Villen-Besitzer:innen gegen Geflüchtete: Reiche mit besonderen Rechten
Hamburg wollte eine Unterkunft in einem Villenviertel errichten. Doch dank einer Klausel konnten reiche Anwohner:innen einfach dagegen stimmen.

Viel verändert hat sich hier in dem Nobelort, in dem einst Versandhaus-Gründer, Werft-Besitzer und Hamburger Bürgermeister wohnten, im Lauf der Jahrzehnte nichts.
Und wird sich auch in Zukunft nicht, auch wenn es in Hamburg gerade mal wieder eine ziemlich große Not an Unterkünften für Geflüchtete gibt: Die Bewohner:innen im Westen Hamburgs haben am Mittwoch, dank einer mehr als ein Jahrhundert alten Klausel in den Bauvorschriften, erfolgreich ihr Veto gegen den Bau einer Geflüchtetenunterkunft eingelegt.
Die wollte die Stadt dort gern an einer S-Bahn-Haltestelle errichten, doch ist sie gegen die in einem Verein organisierten Anwohner:innen machtlos. „Eine Entwicklung des Standorts wäre nur bei Zustimmung des Vereins möglich gewesen“, sagt Wolfgang Arnhold, Sprecher der zuständigen Sozialbehörde.
Hamburg braucht dringend Unterkünfte
Die Hamburger Sozialbehörde wollte an der zentral gelegenen S-Bahn-Station eine kleinere Geflüchtetenunterkunft errichten. Dafür sollte der schmale Parkplatz an der Haltestelle genutzt werden, wie zuerst das Hamburger Abendblatt berichtete. Nötig ist das, weil es in Hamburg nach wie vor nicht genügend Unterkünfte für Geflüchtete gibt.
Die Auslastungszahlen pendeln nahezu durchgehend bei knapp unter 100 Prozent; erst im Dezember eröffnete die Stadt wieder eine temporäre Notunterkunft in den Messehallen für mehrere Hundert Menschen.
„Es gilt weiterhin, dass Kapazitäten entwickelt werden müssen, um allen Menschen mit einem Unterbringungsbedarf einen Platz zuweisen zu können“, fasste die städtische Stabsstelle Flüchtlinge erst im Februar wieder in eine Analyse zusammen.
Die Bewohner:innen des Hochkamps wollen dabei jedoch nicht helfen. Ihre Zustimmung wäre aber nötig gewesen, denn für das Viertel gibt es eine Besonderheit in der Bauvorschrift: Laut den sogenannten Hochkamper Bedingungen dürfen „in der Villenkolonie Hochkamp nur Einfamilienhäuser im Villenstil erbaut werden, in welchen keinerlei gewerblicher Betrieb geführt werden darf“.
Und dass das seit mehr als einem Jahrhundert eingehalten wird, darüber wacht der Verein Hochkamp, der nur den Bewohner:innen des Viertels offensteht. Ohne die Zustimmung des Vereins geht nichts – auch nicht die Errichtung einer Geflüchtetenunterkunft auf dem städtischem Grund eines Parkplatzes.
Sozialbehörde bittet vergeblich
Am Mittwoch suchte noch Staatsrätin Petra Lozkat das Gespräch mit dem Verein, um in diesem Fall auf die Beschränkung zum Schutz der Villensiedlung zu verzichten. „Die Gesprächsatmosphäre war dabei ruhig und es fand eine sachliche Diskussion der Überlegungen mit den Mitgliedern des Vereins statt“, erklärte Behördensprecher Wolfgang Arnhold am Donnerstag.
Überzeugen lassen wollten sich die Vereinsmitglieder aber nicht. „Im Anschluss hieran kam es zur Abstimmung, bei der sich keine Mehrheit für die Schaffung eines Standortes finden konnte“, sagt Arnhold. Dagegen sei nichts zu machen, die Rechtslage nun mal eindeutig.
Vorstandsmitglieder des Vereins, der 1918 von den damaligen Bewohner:innen gegründet wurde, waren am Donnerstag für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Stadt in den reichen Elbvororten Probleme hat, Geflüchtete unterzubringen. Auf Widerstand – allerdings auch Unterstützung – traf die Sozialbehörde im vergangenen Jahr bei einem ganz ähnlichen Vorhaben: Auch an der S-Bahn-Station Groß Flottbek, nur eine Station vom Hochkamp entfernt, erarbeitete die Stadt Pläne für eine temporäre Geflüchtetenunterkunft für rund 140 Menschen.
Mit Unterstützung der örtlichen FDP versuchten einige Anwohner:innen mit allerlei Argumenten, das zu verhindern: Discounter seien ja kaum fußläufig erreichbar, gute Integration nicht möglich. Hier war dies allerdings nicht einhellige Meinung – und eine Klausel in der Bauordnung, wie im Hochkamp, gibt es in Groß Flottbek nicht. Die Unterkunft in Modulbauweise wird gerade gebaut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ahmed Mohamed Odowaa
Held von Aschaffenburg soll Deutschland verlassen
Zollstreit mit den USA
Die US-Tech-Konzerne haben sich verzockt
Putins hybrider Krieg
Verschwörung, haha, was haben wir gelacht
Streit um Atomkraft
Union will sechs AKWs reaktivieren
Rechte Politik in Mecklenburg-Vorpommern
Ich will mein Zuhause nicht wegen der AfD aufgeben
Streit um Omri Boehm in Buchenwald
Der Kritiker stört