Verkehrwende in Hamburg: „Monster-Tunnel“ ohne Nutzen
Eine Hamburger Bürgerinitiative warnt vor neuem S-Bahn-Tunnel. Besser wäre eine zweite Elbquerung und eine Ring-Bahn, die den Hauptbahnhof entlastet.
Darauf weist die Bürgerinitiative „Prellbock Altona“ jetzt hin, nachdem sie die dazugehörige Machbarkeitsstudie analysierte. „Wir halten das Gesamtprojekt für schädlich“, sagt Sprecher Michael Jung.
Der neue Tunnel ist für Hamburg-Fans schon ästhetisch ein Problem. Soll doch mit ihm die schönste S-Bahn-Strecke, die aus Altona über Dammtor direkt über die Alster führt, 30 Meter tief unter die Erde gelegt werden. Damit stünden – so die Idee des Bunds – oben auf dem Bahndamm statt nur zwei künftig vier Gleise für Regional- und Fernzüge frei und könnten im „Deutschlandtakt“ pendeln.
Wie berichtet, stellte der grüne Verkehrssenator Anjes Tjarks kürzlich jene Machbarkeitsstudie im Verkehrsausschuss vor und lud die Hamburger dazu ein, über die Lage der neuen Haltepunkte mitzudiskutieren, nicht aber über die Tieflegung der S-Bahn an sich.
S-Bahn-Gäste bekommen nicht mehr Platz
Doch die Initiative, die ihren Namen wählte, weil sie seit Jahren für den Erhalt des Altonaer Bahnhofs mit seinen Prellböcken streitet, lässt in ihrer Analyse kein gutes Haar am Plan des neuen „Monster-Tunnels“.
An der Überfüllung der beiden S-Bahn-Bahnsteige am Hauptbahnhof mit ihren vier Gleisen zum Beispiel wird sich gar nichts ändern, da die heutigen Gleise 3 und 4 lediglich verlagert würden. Dafür soll östlich neben der Hauptbahnhofshalle unter der Erde ein neuer Bahnsteig gebaut werden. Für dessen Anschluss würde das heutige Gleis 1 sogar über viele Jahre gesperrt. Der neue Tunnel schaffe auch keine zusätzliche S-Bahn-Kapazität, kritisiert die Initiative in ihrem zehnseitigen Argumentationspapier.
Demgegenüber zögen die Baumaßnahmen so viele Sperrungen nach sich, dass dies eine „schwere Schädigung des Wirtschaftsstandortes Hamburg“ bedeute, so Jung. Allein fünf große Baugruben für die Stationen mit je über 220 Meter Länge und 40 Meter Tiefe sind geplant und eine sehr große mit 50 Metern Tiefe.
Die ganze östliche Seite des Hauptbahnhofs werde vom Stadtteil St. Georg aus gar nicht mehr zugänglich sein, prophezeit Jung. „Der Hachmannplatz ist zehn Jahre dicht“. Und sei der Tunnel erst mal fertig, lägen die restlichen Bahnhöfe sehr tief, was das Umsteigen und das Sicherheitsgefühl beeinträchtige.
Nutznießer sind die Tunnelbau-Unternehmen
Auch fürs Klima sei der Bau schädlich. So werden nach Schätzung der Initiative für die insgesamt 16 Kilometer Tunnelröhre und die Bahnhöfe weit über eine Million Kubikmeter Stahlbeton verbaut und etwa 1,35 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt, was vom Klimaeffekt her erst nach 250 bis 300 Jahren Bahnverkehr ausgeglichen wäre.
Zudem stünden viele Bauwerke im Grundwasser, der Grund sei unter Hamburg jedoch so schwierig wie in München, wo der Bau der dortigen zweiten S-Bahn-Stammstrecke sich stark verteuerte, von 2,5 Milliarden auf 8,5 Milliarden Euro.
Die Kosten für den Hamburger VET ließ der Senat in der Machbarkeitsstudie schwärzen und verweigert die Auskunft. Eine Vorgänger-Studie schätzte 2020 die Kosten auf drei Milliarden Euro. Jung prognostiziert eine ähnliche Steigerung wie in München. Profitieren würden vor allem Tunnelbauunternehmen.
Doch dieses Geld wäre anders sinnvoller eingesetzt. So könnte die zweigleisige Strecke auf der Verbindungsbahn mit moderner Signaltechnik so aufgerüstet werden, dass dort problemlos die Fern- und Regionalbahn im engeren Deutschlandtakt fahren. Auch wäre der Ausbau des Dammtorbahnhofs von vier auf sechs Gleise sinnvoll, damit die dort haltenden Regionalzüge die Strecken nicht verstopfen.
Absprachen zwischen Hamburg und dem Bund?
Um den Hauptbahnhof zu entlasten, fordert „Prellbock Altona“ seine Umfahrung. Sinnvoll dafür könnte eine zweite Querung der Elbe im Westen der Stadt sein. Würde man die Haltestelle Neuwiedental im Südwesten Hamburgs unter der Elbe durch einen – wesentlich kürzeren – Tunnel mit den Bahnhöfen Altona und Diebsteich im Nordosten verbinden, könnte diese Strecke fortsetzend über eine alte Güterumgehungsbahn rund um Hamburg zu einer attraktiven Ring-S-Bahn werden, wie es ihn in Berlin schon gibt.
Für beide Projekte – westliche Elbquerung und Nutzung der Güterbahn – wurden zeitgleich Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben, die bald fertig sein müssten. Nötig wäre es, diese Studien abzuwarten und ergänzend zu betrachten, sagt Jung. „Alle drei Projekte bedingen einander.“ Stattdessen werde vom Senat die VET-Studie „gepuscht“. Prellbock-Altona vermutet dahinter politische Absprachen mit dem Bund, insbesondere was die Finanzierung parallel laufender Projekte wie den Bau der U5 betrifft.
Die Initiative fordert jetzt vom Senat eine offene Diskussion darüber, ob der Tunnel sinnvoll ist. Denn nur die Frage zu stellen, wo die Haltestellen liegen sollen, sei „Scheinbeteiligung“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften