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Volksentscheid in BerlinAlle stark unter Strom

SPD und CDU können sich auf eine Haltung zum Energietisch einigen. Es ist der bislang größte Streit in der Koalition – in Gefahr ist sie nicht.

Die Fraktionschefs der Koalition: Florian Graf (CDU) und Raed Saleh (SPD) Bild: dpa

Berlin bekommt am 3. November seinen nächsten Volksentscheid. Denn die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus hat sich am Dienstag festgelegt und das Volksbegehren des Energietisches abgelehnt. Fraktionschef Florian Graf begründete das mit der Befürchtung, ein Stadtwerk nach dem Konzept des Energietisches unterläge keiner ausreichenden Kontrolle durch Senat und Abgeordnetenhaus und stelle außerdem ein finanzielles Risiko für den Landeshaushalt dar. Die SPD-Fraktion hingegen stellte sich weitgehend hinter das Volksbegehren, sieht dessen Forderungen aber bereits von ihrer eigenen Politik umgesetzt. Es ist der bislang größte Zwist in der seit Ende 2011 regierenden rot-schwarzen Koalition. Dass diese daran zerbricht, gilt jedoch als ausgeschlossen.

Der Volksentscheid – der vierte nach den Themen Flughafen Tempelhof, Pro Reli und Wasserverträge – hätte sich vermeiden lassen, wenn das Landesparlament die Forderungen des Begehrens in ihrem "wesentlichen Bestand unverändert" übernommen hätte. Der letztmögliche Termin dafür wäre der kommende Donnerstag gewesen. Die SPD-Fraktion könnte das Volksbegehren im Parlament theoretisch zwar auch mit den Stimmen der drei Oppositionsparteien annehmen. Das aber würde das Ende der Koalition bedeuten, worauf derzeit nichts hinweist.

Bei dem Volksbegehren des Energietisches, einem Bündnis aus über 50 Organisationen, geht es im Kern um die Forderung, mit zwei neuen Landesunternehmen die Energiewende voranzubringen: einem Stadtwerk und einem Stromnetzbetreiber. Beide sollen nach ökologischen, sozialen und demokratischen Grundsätzen arbeiten.

Drei Fragen, drei Antworten zum Volksentscheid am 3. November

Was steht zur Abstimmung?

Ein Gesetzentwurf des Bündnisses Berliner Energietisch. In ihm stehen Geschäftsgrundsätze für zwei neue Landesunternehmen: Ein Stadtwerk soll etwa keinem Kunden den Strom abstellen, wenn er seine Rechnung nicht bezahlen kann, und energetische Gebäudesanierungen fördern. Ein Stromnetzbetreiber soll nachhaltig arbeiten, zum Beispiel also Gewinne in Energiewendeprojekte vor Ort reinvestieren. Senatsmitglieder, Arbeitnehmer und gewählte Bürger sollen die Aufsichtsgremien beider Unternehmen bilden.

Wie ist das mit dem Stromnetz?

Ein Volksentscheid kann nicht erzwingen, dass das Land sein Stromnetz von Vattenfall übernimmt. Eine Kommune muss es ausschreiben und an den besten Bieter vergeben. Dieses Verfahren läuft in Berlin gerade - unter anderen bieten Vattenfall und das Land selbst mit. Ein erfolgreicher Volksentscheid würde einerseits den Druck auf das Land erhöhen, sich dabei anzustrengen und das nötige Geld bereitzustellen. Andererseits soll der landeseigene Bewerber im Erfolgsfall nach den vorgegebenen Geschäftsgrundsätzen arbeiten.

Worüber diskutieren SPD und CDU gerade?

Anfang Oktober erhalten alle Wahlberechtigten per Post eine Wahlbenachrichtigung und eine Informationsbroschüre für den Volksentscheid. In dieser legen sowohl der Energietisch als auch der Senat als auch das Abgeordnetenhaus dar, wie sie zum Entscheid stehen. Kommende Woche müssen alle drei ihre Texte bei der Landesabstimmungsleiterin einreichen, damit diese die Broschüre rechtzeitig drucken lassen und verschicken kann. Das gestaltet sich schwierig, weil SPD und CDU in Sachen Daseinsvorsorge und Energiepolitik unterschiedliche Positionen vertreten. Die SPD will Kommunalisierung und eine stärkere Rolle der öffentlichen Hand. Die CDU meint, das könne und solle sich Berlin nicht leisten, sondern eher auf die Privatwirtschaft und den Markt vertrauen. Genau das ist die eigentliche Frage des Volksentscheids: Sollen sich öffentliche Hand und Bürger um mehr Einfluss auf die Energieversorgung Berlins bemühen - oder nicht?

„Das ist eine Situation, die der Nervosität der CDU im Bundestagswahlkampf geschuldet ist“, kommentierte SPD-Fraktionschef Raed Saleh den Streit über das Volksbegehren. Beide Fraktionen stützen sich bei ihrer Haltung auf eine Vereinbarung der Koalition aus dem vergangenen Jahr, in der von nachhaltiger Energiepolitik die Rede ist: Diese sieht die Gründung eines Stadtwerks und die Bewerbung um das Stromnetz vor. Graf hält das Volksbegehren für wirkungslos, weil nicht eine Abstimmung, sondern eine unabhängige Vergabestelle darüber entscheidet, wer ab 2015 die Konzession für das Stromnetz bekommt.

Weil das Volksbegehren zudem direkt gewählte Bürger in den Aufsichtsgremien vorsieht, fehlt Graf die Kontrolle durch Parlament und Senat. In dieser Frage von Transparenz und Kontrolle sind sich die Koalitionäre einig. „Das ist ein zu großes Risiko“, sagte Saleh, „wir gehen keine Experimente ein.“

Gänzlich uneins sind beide Seiten hingegen bei der Frage der Wirtschaftlichkeit. Die CDU vermisst einen Businessplan, den jedes Unternehmen vorlegen muss, um Existenzgründungshilfen zu bekommen. Für Saleh ist der Vorwurf „an den Haaren herbeigezogen“. Er geht davon aus, dass beide Fraktionen sich bis Donnerstag noch auf eine gemeinsame Haltung einigen, die dann als Empfehlung des Parlaments mit den Wahlbenachrichtigungen für den 3.11. versandt würde. Graf sieht das ähnlich: „Am Ende werden wir uns schon irgendwie zusammenraufen.“

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1 Kommentar

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  • K
    Koche

    direkte Demokratie ist den Volksvertretern also zu gefährlich, ist ja interessant