Verkehrswende in Berlin: Riesenschwein auf dem Fahrrad

Mit dem Rad durch die Stadt – das kann gutgehen, aber auch nicht. In Sachen Klimaschutz lässt sich jedenfalls davon lernen.

Ein kleines Schwein aus Plastik ist auf das vordere Schutzblech eines geparkten Fahrrades geschraubt

Bei nächsten Mal lieber das Rad stehen lassen Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Soll ich diesen Text wirklich schreiben? Vielleicht bekommen ihn die Strafverfolgungsbehörden oder Minderjährige in die Finger. Oder ich blamiere mich endgültig.

Nun ja: Es war also einer dieser hektischen Tage. In Deutschland streikten Bahn und S-Bahn, im Kanzleramt die Ampelkoalition. Mir schwirrte der Kopf vor lauter schlechten Meldungen vom IPCC-Bericht, der internationalen Energiewende und dem bedrohten deutschen Klimaschutzgesetz. Wichtiger Termin, auf dem Fahrrad halbe Stunde hin, Treffen, halbe Stunde zurück. Vorher Hektik, hinterher dringende Verabredung.

Auf dem Rückweg bin ich spät dran. Also Tempo! Zwei Lkws blockieren die Straße, dazwischen nur ein enger Spalt. Mut zur Lücke und durch. Kaum habe ich knapp überlebt, geht es weiter: Straße gesperrt. Ich also mit vollem Tempo auf den Gehsteig der Gegenfahrbahn. Einer Frau mit Hund ausgewichen und zur nächsten großen Querstraße gerollt. Die Ampel für mich rot. Kurzer Blick nach links, frei, also rüber. Dann quer gegen den Verkehr auf die andere Fahrbahn.

Auch die nächste Ampel an der dreispurigen Hauptstraße will mich bremsen. Und die Autos sind noch 150 Meter entfernt. Also kurz entschlossen kräftig in die Pedale getreten, über die rote Fußgängerampel gerollt und gegen die Fahrtrichtung auf den Bürgersteig abgebogen.

Und dann sehe ich den Streifenwagen. Der silberblaue Zafira fährt auf der rechten Spur auf mich zu, bremst und stoppt kurz vor mir. Die Wagentür öffnet sich, ein Polizist steigt praktisch direkt vor mir aus. Mein monstermäßig schlechtes Gewissen denkt: Zwei oder drei Punkte in Flensburg? 150 Euro? Ein völlig berechtigtes Donnerwetter, Entzug des Radführerscheins?

Dann wendet sich der Polizist an einen Mann, der vor mir auf dem Gehsteig steht. „Wir müssen da hinten ins Parkhaus“, sagt er zu ihm und geht los – und ich rolle still und leise und ohne einen Mucks an den beiden vorbei. Biege um die nächste Ecke. Und schreie vor Erleichterung. Puuuh!

Und dann fällt mir ein: Wenn wir ab vorgestern und überall Emissionen senken, wenn wir weltweit dreimal mehr Ökostrom bauen müssen und das Klimaschutzgesetz vor dem Verkehrsminister kapituliert – dann brauchen wir für eine erträgliche Zukunft auch unglaublich viel Glück. Mega Dusel. Ein Riesenschwein.

Manchmal haben wir das. Aber meistens nicht. Darauf zu setzen, bei Verkehr oder Weltrettung, ist lebensgefährlicher Irrsinn.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.