Volksbegehren Grundeinkommen in Berlin: Da wäre mehr drin gewesen
Das jüngste Volksbegehren scheitert klar an mangelnder Unterstützung. Die Initiative hat die Herausforderung gründlich unterschätzt.
G enau 122.546 Unterschriften hat das Volksbegehren über die Erprobung eines bedingungslosen Grundeinkommens nach vier Monaten zusammengetragen und bis Montag, 23.59 Uhr, bei der Landeswahlleitung eingereicht. Das ist – man muss es leider so sagen – ein enttäuschendes Ergebnis. Und die Initiative Expedition Grundeinkommen, die mit einem Volksentscheid ihr Modellprojekt durchsetzen wollte, muss sich fragen, was da derart schief laufen konnte.
Schließlich gilt Berlin als Hochburg der sozialen Bewegungen. Das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. enteignen hat im vergangenen Sommer fast die dreifache Zahl an Unterstützer*innen gefunden; auch das Volksbegehren für ein unbebautes Tempelhofer Feld hatte 2014 entgegen aller Erwartungen die Hürde von rund 170.000 gültigen Unterschriften deutlich genommen. Doch direkte Demokratie ist eben – anders als vielfach vermutet – kein Selbstläufer.
Es gab viele Schwierigkeiten, mit denen die Grundeinkommen-Initiative zu kämpfen hatte und die ihr auch bewusst waren – oder zumindest im Laufe der vier Monate Sammelzeit wurden. Fehlende Präsenz auf den Straßen in den ersten Wochen, zahlreiche durch Corona bedingte Krankheitsausfälle bei den Aktivist*innen hat Initiatorin Laura Brämswig im Interview mit der taz genannt. Dazu kamen die Sommerferien, die die Berliner*innen und auch viele Unterstützer*innen nutzten, um nach zwei drögen Pandemiejahren endlich mal wieder richtig wegzufahren.
Man muss aber auch sagen: Die Initiative hatte die Herausforderung, 170.000 Unterschriften zu sammeln, gründlich unterschätzt und zu wenige Unterstützer*innen rekrutiert. Vielleicht war man einfach geblendet von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“, die in Begleitung ihrer in den Medien omnipräsenten Tanzgruppe einen regelrechten direktdemokratischen Durchmarsch hinlegten. Doch beide Volksbegehren unterscheiden sich deutlich.
Zum einen fiel die Sammelphase bei DW enteignen in den Vorwahlkampf; außerdem war die Mietenfrage neben Corona das bestimmende Thema in Berlin, die Frage nach einer möglichen Enteignung wurde fast täglich aufgeworfen. In der Folge unterstützte die Linke das Begehren inhaltlich und auch logistisch, die Grünen zumindest teilweise, und selbst in der SPD fand es zahlreiche Fans. Von einer solchen Aufmerksamkeit konnte die Grundeinkommen-Initiative nur träumen, obwohl ihre politisches Modell gerade in der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise Vorteile für viele Menschen mit geringerem Einkommen verspricht.
Dazu kommt: Sowohl DW enteignen wie auch der Initiative 100 Prozent Tempelhof standen für mehr als nur ihr konkretes Ziel: Beiden Initiativen war es gelungen, ihr Anliegen zu einem Symbol zu machen. DW enteignen versprach eben nicht nur die Vergesellschaftung von rund 240.000 Wohnungen großer Immobilienbesitzer*innen, sondern auch generell billigere Mieten in Berlin. Und die große Unterstützung für ein freies, weites, unbebautes Tempelhofer Feld kam auch daher, weil man dem damaligen rot-schwarzen Senat dessen Ignoranz gegenüber dem kulturellen Nutzen von Freiflächen klarmachen wollte.
Die Idee eines Feldversuchs für ein bedingungsloses Grundeinkommen blieb hingegen solitär. Sie konnte mitten in den Debatten um die zahlreichen aktuellen Krisen nicht durchdringen und auch nicht die ihr eigentlich innewohnende sozialpolitische Relevanz entfalten.
Viele sind überzeugt vom Grundeinkommen
Das heißt nicht, dass die Zeit für einen solchen Feldversuch nicht reif wäre: Wer die Sammler*innen der Initiative begleitete, konnte miterleben, dass ein überraschend großer Teil der angesprochenen Menschen die Idee eines Grundeinkommens verstanden und auch unterstützten. Angesichts von dessen geradezu revolutionären Folgen für unser ökonomisches System ist das erstaunlich.
Für die Aktivist*innen des Mitte Juli gestarteten Klima-Volksbegehrens muss das Scheitern der Grundeinkommen-Initiative eine Warnung sein. Denn trotz der Bedeutung und Bekanntheit der Klimaproblematik droht auch dieses Volksbegehren zu wenig Beachtung zu finden, weil es angesichts der anderen Probleme als weniger relevant angesehen wird.
Das ist es nicht. Natürlich hängen Fragen nach Energieversorgung unmittelbar mit dem Umgang mit der Klimakrise zusammen. Aber schon das Ziel des Begehrens, das Land per Gesetz zu verpflichten, bis 2030 klimaneutral zu werden, weist darauf hin, dass es sich um eine in die Zukunft gerichtete Angelegenheit handelt – ähnlich wie beim Grundeinkommen, das aktuell ja auch nicht zur Debatte stand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf