Volksentscheid Enteignung in Berlin: Gespaltener Senat
Berlin stimmt über die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen ab. Der rot-rot-grüne Senat hat keine klare Haltung dazu.
Die Enteignungsforderung ist die Antwort der gut organisierten Mietenbewegung Berlins auf jahrelange Mietsteigerungen durch private Wohnungskonzerne wie die Deutsche Wohnen und Vonovia. Seit der Finanzkrise und Niedrigzinspolitik haben in vielen Ballungsräumen Konzerne Wohnraum als Investitions- und Spekulationsobjekt genutzt – mit entsprechenden sozialen Folgen.
Ein erfolgreiches Volksbegehren wäre eine Kehrtwende in der Wohnungspolitik und soll 226.000 Wohnungen renditeorientierter Konzerne in Kommunalbesitz überführen. So soll dauerhaft günstiger Wohnraum entstehen und eine sozial gemischte Innenstadt erhalten bleiben. Vorbild ist Österreichs Hauptstadt Wien, in der große Teile des Wohnraums in öffentlicher Hand und trotz Innenstadtlage durchaus erschwinglich sind.
Ob die Vergesellschaftung wohnraumpolitisch zielführend ist, darüber streitet die Stadtgesellschaft seit Kampagnenbeginn. Der rot-rot-grüne Senat des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) hat am Dienstag eine Stellungnahme zum Volksbegehren abgegeben, die neutral klingen soll und doch bei genauem Hinsehen etwas ablehnend ausfällt: Enteignungen wären teuer und Berlin unternehme schon viel gegen hohe Mieten, heißt es dort. Allerdings steht in dem Statement auch, dass der Wohnungsmarkt trotz aller Maßnahmen stark angespannt bleibt.
Lifehack Artikel 15 Grundgesetz
Das Für und Wider der Stellungnahme zeigt die Gespaltenheit der Landesregierung in der Enteignungsfrage: Die SPD, in Berlin traditionell nah an der Immobilienwirtschaft, lehnt Vergesellschaftung rigide ab. Die Linke befürwortet sie deutlich und diskutiert bereits Entwürfe für ein Vergesellschaftungsgesetz.
Die Grünen befürworten die Ziele nach einem Parteitagsbeschluss ebenfalls. Berlins demokratische Oppositionsparteien CDU und FDP lehnen das Volksbegehren mit ähnlichen Argumenten wie die Immo-Wirtschaft grundsätzlich ab. Die großen Gewerkschaften und Mietervereine hingegen unterstützen die Kampagne.
Weitgehend unstrittig ist in der Enteignungsfrage eigentlich nur eines: Das Ziel des Volksbegehrens – ein Gesetz zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne – ist juristisch zulässig, wie auch Berlins SPD-geführte Innenverwaltung nach langer Prüfzeit etwas zähneknirschend bestätigte.
Ein etwaiges Gesetz wäre gemäß juristischer Mehrheitsmeinung zulässig – im Gegensatz etwa zum gekippten Berliner Mietendeckel, der in Konkurrenz zur Bundesgesetzgebung stand. Der noch nie zur Anwendung gekommene Artikel 15 des Grundgesetzes ermöglicht dies gegen angemessene Entschädigung.
Was kostet der Enteignungs-Spaß?
Und hier fangen auch schon die Diskussionen an: Wie hoch müssten etwaige Entschädigungen ausfallen? Die Initiative will in einem Gesetz eine Entschädigungssumme deutlich unter Verkehrswert verankern und rechnet mit Kosten in Höhe von 8 Milliarden Euro (eine Milliarde mehr als der Flughafen BER). Man wolle die Konzerne nicht auch noch für Spekulation entlohnen, heißt es sinngemäß. Für die Kosten sollen Kredite oder Schuldverschreibungen über einen langen Zeitraum haushaltsneutral mit Einnahmen abbezahlt werden.
Der Senat geht in seinem Statement allerdings von Kosten zwischen 29 und 39 Milliarden Euro aus – gemäß der amtlichen Kostenschätzung, für die mit Marktpreisen gerechnet wurde. Das entspräche dem Jahreshaushalt Berlins und würde laut Senatsstatement den Haushalt stark belasten. Wie viel schließlich zu zahlen wäre, müsste ein etwaiges Gesetz ausformulieren. Letztlich würden wohl Gerichte über die Kosten entscheiden.
Umfragen legen nahe, dass der Ausgang des Volksentscheids offen ist. Im April befürworteten laut Infratest Dimap 47 Prozent der Berliner*innen Enteignungen, 44 Prozent waren dagegen. Die Zahl der Befürworter sei nach dem gekippten Mietendeckel deutlich gestiegen. Mittlerweile sind laut Umfrage selbst 33 Prozent der CDU-Wähler für Enteignungen.
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