piwik no script img

Versammlungsfreiheit in HamburgDemonstrieren im Einzelfall okay

Versammlungen sind während der Corona-Pandemie in Hamburg nicht mehr pauschal verboten. Aber erlaubt werden sie auch nicht so oft.

Fahrraddemo verboten – ein Polizist fotografiert das Corpus Delicti Foto: Jonas Walzberg/dpa

HAMBURG taz | Es sollen Einzelfälle sein, in denen das Grundrecht auf Versammlung weiter gilt. So steht es in dem entsprechenden Absatz der Verordnung zur Eindämmung der Corona-Epidemie in Hamburg. „Für Versammlungen unter freiem Himmel kann die Versammlungsbehörde in besonders gelagerten Einzelfällen Ausnahmen vom Verbot zulassen.“ Seit Freitag gilt diese Regel, mit der die Stadt vom rigorosen Versammlungsverbot während der Corona-Pandemie abrückt.

Praktisch ist von der neuen Linie auf Hamburgs Straßen aber nichts zu spüren. Die Versammlungsbehörde hatte eine Demonstration der Seebrücke am Sonntag verboten und Bürger*innen mit Platzverweisen und Personalienkontrollen drangsaliert. Auch am Dienstag versuchte die Polizei, Proteste auf St. Pauli zu verhindern. Das Bündnis „Leave no one behind“ hatte dazu aufgerufen, mit Boomboxen und Plakaten auf Fahrrädern durch die Straßen zu fahren, um gegen das Elend der Geflüchteten in griechischen Lagern zu demonstrieren.

Rund 200 Personen waren dem Aufruf gefolgt. Immer in Bewegung bleiben, dann könne die Polizei den Protest nicht unterbinden, so war der Plan der Demonstrant*innen. Die Polizei verfolgte einen anderen Plan und erteilte 21 Bußgeldforderungen in Höhe von jeweils 150 Euro. Außerdem nahm sie Personalien auf, erteilte Ordnungswidrigkeiten und Platzverweise. Im Gegensatz zu vielen Fahrradfahrer*innen trugen die Polizist*innen keinen Mundschutz und hielten den Mindestabstand oft nicht ein.

Gegen 20 Uhr kam es nach Schilderungen von mehreren Personen zu einem Übergriff auf eine Demonstrantin durch einen Polizisten. Die Zeug*innen schilderten, wie ein Beamter eine Radfahrerin vom Fahrrad stieß. Ein Sprecher der Polizei sagte auf Anfrage, ein Kollege habe die Frau stoppen wollen – dabei sei sie gestürzt. Als die Frau am Boden saß und weinte, schirmte ein Dutzend Beamt*innen sie ab und ließ niemanden zu ihr. Später durfte eine Freundin ihr Beistand leisten, bis ein Rettungswagen kam. Sie war leicht verletzt und musste nicht ins Krankenhaus.

Auf die Frage, warum weder die Kundgebung der Seebrücke, noch die Fahrraddemo als Ausnahme im Sinne der neuen Verordnung genehmigt wurden, sagte die Polizei, die Fahrraddemo habe niemand versucht anzumelden. Außerdem müssten solche Ausnahmen immer in Abwägung zum überragenden Schutzgut der menschlichen Gesundheit und des Lebens betrachtet werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen