Versäumte Klimapolitik: Die fossile SPD
Das Blockieren von Klimaschutz ist in der Struktur der Partei angelegt: Durch Verflechtungen mit der Wirtschaft, Gewerkschaftsnähe und Tradition.
M oderne Kohlekraftwerke sind auch für die SPD eine Alternative.“ Diese Einschätzung stammt von Bärbel Bas (SPD), der heutigen Bundestagspräsidentin. Zugegeben, die Aussage ist schon ein bisschen älter, sie stammt aus dem Jahr 2010. Aber sie zeigt symptomatisch, warum sich die SPD bis heute so schwertut mit dem Klimaschutz.
Empfohlener externer Inhalt
1. Posten in der Industrie
Da ist zum Ersten die starke Verflechtung der Sozialdemokraten in die Fossilwirtschaft: Zwar saß Bärbel Bas 2010 schon im Bundestag. Gleichzeitig war sie aber Aufsichtsrätin der Stadtwerke Duisburg. Dieses Stadtwerk gehört zu jenem Konsortium, das sich 2010 den Kohlekonzern Steag kaufte, der früher unter dem Namen Steinkohlen-Elektrizität AG firmierte. Mit dem Segen von Aufsichtsrätin Bärbel Bas: Der damals fünftgrößte deutsche Energiekonzern betrieb seinerzeit nicht nur zwölf Kohle- und Raffineriegaskraftwerke, die Steag baute in Duisburg-Walsum gerade auch ein neues Steinkohlekraftwerk, das nach dem Willen der Anteilseigner möglichst länger als 30 Jahre lang Kohle verstromen sollte – also bis in die 2040er Jahre.
Ihr einstiges Engagement für die Kohle bereut Bärbel Bas auch heute nicht, gegenüber der taz betonte Bas zwar die Wichtigkeit des Ausbaus erneuerbarer Energien, noch aber brauche es „eine Brücke in diese klimaneutrale Zukunft der Energieversorgung. Moderne Kohlekraftwerke mit fortschrittlicher Filtertechnik sind eine solche Brücke in eine klimaneutrale, bezahlbare und sichere Energieversorgung.“ Mit dem Kohleausstieg 2030 in Nordrhein-Westfalen steht aber fest, dass Duisburg sehr viel Geld verlieren wird, weil sich die Steag-Investitionen durch die gekürzte Laufzeit nicht refinanzieren lassen – wie übrigens auch andere Steag-Anteilseigner, die Städte Dortmund, Essen, Bochum und Oberhausen beispielsweise. Bekannt ist aber, dass – wie Bärbel Bas – viele SPD-Mandatsträger gleichzeitig in der Fossilwirtschaft arbeiteten.
„Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir über kurz oder lang auf den fossilen Energieträger Kohle nicht verzichten können“, erklärte Rolf Hempelmann 2011 im Deutschen Bundestag. Hempelmann war damals nicht nur energiepolitischer Sprecher der SPD und somit maßgeblich für die Energiepolitik der Sozialdemokraten verantwortlich. Er beriet gleichzeitig auch den Kraftwerksbauer Hitachi Power Europe GmbH aus Duisburg, der beispielsweise die Dampfturbine für das neue Kohlekraftwerk in Duisburg-Walsum lieferte. Für das Steag-Kraftwerk der Bärbel Bas.
Joachim Poß saß bis 2017 im Deutschen Bundestag und war jahrelang stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Gleichzeitig war er Aufsichtsrat der RAG Deutsche Steinkohle AG. Ulrich Freese, bis 2021 Abgeordneter und unter anderem Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie, war gleichzeitig bezahlter Aufsichtsrat der Vattenfall Europe AG, der Vattenfall Europe Mining AG und der Vattenfall Europe Generation AG, also der Braunkohlesparten in Brandenburg. Bevor er SPD-Wirtschaftsminister wurde, war Wolfgang Clement Aufsichtsrat bei der RWE-Tochtergesellschaft Rheinbraun, danach wurde er Aufsichtsrat der RWE-Kraftwerkstochter RWE Power. Clements Vorgänger Werner Müller wurde nach seinem Ausscheiden aus der Politik 2002 zuerst Vorstandsvorsitzender der Ruhrkohle AG, dann Vorstandsvorsitzender der RAG-Stiftung. Pflichtgemäß gratulierte die RAG-Stiftung 2013 den Sozialdemokraten zu ihrem 150-jährigen Jubiläum – mit einer Anzeige in der Parteizeitung Vorwärts.
„Ich kann mir die Lausitz nicht ohne Kohle vorstellen.“ Diese Aussage stammt von Martina Gregor-Ness. Die umweltpolitische Sprecherin der SPD im Brandenburger Landtag saß zeitgleich im Aufsichtsrat der Vattenfall-Bergbausparte. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Erik von Malottki war von 2019 bis 2021 Aufsichtsrat der Stadtwerke Greifswald. Bevor Anja Troff-Schaffarzyk 2021 für die SPD in den Bundestag einzog, arbeitete sie 20 Jahre lang beim fünftgrößten deutschen Energiekonzern EWE im Vertrieb.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Thews ist Vorstandsmitglied der „Grubenwehrvereinigung Victoria“, die die Tradition des Kohlebergbaus in Lünen wachhält. Es ist nahezu logisch, dass Thews vor zehn Jahren den Ausstieg aus der Steinkohle für falsch hielt: „Auch bei der Energiewende hätte die deutsche Steinkohle im Energiemix als Brückentechnologie ihre Daseinsberechtigung.“ Heute ist Thews stellvertretender Vorsitzender im Umweltausschuss des Bundestags.
2. Kumpel der Kumpel
Das ist der zweite Grund, warum sich die SPD mit dem Klimaschutz so schwertut: die Tradition. Zwar gibt es in den Reihen der Bundestags-SPD kaum noch Kohlekumpel. Michel Gerdes ist so einer, als Elektrohauer arbeitete er Jahrzehnte lang im Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop. Seit 2009 sitzt er im Bundestag. Egal ob in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen oder Sachsen-Anhalt, überall dort, wo es Bergbau gibt, macht die SPD aber Politik für die Kohlekumpel. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft erklärte 2016, „dass das letzte [Kohlekraftwerk] in NRW rund um das Jahr 2050 den Betrieb einstellt“.
Als die heutige Bundestagsabgeordnete Katrin Budde noch SPD-Chefin in Sachsen-Anhalt war, erklärte diese: „Wir sind fest davon überzeugt, dass wir die Braunkohle noch längere Zeit brauchen, weil die Grundlastversorgung durch die erneuerbaren Energien noch nicht gegeben ist und wir da erst noch mehr in Forschung und Entwicklung setzen müssen.“ Matthias Platzeck erklärte 2008, als er Regierungschef in Brandenburg war: „Ob wir in Brandenburg unsere beiden Kraftwerke Jänschwalde und Schwarze Pumpe schließen, hat auf das Weltklima ungefähr so viel Auswirkungen, als ob in China ein Sack Reis umfällt.“ 2018 war er einer der Vorsitzenden der Kohlekommission, die erwirkte, dass die deutschen Kohlekraftwerke noch bis 2038 weiter laufen dürfen.
„Die heimischen Energieträger Steinkohle und Braunkohle müssen als bedeutende Sicherheitsfaktoren erhalten bleiben und einen wesentlichen Anteil der Stromerzeugung abdecken.“ Mit solchen Parolen schwor Hubertus Schmoldt (SPD) in den 2010er Jahren die IG BCE – die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie – auf harten Anti-Klimaschutz-Kurs ein. Sein Nachfolger Michael Vassiliadis (SPD) beklagt die „fast religiöse“ Fixierung auf regenerative Energien: „Ein Industrieland wie Deutschland mit hundert Prozent regenerativer Energie zu versorgen – das ist ein Vorhaben, das ich mit der Mondlandung vergleichen würde.“ Vassiliadis ist mit Yasmin Fahimi, der ehemaligen Generalsekretärin der SPD, liiert. Fahimi stand viele Jahre bei der IG BCE in Lohn und Brot, etwa von 2005 bis 2014 als Abteilungsleiterin für Grundsatz und Organisationsentwicklung beim Hauptvorstand in Hannover.
3. Die Großgewerkschaft
Das ist der dritte Grund, warum sich die SPD so schwer mit der Energiewende tut: Sie ist stark verwoben mit der IG BCE. Fast ein Drittel der (50) SPD-Bundestagsabgeordneten, die ihren Wahlkreis in Nordrhein-Westfalen haben, sind Mitglied der IG BCE: Brian Nickholz etwa, Mahmut Özdemir, Axel Schäfer, Michael Thews, Markus Töns oder Gülistan Yüksel. Sicherlich darf daraus kein Generalverdacht erwachsen, schließlich sind auch die ehemalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze oder der einstige klimapolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Frank Schwabe IG-BCE-Mitglieder. Anders als die Fraktionskollegen sind sie aber auch Mitglied in einem Umweltverein.
Gabriele Katzmarek ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages, unter anderem im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Zuvor war sie 23 Jahre lang Gewerkschaftssekretärin der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. IG-BCE-Mitglied Sabine Poschmann war früher Sprecherin der Stadtwerke Dortmund, die der größte kommunale Anteilseigner am Kohlekonzern Steag sind und gleichzeitig Mitbesitzer des Kohlekonzerns RWE. Heute setzt sie sich dafür ein, dass Kohlestandorte wie Dortmund „Strukturwandelmaßnahmen“ bekommen.
Seit Oktober 2015 war Bernd Westphal wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. „Wir brauchen eine sichere Energie- und Stromversorgung, vor allen Dingen. Und dabei helfen die Kohlekraftwerke aus der Lausitz, aber auch im Rheinischen und Mitteldeutschen Revier“, erklärte er, der Zug für die Braunkohle in der Lausitz sei noch lange nicht abgefahren. Vor seinem Einzug in den Bundestag war Westphal Vorstandssekretär bei der IG-BCE-Hauptverwaltung in Hannover.
Das Netzwerk der IG BCE innerhalb der SPD bringt sich bei jeder Gelegenheit in Stellung. „Scholz macht in Cottbus klar: Mit ihm kein Kohleausstieg 2030“, überschrieb der IG-BCE-Funktionär und Cottbuser Bundestagsabgeordnete Ulrich Freese im August 2021 seine Pressemeldung. Der Kanzlerkandidat Olaf Scholz war damals zu einer Funktionärskonferenz des IG-BCE-Bezirks Cottbus gereist. Draußen war überall „Kanzler für Klimaschutz“ plakatiert.
4. Die Wolfsburg-Connection
Ein vierter, sehr spezieller Grund, warum die Sozialdemokraten sich schwer mit dem Klimaschutz anfreunden, ist VW, respektive Niedersachsen, Das Land ist nämlich zu 11,8 Prozent am Autobauer beteiligt und damit zweitgrößter Einzelaktionär. Der Ministerpräsident sitzt automatisch im Aufsichtsrat, in den letzten 32 Jahren waren das 22 Jahre lang Sozialdemokraten.
Zum Beispiel Sigmar Gabriel, bis 2003 Regierungschef in Hannover. Nach seiner Abwahl geriet Gabriels politische Karriere ins Stocken, er übernahm neben seinem Amt als niedersächsischer SPD-Fraktionsvorsitzender den neu geschaffenen Posten des Beauftragten für Popkultur und Popdiskurs der SPD. „Siggi Pop“ – so der Schimpfname – schien am Ende. Gabriel orientierte sich neu, er gründete die Firma Communication, Network, Service (CoNeS), an der er anfangs 75 Prozent hielt. CoNeS schloss 2003 einen Beratervertrag mit dem VW-Konzern, in dessen Aufsichtsrat Gabriel noch wenige Monate zuvor saß. VW zahlte 130.000 Euro, der ehemalige Ministerpräsident beriet jetzt den Autokonzern.
Wir wissen alles Nötige über die Klimakrise. Was fehlt, sind echte Konsequenzen – Entscheidungen, die wirklich etwas Verändern. Doch es gibt Saboteure und Blockierer, die dem Wandel im Weg stehen: Menschen und Organisationen, die ohne Gewissen die Interessen klimaschädlicher Industrien vertreten oder am ‚Weiter so‘ schmutziges Geld verdienen.
Wer sabotiert notwendige Entscheidungen? Wer blockiert, was wichtig ist – und warum? Wer führt uns wirklich in die Krise? In dieser neuen Serie suchen und finden wir die Klima-Saboteure.
Eine Investition, die sich mehr als gelohnt haben dürfte: Gabriel gelang 2005 ein politisches Comeback, er wurde Bundesumweltminister. Als die EU 2007 Klimaschutzziele auch für deutsche Autohersteller vorschlug, ging Bundesumweltminister Gabriel auf die Barrikaden: Die EU-Kommission führe unter dem Deckmantel des Klimaschutzes einen „Wettbewerbskrieg gegen deutsche Autohersteller“. Die EU-Pläne wurden abgeschwächt.
In den 2000er Jahren saß VW quasi direkt im Deutschen Bundestag: Vor seiner Zeit als SPD-Abgeordneter zwischen 2002 und 2007 war Hans-Jürgen Uhl VW-Betriebsrat. Während seiner Abgeordnetentätigkeit stand er auch weiterhin auf der Gehaltsliste des Autobauers: VW bezahlte ihn genauso wie der deutsche Steuerzahler. Wie auch Jann-Peter Janssen, der vor seinem Einzug in den Bundestag Betriebsratsvorsitzender der VW AG war. Uhl und Janssen gingen beispielsweise gegen die geplante Abschaffung des Steuerprivilegs für Dienstwagen vor – und zwar erfolgreich. Auch Günter Lenz, bis dahin Betriebsratsvorsitzender von „Volkswagen Nutzfahrzeuge“, ging 2003 in die Politik. Er wurde wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD im Niedersächsischen Landtag – und von VW weiter bezahlt. Alle drei mussten schließlich zurücktreten, gegen Uhl und Lenz ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen Untreue, sie hatten Bordellbesuche auf Kosten von Volkswagen abgerechnet.
Bevor Falko Mohrs 2017 für die SPD in den Bundestag einzog, war er Fertigungskoordinator für die SUVs „Touran“ und „Tiguan“ bei Volkswagen. Seit dem Jahr 2002 wurden in Deutschland mehr als 1 Million „Touran“ verkauft, beim „Tiguan“ sind es 875.000. Mohrs war Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie und bestimmte dort entscheidend die Klimapolitik mit. Seit letztem Jahr ist er Minister für Wissenschaft und Kultur in Niedersachsen.
Der Abgeordnete Detlef Müller aus Chemnitz ist Mitglied des Aufsichtsrates der Autobahn GmbH des Bundes. Sebastian Roloff ist seit 2021 SPD-Bundestagsabgeordneter, zuvor war er Personalleiter bei MAN Truck & Bus, sein Kollege Johannes Schätzl, ebenfalls seit 2021 neu im Bundestag, war zuvor Informatiker bei der ZF Friedrichshafen AG, dem drittgrößten Automobilzulieferer weltweit. Cansel Kiziltepe war vor ihrem Eintritt in den Bundestag 2013 bei der Volkswagen AG im Stab des Arbeitsdirektors zuständig für volkswirtschaftliche Analysen. Sie besitzt genauso wie Schätzl und Roloff ein Rückkehrrecht in ihrem Job, ihr Interesse dürfte nicht sein, dass sich die Rahmenbedingungen zu Ungunsten ihrer Arbeitgeber ändern.
Natürlich gab und gibt es in der SPD immer wieder auch Abgeordnete, die sich tatsächlich für die Energiewende einsetzen, Hermann Scheer zum Beispiel, der für sein Engagement für die Erneuerbaren mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde, oder Ulrich Kelber, heute Datenschutzbeauftragter der Bundesregierung, dem 2009 der Deutsche Solarindustriepreis verliehen wurde. In der aktuellen Abgeordneten-Mannschaft war Bengt Bergt zuvor stellvertretender Konzernbetriebsratsvorsitzender beim Windradbauer Nordex, Bettina Hagedorn ist Kuratoriumsmitglied in der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), Timon Gremmels aus Kassel ist Mitglied des Parlamentarischen Beirates beim Bundesverband Erneuerbare Energie.
Aber augenscheinlich sind diese Abgeordneten in der Minderheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin