Verspätungschaos bei der Bahn: Mehr Service statt Pünktlichkeit
Die Bahn setzt auf mehr Mitarbeiter:innen in Zügen und ehrlichere Fahrplanauskünfte. Längere Umsteigezeit soll verspätete Reisende gnädig stimmen.
Derzeit haben außergewöhnlich viele Fernzüge Verspätung, etliche fallen ganz aus. Verantwortlich dafür sind unter anderem Baustellen auf vielen wichtigen Strecken. Der Unmut darüber bei Kund:innen ist groß, aber auch bei Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Wissing hat auf den Missstand beim Staatskonzern reagiert, indem er eine Steuerungsgruppe in seinem Ministerium eingerichtet hat, um die Entwicklung enger zu kontrollieren.
„Wir bieten unseren Fahrgästen zurzeit nicht, was sie erwarten“, sagte der für den Personenfernverkehr verantwortliche Vorstand der Deutschen Bahn, Michael Peterson, vor Journalist:innen in Berlin. Um die Begleitung der Reisenden zu verbessern, stockt das Unternehmen die bislang 8.000 Servicekräfte im Fernverkehr in den kommenden Monaten um 980 weitere auf.
750 sollen in der Bordgastronomie und als Zugbegleiter eingesetzt werden. 100 neue Gästebetreuer:innen sollen Fahrgästen beim Ein- und Aussteigen, dem Finden eines Sitzplatzes oder dem Verstauen von Gepäck helfen. Weitere 130 neue Mitarbeiter:innen werden in großen Bahnhöfen zur Unterstützung von Fahrgästen eingesetzt.
Run auf die Schiene
Auf die vielen Verspätungen reagiert die Deutsche Bahn mit einer Verlängerung der Umsteigezeiten. „Damit Anschlusszüge zuverlässiger erreicht werden, achten wir in den Fahrplanmedien ab sofort auf großzügigere Umsteigezeit“, sagte Peterson. Das gilt zum Beispiel für die App DB Navigator. „Knappe Anschlüsse, die in der aktuellen betrieblichen Lage schwer erreicht werden können, zeigen wir jetzt schon bei der Planung und Buchung nicht mehr an“, sagte Peterson. Davon betroffen sind rund 800 Verbindungen. Statt 8 Minuten beträgt die Umsteigezeit nun bis zu 14 Minuten. Sollten Kund:innen mit einem Sparticket, das eine feste Zugbindung auch bei Anschlüssen vorsieht, einen früheren Zug erreichen, können sie den nehmen, sagte Peterson. Die Zugbegleiter seien angewiesen, das zu akzeptieren.
In den vergangenen Monaten habe es im Fernverkehr einen „historischen Run auf die Schiene“ gegeben, berichtete Peterson. „Noch nie sind so viele Menschen so viele Kilometer ICE und Intercity gefahren wie in den vergangenen drei Monaten von Mai bis Juli 2022.“ Auch der grenzüberschreitende Bahnverkehr hat sich im ersten Halbjahr fast verdoppelt auf 19 Millionen Fahrgäste.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja