Verkauf der Oranienstraße 169 in Berlin: Linke Vermieter lenken ein

Die Genossenschaft „wirwerk eg“ will das Haus übernehmen. Es gehört linken Journalist*innen, die Mie­te­r*in­nen fürchteten Verdrängung.

Ein Altbau mit zwei Gewerbeimmobilien: Ein Vintagemöbel-Geschäft und ein Modeladen

Die Oranienstraße 169 wurde mit öffentlicher Förderung saniert und ist mittlerweile Wahlkampthema Foto: Metin Yilmaz

BERLIN taz | Aus Sicht der Mie­te­r*in­nen klingt es fast zu schön, um wahr zu sein. Denn es wäre ein unerwartetes Happy End im von Verdrängung gebeutelten Kreuzberg. Nun zeichnet sich in der Auseinandersetzung um das überregional bekannt gewordene Haus Nummer 169 in der symbolträchtigen Oranienstraße ein gemeinwohlorientierter Kauf immer deutlicher ab: Eine Genossenschaft namens „wirwerk eg“ will die Immobilie kaufen. Die Eigentümergemeinschaft bestätigt die Verhandlungen, will sich aber nicht öffentlich dazu äußern.

In den Schlagzeilen ist das mehrstöckige Mietshaus, weil linke Jour­na­lis­t*in­nen es einst gekauft und dabei von Fördergeldern in Höhe von 3,4 Millionen Mark profitiert haben, sich aber möglicherweise nicht an die gesetzlichen Regeln gehalten haben. Zudem befürchteten viele Mieter*innen, dass die Ei­gen­tü­me­r*in­nen das 1993 für 1,2 Millionen Mark erworbene Haus für einen spekulativen und damit deutlich höheren Preis verkaufen wollten.

Die Eigentümergemeinschaft besteht aus durchaus bekannten Journalist*innen, die bei der taz, der Zeit, dem Spiegel und der Berliner Zeitung arbeiteten. Am prominentesten ist die ehemalige taz-Journalistin und langjährige Chefredakteurin der Berliner Zeitung, Brigitte Fehrle, die jahrelang selbst in scharfen Kommentaren gegen den Ausverkauf der Stadt anschrieb. Ebenso darunter ist ein aktuelles Mitglied des Kuratoriums der taz-Panter-Stiftung, deren Mitgliedschaft bis zur Klärung des Sachverhalts ruht, wie es aus der Stiftung heißt.

Mehrere Ei­gen­tü­me­r*in­nen lebten zeitweise selbst im Haus, in dem die Mieten für Kreuzberg auch heute noch vergleichsweise niedrig sind und zwischen 6 und 8 Euro pro Quadratmeter liegen. Bis zum drohenden Verkauf waren die Bewohner*in­nen weitgehend zufrieden, man pflegte einen freundschaftlichen Umgang mit den Eigentümer*innen, so die Darstellung von Mieter*innen. Die Immobilie umfasst mit Vorder- und Hinterhaus sowie Seitenflügel 21 Wohnungen und zwei Gewerbeeinheiten.

Alternative zum Vorkaufsrecht?
Andreas Krüger, wirwerk

„Wir hoffen, dass wir im Sommer gemeinsam vorm Haus stehen und sagen können: Das ist gesichert“

Während Po­li­ti­ke­r*in­nen nun Aufklärung über die Förderkonditionen fordern, zeichnet sich zumindest für die Mie­te­r*in­nen eine positive Wendung ab. Hatten sie doch befürchtet, dass ihr Wohnhaus wie so viele in Kreuzberg zu einem spekulativen Preis inklusive damit einhergehendem Verdrängungsdruck verkauft werden würde.

Hinter der kaufwilligen Genossenschaft „wirwerk“ steht unter anderen Andreas Krüger. Er ist Geschäftsführer von Belius, einer GmbH, die sich laut Webseite „auf inhalts-, werte- und gemeinwohlorientierte Raumstrategien“ verschrieben hat; Krüger ist bei der Initiative „Stadtneudenken“ mit ähnlicher Zielsetzung engagiert. „Wir wollen das Haus aus dem spekulativen Immobilienmarkt herausnehmen, und es mit einer Genossenschaft so sichern, dass es nicht weiter verkauft werden kann“, sagte Krüger der taz. Man orientiere sich dabei an verschränkten Eigentumsverhältnissen nach dem Modell des Mietshäusersyndikats.

Laut Krüger arbeitet die Genossenschaft gerade daran, die Finanzierung aufzustellen. An Bord seien Eigenkapitalgeber, Privatleute und Familien sowie Institutionen, die sich für gemeinwohlorientierte Projektentwicklung interessierten, ebenso Banken aus dem Nachhaltigkeitsbereich. Im besten Falle schaffe man ein Modellprojekt für einen geregelten Erwerb von Wohnraum zu vernünftigen Konditionen, so Krüger. Bis Ende März sollen die Grundlagen geklärt sein und dann so rasch wie möglich ein Kauf realisiert werden.

Nicht zuletzt nach dem weggeklagten und auf Bundesebene von der FDP blockierten kommunalen Vorkaufsrecht sind Bezirke und Kommunen gegen den Ausverkauf der Stadt auch in so genannten Milieuschutzgebieten wie in Kreuzberg weitgehend machtlos. Ein vom Bezirk unterstützter Kauf von Genossenschaften könnte nach Ansicht der Beteiligten ein Ausweg aus dem spekulationsgetriebenen Immobilienmarkt sein – den Verkaufswillen der Ei­gen­tü­me­r*in­nen zu vernünftigen Konditionen vorausgesetzt.

Und der ist hier offenbar nun doch vorhanden: Krüger habe in der taz erstmals von dem Haus gelesen und sei tags darauf mit den Ver­mie­te­r*in­nen in Kontakt getreten. Er führe vertrauensvolle Gespräche mit der Ei­gen­tü­me­r*in­nen­ge­mein­schaft. Vergangenen Dienstag sei der geplante Erwerb erstmals auch mit den Mie­te­r*in­nen besprochen worden, so Krüger – im Beisein von Grünen-Bezirksstadtrat Florian Schmidt, der vermittelt hatte.

Der Kreuzberger Baustadtrat Schmidt, auch bekannt als „Aktivist im Amt“ für mie­te­r*in­nen­ori­en­tier­te Wohnungspolitik, nennt den potentiellen Ankauf durch eine Genossenschaft „präventiven Erwerb“. Geht es nach ihm, soll das Modell Schule machen: Es könnte eine tragfähige Alternative zu komplizierten und teuren kommunalen Vorkäufen unter Zeitdruck sein, so Schmidt – insbesondere für Eigentümer, denen der soziale Aspekt von Wohnungseigentum nicht egal sei.

„Keine öffentliche Förderung mehr“

Eine Klarstellung ist Schmidt im Zusammenhang mit der Oranienstraße 169 besonders wichtig: „Es wird keine öffentliche Förderung mehr für dieses Haus geben im Anbetracht der Ereignisse.“ Mit den Ereignissen meint Schmidt die Verwicklungen, die mittlerweile zu einem Berliner Wahlkampfthema geworden sind und von FDP und CDU für Grünen- und Kreuzberg-Bashing sowie als Beispiel für linke Scheinheiligkeit genutzt wird.

Doch der Reihe nach: Die taz berichtete zuerst Anfang November über die aktuellen Entwicklungen. Die Ei­gen­tü­me­r*in­nen mussten sich nach dem Kauf von 1993 bei der Sanierung als Gegenleistung für die Millionenförderung an sozialverträgliche Ziele halten – bis 2017. Als 2022 schließlich die Nachricht von einem Verkauf die Runde macht, befürchteten die Mie­te­r*in­nen, dass die Ei­gen­tü­me­r*in­nen nach Auslaufen der Sozialbindung deutlich teurer verkaufen wollten.

Die Mie­te­r*in­nen schrieben ihre Ver­mie­te­r*in­nen an und forderten einen gemeinwohlorientierten Verkauf, damit das Haus dem Markt entzogen würde und auch künftig die Mieten auf einem leistbaren Niveau lägen. Zunächst wollten sich die Ei­gen­tü­me­r*in­nen nicht reinreden lassen und antworteten in einem Brief an die Mieterschaft, dass es für einen gemeinwohlorientierten Verkauf keine Mehrheit in der Eigentümerschaft gebe – auch wenn sie zugleich betonten, einen Käufer finden wollten, der das Haus langfristig hält und pflegt.

Auch aufgrund der für die Mie­te­r*in­nen überwiegenden Befürchtungen schalteten sie Po­li­ti­ke­r*in­nen und Medien ein, einige Mie­te­r*in­nen nahmen an einer Demo gegen den Ausverkauf der Stadt teil. Auf taz-Anfrage reagierten die Ei­gen­tü­me­r*in­nen zunächst nicht, Interventionsversuche von Po­li­ti­ke­r*in­nen blieben folgenlos oder unbeantwortet.

Während hinter den Kulissen schon seit November verhandelt wurde, wurde die Immobilien unversehens zu einem Wahlkampfthema, nachdem auch der Spiegel berichtete. In einem längeren Artikel ist die Rede davon, dass mutmaßlich Subventionsvorgaben nicht eingehalten worden seien, weder der zuständige Senat noch der Bezirk hätten die Einhaltung von Vorgaben überprüft, freie Wohnungen seien entgegen der Vorgaben nicht gemeldet worden und wurden möglicherweise unter der Hand vermietet.

Die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist heute SPD-geführt von Bausenator Andreas Geisel. Auf taz-Anfrage, welche Folgen aus dem Fall zu ziehen seien, hieß es am Freitag, das man aktuell noch prüfe, welche rechtlichen Möglichkeiten nach Ende der Bindungsfrist noch bestehen könnten. Nach Ansicht der Senatsverwaltung sei allerdings der Bezirk zuständig gewesen, die Belegungsbindung zu prüfen. Schmidt hatte seinerseits auf den Senat verwiesen.

Wahlkampf um ein Haus

Dass Wahlkampf ist, sieht man besonders gut an Äußerungen aus CDU und FDP, die Wohnungspolitik ansonsten eher aus Eigentümer-Perspektive betrachten. CDU-Generalsekretär Stefan Evers vermutete im Tagesspiegel eine Amigo-Affäre des „Skandal-Stadtrats“ Florian Schmidt. FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja behauptete: „Der linksgrüne Filz in Friedrichshain-Kreuzberg wird zunehmend zur Belastung für unsere Stadt.“

Derartige Unterstellungen wies Schmidt, der zum Zeitpunkt des Kaufs 1993 gerade einmal 18 Jahre alt war, zurück: „Das war vor meiner Zeit. Äußerungen dieser Art sind Wahlkampf-Fantasien.“ Auch Katrin Schmidberger, wohnungspolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, damals elf Jahre alt, hält Vorwürfe an die Grünen oder die Bezirksverwaltung für fehlgeleitet.

Schmidberger sensibilisiert auch hinsichtlich des historischen Kontextes der Subventionsbedingungen: Die Eigentümer hätten die Gelder in der Zeit der „behutsamen Stadterneuerung“ erhalten. Damals sei man froh gewesen, wenn Häuser im schlechten Zustand wieder repariert wurden – nicht der angespannte Wohnungsmarkt, sondern Leerstand sei ein großes Problem gewesen. Schmidberger sagt aber auch: „Wenn es Verstöße gegen Fördervertrag gab, muss die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung tätig werden.“

Verkauf für unter 5 Millionen

Andreas Krüger blickt hingegen in die Zukunft und sagt: „Wir hoffen, dass wir im Sommer gemeinsam vorm Haus stehen und sagen können: Das ist gesichert und die Leute haben bezahlbare Mieten.“ Sehr verwundert sei er gewesen über die Einschätzung im Spiegel, dass das Haus angeblich bis zu 12 Millionen Euro wert sein solle: „Ich wusste nicht, dass der Spiegel eine Gebäude-Bewertungs-Abteilung hat“, so Krüger. „Das ist eine spekulative Immobilienbewertung, die nur mit Entmietung und unter Umgehung des Milieuschutzes gelingen kann.“ Man rede mit den Ei­gen­tü­me­r*in­nen über einen auskömmlichen und guten Preis, der nicht spekulationsgetrieben sei.

„Die Miete ist sehr moderat und soll so bleiben. Abgeleitet aus diesen Werten wird sich ein realistischer und vernünftiger Kaufpreis ergeben. Auch 5 Millionen wären ungesund für das Haus“, sagt Krüger und verspricht, alles offen zu legen. Diesbezüglich müsse sich aber ein Konsens zwischen den Ei­gen­tü­me­r*in­nen finden, mit denen man weiter im täglichen Austausch stünde. Fördermittel, betont auch er, werde man nicht beantragen oder benötigen.

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