Verfassungsschutz blickt nach links: Mit V-Leuten gegen Die Linke
Niedersachsens Verfassungsschutz hat drei Mitglieder der Linken durch V-Leute ausspionieren lassen. Wann und warum, soll nun ihr Anwalt rausbekommen.
In dem knappen Brief teilt das Landesamt unter Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut mit, dass die Betroffenem nach Paragraf 22 Absatz 1 des niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes von einer geheimdienstlichen Überwachung unterrichtet werden müssten. Der Paragraf regelt, dass der „Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 bis 12 nach seiner Beendigung den Betroffenen mitzuteilen“ sei. Es liegt also nahe, dass die Beobachtung mittlerweile eingestellt ist.
Wann, wie und warum sie überwacht wurden? Das würde auch Thomas Goes von der Linken gern erfahren. Aufschluss gibt der in den Schreiben aufgeführte Hinweis auf „Paragraf 14 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6a“ des Verfassungsschutzgesetzes. Der erlaubt der Behörde zur Erhebung personenbezogener Daten die „Inanspruchnahme von Personen, deren planmäßig angelegte Zusammenarbeit mit der Verfassungsschutzbehörde Dritten nicht bekannt ist (Vertrauenspersonen)“.
Im Klartext: Niedersachsens Verfassungsschutz hat offenbar V-Leute im direkten Umfeld von Mitgliedern der Linken eingesetzt, um sie auszuforschen.
Keine Verbindung zwischen den Ausspionierten
Über den Anlass der Beobachtung können die Betroffenen bisher nur spekulieren. „Wir kennen uns gar nicht persönlich“, sagt Maren Kaminski, die früher Landesgeschäftsführerin der Linken in Niedersachsen war und heute Gewerkschaftssekretärin bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Hannover ist.
2020: Wegen eines Fehlers in der Datenübermittlung hört Niedersachsens Verfassungsschutz über einen längeren Zeitraum irrtümlich die Telefongespräche eines unbescholtenen Mannes ab.
2019: Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen einen Verfassungsschutzmitarbeiter wegen des Besitzes von Kinderpornografie und der Erpressung von Vorgesetzten.
2018: Aktivisten enttarnen einen 24-Jährigen, der zwei Jahre lang die Basisdemokratische Linke in Göttingen ausspionierte und sich auch in studentische Gremien wählen ließ. Die Information über den Spitzel stammte aus Unterlagen, die der Verfassungsschutz selbst in einem anderen Verfahren an das Verwaltungsgericht gegeben hatte. In der Folge tritt Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger zurück.
2017: Ein Untersuchungsbericht zur jugendlichen, islamistischen Attentäterin Safia S. enthüllt gravierende Versäumnisse von Polizei und Verfassungsschutz.
2011 bis 2013: Häppchenweise wird bekannt, dass der Verfassungsschutz offenbar unrechtmäßig Menschen überwacht – darunter einen Radiojournalisten aus Göttingen, Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpcke, aber auch Mitarbeiter von Landtags- und Bundestagsabgeordneten. Innenminister Boris Pistorius (SPD) setzt eine Task Force ein. Am Ende müssen 1937 Datensätze als nicht gesetzeskonform gelöscht werden. Die Betroffenen werden darüber nicht informiert.
Auch Goes, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Soziologischen Forschungsinstitut an der Georg-August-Universität in Göttingen, sagt der taz, er stehe in keiner direkten Verbindung zu den anderen Beobachteten, nicht einmal über interne Parteistrukturen oder -plattformen.
In Niedersachsen wird die Linke als Gesamtpartei nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Das Landesamt beobachte jedoch die vermeintlich „extremistischen Zusammenschlüsse“ in der Partei: Kommunistische Plattform, Sozialistische Linke und Antikapitalistische Linke, heißt es auf der Webseite des LfV.
Goes, der an den Forschungsschwerpunkten Arbeitssoziologie und Kapitalismusanalyse arbeitet, betont: „Ich bin demokratischer Sozialist.“ Und er verweist auf einen Grundgesetzkommentar von Wolfgang Abendroth: Der Politologe und Rechtswissenschaftler hatte in dem Kommentar herausgearbeitet, dass das Grundgesetz einen demokratischen Weg zum Sozialismus offen hält. „Dass es einem so vorkommen kann, als nehme es der Verfassungsschutz mit der Verfassung nicht so genau, wissen wir ja spätestens seit dem NSU“, sagt Goes.
Den aktuellen Vorgang hält er trotzdem für „skandalös“. „Diese geheimdienstliche Verfolgung passt mal wieder. Rechts blind, links schauen“, sagt Maren Kaminski der taz. Beide haben gemeinsam den Göttinger Anwalt Sven Adam eingeschaltet. „Ich bin skeptisch, aber vielleicht werden wir durch den Rechtsweg mehr erfahren“, sagt Kaminski.
In Niedersachsen fordert die Linke schon lange die Abschaffung des Landesamts für Verfassungsschutz. Geheimdienste seien wegen der Geheimhaltung nicht demokratisch kontrollierbar, hatte die damalige Fraktionschefin im niedersächsischen Landtag, Kreszentia Flauger, 2010 im taz-Interview gesagt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste