen zu bebauen. Und überhaupt kein Interesse daran, dass der Volksentscheid zur Enteignung großer Immobilienunternehmen umgesetzt wird.
Also legen CDU und SPD die Axt an die direkte Demokratie: Der Volksentscheid zur Nichtbebauung des Tempelhofer Feldes wird ignoriert und der Ideenwettbewerb für eine Neugestaltung des Feldes einfach trotzdem durchgezogen. Die am Montag vorgestellten sechs Konzepte sollen als Grundlage für weitere Planungen dienen. Doch auch hier spricht sich, wie schon in den Dialogwerkstätten zur Zukunft des Feldes im vergangenen Jahr, eine Mehrheit explizit gegen eine Randbebauung aus.
Die Quittung gibt's bei der nächsten Wahl
Aber Mehrheiten interessieren CDU und SPD wenig, wenn es darum geht, ihren Freunden aus der Immobilienbranche lukrative Aufträge und stabile Renditen zu sichern. Obwohl sich vor vier Jahren mehr als eine Million vom Mietenwahnsinn geplagte Berliner*innen für die Vergesellschaftung von Deutsche Wohnen & Co entschieden haben, verhindert Schwarz-Rot das Vorhaben, wo es nur geht. Die „Eckpunkte“ für das Vergesellschaftungsrahmengesetz, die am Sonntag als „was ganz Großes, was Historisches“, für das „kommende Generationen dankbar sein werden“, angepriesen wurden, sind nur ein weiterer Bluff in diesem Spiel auf Zeit.
Doch egal wie despotisch CDU und SPD derzeit auch gegen den Willen der Berliner*innen agieren, über kurz oder lang werden sie von Mehrheiten eingeholt. 64,3 Prozent haben für das Tempelhofer Feld und 59,1 Prozent für Enteignungen votiert. Mehrheiten, von denen CDU und SPD nur träumen können. Laut aktuellen Umfragen kommen sie derzeit zusammen gerade einmal auf 39 Prozent. In einem Jahr wird wieder gewählt. Und die Berliner*innen werden sich nicht länger ignorieren lassen.
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