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Prozess gegen Letzte GenerationWeinend vor Gericht

Das Amtsgericht Hamburg verurteilt ein Mitglied der Letzten Generation zu einer Geldstrafe. Die Fragen des Angeklagten lässt es unbeantwortet.

Das Transparent mag noch legal sein, nicht aber die Farbe, die die Aktivisten ans Hamburger Rathaus gesprüht haben Foto: Bodo Marks/dpa

Hamburg taz | Der Angeklagte ist diesmal früh dran, um kurz nach neun sitzt er auf der Bank vor Raum 176 des Amtsgerichts Hamburg, als von Richter und Staatsanwalt noch keine Spur zu sehen ist. Hendrik H. ist ein schmaler großer Mann in schwarzem Hoodie und schwarzen Barfußschuhen. Sein Gesicht ist schmal und streng, es erinnert an ein Mittelalter-Porträt und tatsächlich ist H. fremd in der Gegenwart. Zumindest in der Gegenwart, die, so sagt er, das Klima und die Lebensgrundlagen zerstört.

Der 26-jährige H. ist angeklagt, im März 2022 „gemeinschädliche Sachbeschädigung in Tateinheit mit Sachbeschädigung“ begangen zu haben, als er mit einem anderen Mitglied der Letzten Generation das Hamburger Rathaus mit orangener Farbe besprühte. Danach entrollten sie ein Transparent, auf dem stand: „Artikel 20a Grundgesetz = Leben schützen“. Es gab schon einen Prozesstermin Anfang Januar, zu dem H. nicht erschienen ist. „Es ist unglücklich gelaufen“, sagt er dazu, „ich habe mein Leben nicht so im Griff“. Aus seinem Griff hat es sich etwa zur Zeit der Sprühaktion gelöst und es scheint, dass das Gefühl des Scheiterns viel damit zu tun hat.

Juristisch gesehen wiederholt sich einiges, wenn man die Prozesse gegen die Mitglieder der Letzten Generation besucht. Deutlich trostloser ist ein anderes Déjà vu: ihre Verzweiflung. „Ich versuche mich zurückzuziehen“, sagt Hendrik H. auf dem Gerichtsflur. „Ich versuche so vielen Tieren wie möglich ein gutes Leben zu bescheren“. Die Tiere sind Legehennen, und später wird H. ausführlich erzählen, wie sie zu ständiger Eierproduktion gezwungen werden und dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten können, weil alle Kraft in die Eierproduktion geht.

Ein junger munterer Richter

Aber erst einmal beginnt der Prozess mit einem jungen munteren Richter, der freundlich ist zu H., der ohne anwaltlichen Beistand gekommen ist. „Ich will nicht abkürzen“, sagt der Richter, als H. erklärt, dass er unsicher sei, ob sein Protest etwas bewege, aber: „Ich muss etwas versuchen“.

Doch eigentlich möchte der Richter schon abkürzen, zumindest an den Stellen, an denen H. grundsätzlich und vielleicht auch wiederholend wird. Also macht er „einen Haken“ unter den Handlungsbedarf, den H. und die Letzte Generation gesehen haben und immer noch sehen, auch unter die Angst, die der Richter verstehen kann, schließlich habe er selbst einen kleinen Sohn.

Auch der Staatsanwalt, ebenfalls jung, ebenfalls freundlich-pragmatisch, spricht ausdrücklich wohlwollend über H.s Motivlage, „die auf das Gute gerichtet ist“. Nun geht es vor Gericht aber um die Frage, so sagt es der Richter, dass die Sprühaktion salopp gesprochen „over the top“ war und strafrechtlich relevant.

So weit, so vorhersehbar, zumindest außerhalb bayerischer Gerichtssäle. Die Schadenssumme liegt bei 17.278,66 Euro, weil die Stadt die Rathausfront reinigen lassen musste und, zu H.s Pech, mit Noteinsatz-Zuschlag, weil am nächsten Tag Prinz Charles kam, dem das Rathaus nicht orange präsentiert werden sollte.

Der Versuch, sich zu distanzieren

Finanziell betrachtet ist der Prozess heute am Amtsgericht deutlich weniger interessant für H. als der zivilrechtliche, in dem es um die Frage geht, inwiefern er für den Schaden aufkommt. Wie der Stand da sei, fragt der Richter. H. weiß es nicht so genau. „Ich versuche mich emotional zu distanzieren“, sagt er.

H. ist gelernter Fachinformatiker, aber seit drei Jahren arbeitsunfähig. Gerade wird er von einer Arbeitsamtmaßnahme zur nächsten gereicht, eigentlich aber wartet er auf einen Rehaplatz. „Dort werde ich eineinhalb Jahre fit gemacht für den Arbeitsmarkt“, sagt H.

Es ist unklar, ob er einen solchen Rehaplatz bekommen wird, mindestens so unklar, was für eine Arbeit H. mit seinem Gewissen vereinbaren könnte. Wir müssen doch schrumpfen, hat er auf dem Gerichtsflur gesagt, wie soll das in diesem System funktionieren. Er ist streng mit dem System, mindestens so streng wie mit sich selbst: Jetzt, wo er sich um die Legehennen kümmere, sagt H., lebe er ja immer noch im kapitalistischen System, das die Lebensgrundlagen vernichtet.

H. weiß nicht weiter, so wenig, dass er das Gericht fragt, was er tun könne. Zum letzten Wort steht er auf und setzt sich wieder, weil der Richter sagt, dass er nicht stehen müsse. „Ich bin stark verzweifelt“, beginnt H. und fängt an zu weinen, „ich weiß nicht, was die Antwort ist. Es bewegt sich nichts. Ich bin offen für Ratschläge, was wir besser machen können“.

Laut Richter war es reine Publicity

Aber das Gericht hat keine Antworten, außer der, dass H. die Dinge nicht so nah an sich heranlassen solle. Die Aktion, so sagt der Richter, sei anders als die Blockaden reine Publicity gewesen, statt der Sachbeschädigung wäre es konstruktiver gewesen, nur das Transparent hochzuhalten. Dann aber – das sagt H. später auf dem Gerichtsvorplatz – hätte sich kein Mensch für die Aktion interessiert.

Aber jetzt wird erst einmal ein Urteil gefällt: 70 Tagessätze à 30 Euro muss H. zahlen. Milde, sehr milde, sei das Urteil, sagt der Richter in seiner Begründung. H. hat auf weniger gehofft, und tatsächlich lagen die Tagessätze bei anderen Sprüh-Aktivisten geringer. Die waren anders als H. aber nicht vorbestraft, weil sie bei ihren Blockaden mehr Glück hatten.

Am Ende bekommt H. doch noch eine Antwort, wenn man es denn eine Antwort nennen möchte. „Wenn Sie einen Tipp haben – Sie haben meine Adresse“, sagt H. zum Richter. „Mein Tipp ist, Optimist zu bleiben“, antwortet der.

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21 Kommentare

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  • Irgendwie ist die Letzte Generation ihrer Fürsorgepflicht nicht nachgekommen als sie den Angeklagten in die erste Reihe ihrer Aktionen gestellt haben.

  • Der Angeklagte meint es bestimmt gut und ehrlich. Aber den Kern hat er scheinbar weiter nicht begriffen: es liegt nicht in seiner Entscheidung, Sachbeschädigung und sonstige Straftaten durch seine Überzeugung zu legitimieren. So funktioniert Zusammenleben in einer Gesellschaft nicht, wo sehr unterschiedliche Überzeugungen zusammentreffen. Und er ist kein Kind mehr. Dass Taten Konsequenzen haben, wusste er vorher. Daher bleibt ihm auch nichts anderes übrig, als dazu zu stehen. Der Richter ist auch nicht für die Rettung der Welt verantwortlich - zumindest nicht mehr als jeder andere. Der hat die Aufgabe, über die Strafbarkeit seiner Handlungen zu befinden. Und da gibt's auch wenig Ermessensspielraum. Immerhin hat er einen freundlichen Richter und Staatsanwalt gefunden. Glück gehabt! Hier in Bayern bekommen Wiederholungstäter schon Mal eine Haftstrafe - woran ich auch nichts grundsätzlich verwerflich finde.

  • Da sehe ich sehr viel von mir in meinen schlimmsten Phasen der Depressionen - Prokrastination, mangelnde Priorisierung aufgrund von... egal, die Ursachen sind anders, aber die Auswirkungen sind gleich. Obwohl ich rein inhaltlich mit der LG und anderen dieser Bewegungen absolut nicht konform gehe, bewegt mich dieser junge Mann, der sich in einem Wust aus Weltenschmerz und (ich nenne es mal) unkonventionellen Ansichten verheddert hat und dringend Hilfe bedarf.

    Rein strafjuristisch ist das Thema klar, ob mit Expresszuschlag bei der zivilrechtlichen Bewertung auch, sei mal dahingestellt. Der Mann braucht aber nicht nur ein Urteil, er braucht vor allem Hilfe. Man kann in seiner Blase schon sehr viel erreichen, wenn man das möchte. Er, ich, wir alle werden nicht die Welt retten, indem wir bei anderen fordern, dass sie es tun mögen. Damit fängt man bei sich an. Das setzt ein paar Schritte voraus, die man selbst gehen muss. Und das fängt immer bei einem selbst an zu erkennen, dass man Hilfe braucht. Ich wünsche dem jungen Mann alles erdenklich Gute, dass er seinen Weg findet.

  • Die Aktion war wirklich nicht so schlau...



    Doch was wir als Gesellschaft machen ist noch unschlauer: mit weit geschlossenen Augen der Klimakatastrophe entgegen! Hauptsache an den Prioritäten und der Lebenswirklichkeit der heute 70jährigen ändert sich nichts.



    Vielleicht ist das der wahre Grund unserer völlig überalterten westlichen Herrschaftsriege... Realitätsverweigerung.

  • Das ist der Punkt, ohne moralische Schuld kann man kaum leben in Deutschland, da jedes "normale", rechtlich legale Leben in Deutschland immer auf der Ausbeutung anderer Länder, Rohstoffe, Menschen basiert.

    Wenn man ohne moralische Schuld leben will muss man entweder auswandern in so ein Land/Leben in dem man nicht mehr ausbeutet, sondern ausgebeutet wird.

    Oder eben in Deutschland bleiben, aber verbotenes tun.

    E.g. in einem Garten subsistent leben, was verboten ist weil man nur auf Bauland schlafen darf. Auf Bauland zu schlafen ist aber so teuer, dass man, um diese Miete oder den Kaufpreis zu erwirtschaften, eben mitspielen muss in dem System dass andere Länder, Menschen und Rohstoffe ausbeutet.

    Oder man spielt eben mit in dem System, macht aber auf die Mißstände aufmerksam.

    Diesen Weg hat H. gewählt und es ist eine der ganz wenigen Möglichkeiten die er hat, um ohne moralische Schuld zu leben.

    Klar das er für den Versuch, ohne moralische Schuld zu leben, bestraft wird.

    Das war schon im Mittelalter nicht erwünscht und es wird auch in alle Zukunft nicht erwünscht sein.

  • Der Rat 'Optimist zu bleiben' ist an Zynismus oder Irrsinn kaum zu übertreffen.

    • @Freundlicher:

      Warum?

    • @Freundlicher:

      Also wenn ich den Text richtig gelesen habe, bezieht sich die Äußerung des Richters auf die persönlichen Lebensumstände von Hr. H.. Der Richter hatte soeben erfahren, dass Hr. H. aktuell arbeitsunfähig ist, ihm eine Reha in Aussicht gestellt ist, damit er letztlich wieder eine Tätigkeit aufnehmen kann. Herrn H. für seine nähere Zukunft Mut und "Optimismus" zu wünschen, ist weder zynisch noch irre. Die Gerichtsverhandlung ist, falls Sie diesen Bezug sehen, nicht der Ort, die politischen Ansichten oder persönlichen Probleme von Hr. H. auszudiskutieren.



      Insofern verstehe ich Ihre Einschätzung nicht.

  • Ich glaube tragische Figuren gibt es genug bei der letzten Generation und leider auch viele sogenannze Aktivisten die der Gesellschaft auf der Tasche liegen.

  • "...mindestens so unklar, was für eine Arbeit H. mit seinem Gewissen vereinbaren könnte."



    Er sucht nach einer Arbeit, die er mit seinem Gewissen vereinbaren kann?



    Und das klappt als Fachinformatiker nicht? Im Fall einer Sachbeschädigung scheint das eigene Gewissen allerdings keine Rolle zu spielen.

  • "Mein Tipp ist, Optimist zu bleiben“, antwortet der. (Richter)". Welch ein Zynismus. Dabei setzt sich der Verurteilte auch für die Zukunft des Richters und seiner Familie ein und wird durch die Gerichtsprozesse und die Urteile in seiner Existenz bedroht. Richter haben leider eine viel zu geringe Psychologische Ausbildung, als das sie die individuelle Tragweite ihrer Urteile einschätzen können.

  • "Die Schadenssumme liegt bei 17.278,66 Euro, weil die Stadt die Rathausfront reinigen lassen musste und, zu H.s Pech, mit Noteinsatz-Zuschlag, weil am nächsten Tag Prinz Charles kam, dem das Rathaus nicht orange präsentiert werden sollte." Warum müssen Schadensverursacher Kosten übernehmen, die nur aus eitelkeit der Verwaltung oder der Stadträte oder der Bürgermeister hervorgerufen werden? Bei einer Sachbeschädigung erfolgt doch auch kein Ausgleich von Alt gegen Neu! Das sind eben richtige Bürgervertreter die Spitzen in der Verwaltung? Ein Armutszeugnis wie hier Schadensverursacher bereit mit überhöhten Schadenskosten bestraft werden.

  • Ich kann H.s Verzweifelung verstehen - wir erleben die Anfänge des Klimakollaps, doch es scheint keinen zu interessieren. Statt über Lösungen zu reden und zu streiten, schweigt nicht nur die Politik, sondern große Teile der Gesellschaft. Es gibt kein richtiges Leben im falschen (Adorno) - ein Leben außerhalb des kapitalistischen Systems ist nicht möglich. Aber es ist möglich Gleichgesinnte zu finden, solidarische Gemeinschaften aufzubauen und dem Gefühl alleine und "falsch" zu sein zu entrinnen. Ich wünsche H. Kraft, Mut und Liebe.

  • Ist schon ein Frage der Definition, ob, weil wegen des Besuchs eines fremden Monarchen ein Noteinsatz gerechtfertigt ist. Man könnte ja auch zu den Problemen stehen, statt eilig alles chick zu haben.

    Was den Angeklagten betrifft: Bin kein Jurist, aber bei so vielen Hilferufen, was das Leben in dieser Gesellschaft betrifft, könnte ein Hilfssystem schon greifen. Zumindest als Angebot, nach dem ja auch gefragt wurde, und parallel zum Strafprozess.

    • @HanM:

      Es ist ein ERWACHSENER Mann, den man ruhig auch als solchen sehen darf. Und vorbestraft, was ja schon ein Schiss vor den Bug war und tingelt von Maßnahme zu Maßnahme, dabei staatlich finanziert (wohlgemerkt von Menschen, die in diesem kapitalistischen System arbeiten und Steuern zahlen). Was soll denn noch alles angeboten werden, irgendwann muss es halt auch mal bei einem selbst „Klick“ machen.



      Und ER zahlt sie Strafe ja auch nicht, sondern der Steuerzahler…

    • @HanM:

      Mal ab von der Petitesse, ob das Hamburger Rathaus zum Besuch des englischen Königs in den Farben des niederländischen Königshauses erstrahlen sollte: Ich würde voll auf die Intelligenz sowie Geistesgegenwärtigkeit von Hr. H. setzen und davon ausgehen, dass der die Farbaktion bewusst einen Tag vor dem Besuch des Hr. von Windsor angesetzt hatte. Dieses nur wie im Text mit "Pech" zu erklären ist eine bewusste Missachtung von Hr. Hs. Fähigkeiten und Fertigkeiten.