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Berliner Volksbegehren zu EnteignungVerhältnisse zum Tanzen bringen

Gareth Joswig
Kommentar von Gareth Joswig

Wohnraum wird zunehmend zur Ware. Egal, wie der Volksentscheid ausgeht – er hat schon jetzt viele Berliner Mie­te­r*in­nen aus der Defensive geholt.

Machen Stimmung für die MieterInnen in Berlin: AktivistInnen von Deutsche Wohnen Enteignen Foto: Christian Mang

D ie Kampagne Deutsche Wohnen und Co enteignen hat die Verhältnisse schon jetzt zum Tanzen gebracht. Und zwar unabhängig davon, wie der Berliner Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne am 26. September ausfallen wird. Mit der Forderung der Berliner Mietenbewegung sind Mie­te­r*in­nen nach jahrelangen Abwehrkämpfen gegen Mietsteigerung und spekulative Aufwertung aus der Defensive gekommen.

Das Volksbegehren hat die rot-rot-grüne Landesregierung vor sich hergetrieben. Die Sozialdemokraten hätten das Thema Enteignungen gerne mit dem gescheiterten Mietendeckel abgeräumt und versuchen nun per Statement und astronomisch hohen Kostenschätzungen, Wäh­le­r*in­nen bei der Enteignungsfrage zu verunsichern.

Dabei sind alle Instrumente, um Preissteigerungen zu begrenzen, längst gescheitert, wie auch der Berliner Senat einräumt. Der Markt bleibt angespannt. Denn hier gilt wie überall in der Republik: Wohnraum in Händen von großen Privatkonzernen – unwirksame Mietpreisbremse hin, unzureichender Neubau her – bleibt Spekulationsobjekt für die maximale Rendite mit entsprechenden sozialen Auswirkungen.

Die Dividenden der Ak­tio­nä­r*in­nen sollen Mie­te­r*in­nen zahlen: Die Mieten und Immobilienpreise sind in den letzten zehn Jahren in vielen Großstädten regelrecht explodiert. Preistreiber sind dabei insbesondere große Privatkonzerne, die auf maximale Rendite aus sind. Wohnraum ist mehr und mehr Ware, die häufig auch noch über Briefkastenfirmen und verschleierte Firmennetzwerke durch riesige Steuerschlupflöcher hin und hergeschoben wird.

Beispiel gefällig? Deutschlands größter Wohnungskonzern Vonovia will derzeit Berlins Marktführer, die Deutsche Wohnen, übernehmen. Grunderwerbssteuer fällt bei dem Deal in Höhe von 18 Milliarden Euro dank Schlupflöchern nicht an. Ökonomisch ist der Wohnungsmarkt heute eine Umverteilungsmaschine von unten nach oben. Dieses System mal zu überdenken, kann nicht verkehrt sein.

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Gareth Joswig
Redakteur Inland
Arbeitet seit 2016 als Reporter und Redakteur bei der taz. Zunächst in den Lokalredaktionen von Bremen und Berlin, seit 2021 auch im Inland und Parlamentsbüro. Davor Geschichts- und Soziologiestudium. Themenschwerpunkte: extreme Rechte, AfD, soziale Bewegungen, Mietenpolitik, dies, das, verschiedene Dinge.
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17 Kommentare

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  • Warum fängt man nicht an, für Neuinvestitionen eine feste Quote von preisgebundenen Wohnungen vorzuschreiben? Ohne diese gibt es dann keine Genehmigung.

  • 14 % weniger neue Wohnungen wurden 2020 in Berlin als 2019 gebaut. www.tagesspiegel.d...jahr/27197100.html

    Insofern läuft es doch bestens. 🤣



    Was ich nicht verstehe: Warum weist der Berliner Senat immer noch neue Gewerbeflächen aus und keine neuen Wohngebiete für die Arbeitenden?



    Da war ja selbst der knallharte Kapitalismus zur Zeit der der Industriellen Revolution weiter als der RRG-Senat in Berlin. de.wikipedia.org/w...schnelles_Wachstum

  • Leider wird hier immer etwas wichtiges vergessen. Der Volksentscheid zur Entnteigung ist nicht rechtlich bindentd für den Senat. Der enhält nämlich kein Gesetzesvorschlag. Das wissen die Initatioren natürlich auch. Zustimmen will nur die Linke und eingeschränkt die Grünen. SPD, CDU, AfD, FDP sind dagegen, Also wird der Volksentscheid abgelehnt.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Dortmunder:

      Die Frage ist auch, will man eine Radikalisierung verhindern!



      Die Hausbesetzungen der 80er Jahre waren kein Spaß! Das war eine gerechte Sache.



      Der Kampf gegen die mächtigen Wohnungskonzerne ist auch ein ideologischer. Man wird sich nicht einfach mit einer ablehnenden Entscheidung des Senats zufriedengeben und das Maul halten.

  • Enteignen kostet Milliarden und schafft keine einzige neue Wohnung.

  • Als Mieter ohne Eigentum muss man leider flexibel sein. Aber zum Glück werden manche Viertel im Lauf der Zeit nicht nur hip und cool, sondern andere auch billiger.

    • @Wonneproppen:

      ONNEPROPPEN ANTWORTEN



      Dies ist leider ein verbreiteter Irrtum. Auch bei hohem Leerstand sinken die Mietpreise NICHT. Ich habe noch nie gehört, dass irgendeine Bestandsmiete gesunken wäre.



      Persönliches Beispiel: Dessau in Sachsen-Anhalt. Der Leerstand beträgt hier fast 10 %. Stadt und Wohnungsgesellschaften versuchen gegenzusteuern, indem Wohnungen abgerissen werden. Die Folge für mich: eine Mieterhöhung um 5 %.

  • 0G
    06792 (Profil gelöscht)

    Enteignungen für das Allgemeinwohl sind für Infrastruktur (z.B. Autobahnen) und Energie (z.B. Kohle) absolut üblich.

    Die Entschädigungen sind auch gut geklärt und liegen mindestens beim Marktwert, eher höher.

    Der Preis ist bei dieser Aktion die zentrale Frage. Wenn man es weit unter Marktwert enteignen kann, ist es gut für Berliner Mieter. Wenn man den Marktwert bezahlen muss, macht es eigentlich keinen Sinn.

    Kann jeder bald selber Entscheiden welche Variante realistischer ist.

    • @06792 (Profil gelöscht):

      In der Regel muss bei Enteignungen der aktuelle Verkehrswert bezahlt werden. Im Braunkohletagebau ist es so das Besitzer älterer Häuser,b.z.w. jeder Hausbesitzer ein neues Haus in gleicher Größe bekommt. Bei den meisten Enteignungen wird großzügig entschädigt damit es schnell geht.

      Der Berliner SPD/PDS Senat hat ja 60000 landeseigene Sozialwohnungen verkauft.Die Deutsche Wohnen hat die renoviert und saniert, da kann könnte man wohl kaum untr Verkehrswert enteignen.

      • 1G
        17900 (Profil gelöscht)
        @Dortmunder:

        "Der Berliner SPD/PDS Senat hat ja 60000 landeseigene Sozialwohnungen verkauft"

        Hier sehe ich eine massive Bringschuld!

    • @06792 (Profil gelöscht):

      "Die Entschädigungen sind auch gut geklärt und liegen mindestens beim Marktwert, eher höher."



      Da würde ich GG Art 14 aber anders lesen:



      "Sie [die Enteignung] darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen."



      Die Entschädigung muss also nicht mal zwingend monetär erfolgen, sondern kann zB auch eine Ersatzfläche für enteignetes Ackerland sein.



      Und eine Höhe die "mindestens beim Marktwert" liegen müsste ist auch nicht zutreffend, sie muss lediglich 'angemessen' sein. Hatte selbst so einen Fall im familiären Umfeld. Der übliche Ablauf im Kontext von Straßenbau ist zunächst ein Verhandlungsangebot für einen einvernehmlichen Verkauf, das liegt iA eher am unteren Ende der marktüblichen Preise. Führt das nicht zur Einigung kommt es zur Enteignung gegen eine Entschädigung die idR nochmal unterhalb der zunächst angebotenen Summe liegt, denn man will schließlich vermeiden einen Anreiz dafür zu setzen jede vom Staat benötigte Fläche enteignen zu müssen. (Nur für Großkonzerne etwa im Atom- und Kohlesektor gelten freilich andere Maßstäbe.)



      Wären Enteignungen "mindestens beim Marktwert" die gängige Praxis würde wohl jedes Straßenbauvorhaben von einer Spekulationsblase begleitet bei der Investor*innen die Grundstücke zunächst zu immer höheren Preisen aufkaufen, damit auch den Marktwert in die Höhe treiben und dann darauf setzen mit einer noch höheren Summe entschädigt zu werden.



      www.meidert-kolleg...e-Enteigung-ab.pdf

      • @Ingo Bernable:

        Ich würde mich schlecht fühlen, irgendwelche Eigentümer, und wenn es "nur" Firmen sind, um ihre Kohle zu bescheißen. Böse und böse gibt nicht gut.

        • 1G
          17900 (Profil gelöscht)
          @Wonneproppen:

          Aber wenn sie wie eine Weihnachtsganz ausgenommen werden, fühlen sie sich besser?

      • 0G
        06792 (Profil gelöscht)
        @Ingo Bernable:

        Wir treffen uns gerne beim "unteren Ende der marktüblichen Preise". Meine Vermutung ist das ein DAX Unternehmen etwas besser mit Anwälten und Gutachten dagegen halten kann im Vergleich zu einer Privatperson.

        Aber geschenkt. Wären dann im besten Fall ("unteres Ende Marktwert") halt immer noch 30 Milliarden und nicht 8.

      • @Ingo Bernable:

        Es gibt dazu doch längst Entscheidungen höchster Gerichte in Deutschland, denn es gab schon viele Enteignungen.



        Es ist der Verkehrswert der zu zahlen ist.

        Wieso sollte es in Berlin plötzlich anders sein. Woher die Hoffnung, daß Gerichte anders entscheiden ?

        • @Paul Rabe:

          "Wieso sollte es in Berlin plötzlich anders sein."



          Der entscheidende Punkt im GG ist der der gerechten Interessenabwägung. Wenn also die Interessen ein anders gewichtet sind als in bisherigen Fällen, etwa bei Enteignungen für den Straßenbau, kann auch das Ergebnis einer gerechten Interessenabwägung uU anders ausfallen und man kann durchaus die Position vertreten, dass der Bedarf der Allgemeinheit nach einem bezahlbaren Dach über dem Kopf schwerer wiegt als das monetäre Interesse einiger Investoren.



          Von ´53 bis `68 gab es übrigens ein Wohnraumbewirtschaftungsgesetzt das den Wohnungsmarkt komplett unter staatliche Zwangsbewirtschaftung stellte. Enteignungen brauchte es dazu nicht, dennoch lag die primäre Verfügungsgewalt über jeglichen Wohnraum nicht bei den Eigentümer*innen sondern beim Staat. Mieter*innen konnten Wohnungen zugewiesen werden und das begründete dann einen privatrechtlichen Mietvertrag zwischen Mieter*in und Eigentümer*in. Das derartiges im Rahmen des GG möglich ist dürfte für Viele heute unvorstellbar sein. Falls sich die Hürden für die Enteignung der wenigen größten Immobilienkonzerne als zu hoch erweisen sollten, gäbe es also immer noch die Option das erwiesenermaßen GG-konformen Wohnraumbewirtschaftungsgesetzt von ´53 wieder in Kraft zu setzen.

  • Sehr guter Artikel! Mehr davon!