Bilanz der Bahn: Unpünktlich, aber profitabel
Die Deutsche Bahn konnte die Coronakrise überwinden. Die Fahrgastzahlen sind hoch, doch die Ticketpreise könnten steigen.
BERLIN taz | Es gibt auch noch gute Nachrichten von der Deutschen Bahn (DB). „Wir sind nach den Corona-Jahren wieder in der Gewinnzone“, sagte Bahnchef Richard Lutz bei der Vorstellung der Bilanz des erste Halbjahres. 876 Millionen Euro Plus hat die Bahn eingefahren, nach einem Minus von fast einer Milliarde Euro im ersten Halbjahr 2021.
Das liegt vor allem am hohen Gewinn der bei FDP und Grünen unbeliebten Logistiktochter Schenker, aber auch an der Rückkehr der Fahrgäste nach der Pandemie. Fast 60 Millionen Reisende fuhren bis Ende Juni im IC oder ICE, ein Plus von 117 Prozent. Im Regionalverkehr waren 725 Millionen Kunden unterwegs, ein Zuwachs um 60 Prozent. Dazu hat auch das 9-Euro-Ticket beigetragen, das seit Anfang Juni noch bis Ende August gilt.
Allmählich spürt die Bahn aber auch die steigenden Energiepreise. In diesem Jahr hat der größte Stromverbraucher Deutschlands seine Einkaufspreise noch absichern können. Finanzchef Levin Holle räumte aber ein, dass sich das Unternehmen dem Preistrend nicht auf Dauer entziehen könne. Die Kunden im Güterverkehr müssen sich schon bald auf höhere Preise einstellen.
Mit dem Fahrplanwechsel im Dezember könnte es dann auch den Personenverkehr treffen. Die Entscheidung über die Ticketpreise fällt der Bahn-Aufsichtsrat regelmäßig im September.
„Pünktlichkeit nicht akzeptabel“
Die hohe Nachfrage bereitet der Bahn auch Probleme. „Qualität und Pünktlichkeit sind nicht akzeptabel“, räumte Bahnchef Lutz ein. Im ersten Halbjahr kamen nur sieben von zehn Zügen pünktlich ans Ziel, zur Zeit noch weniger. Schuld sei die überlastete Infrastruktur, betont Lutz.
Auf den rund 3.500 am stärksten belasteten Streckenkilometern liege die Auslastung bei 125 Prozent. Verspätungen sind die Folge. Erst 2024 wird die Bahn diese Korridore nach und nach sanieren und in dieser Zeit auch komplett sperren. Nach dem Ende der jahrelangen Arbeiten verspricht Lutz ein „Hochleistungsnetz“.
Einig sind sich Gewerkschaften und Vorstand in einer anderen Frage: Sie lehnen eine Fortführung des 9-Euro-Tickets trotz des Erfolges ab. Allein die Bahn hat 19 Millionen der Billigtickets verkauft. „Das Experiment ist geglückt“, sagte Lutz.
Das Angebot habe auch Kunden erreicht, die bislang nicht mit der Bahn gefahren sind. Auf der anderen Seite sei die Belastung von Mensch und Material durch die hohe Nachfrage sehr hoch. EVG-Vizechef Martin Burkert zufolge haben die Beschäftigten ihre Belastungsgrenze schon überschritten. Die Folge: ein hoher Krankenstand von teils 25 Prozent.
Leser*innenkommentare
Bolzkopf
Das dürfte nun jenen Apologeten endgültig den Wind aus den Segeln nehmen die stets den Untergang der DB postulieren wenn es um Preissenkungen und fahrscheinlosen ÖPNV geht.
Brot&Rosen
Statt sich dem 9EuroTicketWeiterfahren zu verweigern, sollten sich die Eisenbahn-Gewerkschaften diese Forderung anschauen:
"9 Euro für alle heißt Ausbau des ÖPNV: Wir brauchen mehr Gleise, Haltestellen und Verbindungen. Stillgelegte Bahnstrecken müssen reaktiviert werden, es braucht einen entsprechenden Umbau der Produktion und mehr Personal in Fahrdiensten, Technik, Planung und Wartung. Besserer ÖPNV heißt auch bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte.
Wir wollen diese sinnvollen Arbeitsplätze zu guten Bedingungen. Das 9 Euro-Ticket kostet 12 Milliarden Euro im Jahr. Die umweltschädlichen Zuschüsse und Steuersubventionen vom Bund summieren sich auf 65 Milliarden Euro jährlich. Ein preisgünstiges Ticket wie auch der Ausbau von Bus und Bahn sind finanzierbar, wenn der politische Wille da ist. Dazu wollen wir beitragen."
Sie stammt aus der Petition
9 Euro Ticket weiterfahren
9-euro-ticket-weiterfahren.de/
Helmut Fuchs
@Brot&Rosen "Ein preisgünstiges Ticket wie auch der Ausbau von Bus und Bahn sind finanzierbar, wenn der politische Wille da ist."
Da muss ich lachen. Ist ja richtig. Aber bloßes Wunschdenken.
Der politische Wille existiert nur dahingehend, möglichst endlose Großprojekte für die Bau- und Immobilienwirtschaft aufzusetzen. An denen sich viele Beteiligte dauerhaft die Taschen vollstopfen können.
Mit der Bahn im aktuellen Zustand ist schon der Normalbetrieb eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Da seh ich schwarz für das 9 Euro Ticket.
Es macht zwar etwas Hoffnung, wenn Herr Wissing anmerkt, dass er sich nicht vorstellen hätte können, wie schlecht der Zustand des Netzes der Deutschen Bahn ist (was, nebenbei bemerkt, jedem der sich mit Bahn beschäftigt, oder sie benutzt, seit Jahren wohlbekannt ist).
Die Hoffnung stirbt aber sofort wieder, wenn man sieht, dass Herr Wissing schon mit den ersten Versuchen gescheitert ist, im Bahnvorstand aufzuräumen. Gescheitert, oder ohne ernsthaften Willen gestartet. In der Politik ist ja "Dies sagen, das Gegenteil tun" keine Unbekannte Formel.
Lutz und Konsorten dürfen Gewinne verkünden und lustige Versprechungen machen. Wenn die, was sehr wahrscheinlich ist, nicht eingelöst werden, wird es wie immer keinerlei Konsequenzen haben.
Helmut Fuchs
Was für Gewinne sollen das sein, die man mit zerschlissenen Anlagen erkauft?
"Schuld sei die überlastete Infrastruktur, betont Lutz."
Infrastruktur, die man jahrzehntelang mutwillig zurückgebaut oder kaputtgefahren hat.
Und dann noch der Wortbeitrag des Vize der EVG: Dass die Beschäftigten die "Belastungsgrenze schon überschritten" haben liegt auch daran, dass man als EVG jede Fehlentscheidung des Vorstands abgenickt hat. "Erfolge" bei Gehaltsverhandlungen bringen herzlich wenig, wenn man als Mitarbeiter dauernd gegen die Umstände arbeiten muss, in einem Unternehmen in dem nichts mehr funktioniert. Die Zerstörung des Systems Bahn hat man im Gegensatz zur GDL jahrelang mitgetragen.
Ekelerregend alles.