Verbrechen gegen russische Gefangene: Wehrmacht im Justizvisier
Auf bis zu 2.000 ehemalige Soldaten könnten Ermittlungen zukommen. Sie waren unter anderem Wachmänner in Lagern für sowjetische Kriegsgefangene.

Will sagte, er hoffe, „dass wir von den sieben bisher eingeleiteten Verfahren zumindest einige abgeben können“. Von den namentlich bekannten Wachmännern konnten die Ermittler nach einem Bericht der Welt am Sonntag etwa 2.000 Personen identifizieren, die aufgrund ihrer Geburtsjahrgänge heute möglicherweise noch am Leben sind.
Die Bedingungen in den Lagern für sowjetische Kriegsgefangene waren darauf ausgelegt, dass ein Großteil der Inhaftierten dort nicht überleben konnte. Insgesamt starben dort bis zu 3,3 Millionen der etwa 5,7 Millionen Gefangenen. Die Ernährung war vollkommen unzureichend, eine medizinische Betreuung nicht vorhanden. Häufig mussten die Gefangenen unter freiem Himmel leben, und das bei teilweise eisiger Kälte. Die NS-Machthaber ließen ihre Gefangenen bewusst sterben.
Nach dem Krieg kam es nur in den seltensten Fällen zu Ermittlungen gegen die in den Kriegsgefangenenlagern eingesetzten Soldaten. In der Bundesrepublik wurde lange die Mär von einer „sauberen“ Wehrmacht gepflegt, die sich im Gegensatz zur SS an keinen Verbrechen beteiligt habe. Diese Auffassung gilt inzwischen unter Historikern als widerlegt.
Wende im letzten Jahrzehnt
Im Gegensatz dazu kam es schon früh zu Verurteilungen von Angehörigen der Einsatzgruppen, die, gebildet aus SS und Polizeieinheiten, die Aufgabe hatten, vor allem sowjetische Jüdinnen und Juden zu ermorden. Bis zu 1,5 Millionen Menschen fielen der reisenden Mördertruppe zum Opfer.
Der von den Alliierten durchgeführte Nürnberger Einsatzgruppenprozess von 1948 endete mit 14 Todesurteilen gegen SS-Führer. Zwei Jahre später verurteilte erstmals ein deutsches Gericht zwei Täter zu lebenslangen Haftstrafen. Der Ulmer Einsatzgruppenprozess gegen zehn Täter im Jahr 1958 machte deutlich, dass die Aufarbeitung der NS-Verbrechen keineswegs, wie in der Öffentlichkeit vielfach propagiert, vor seinem Ende stünde, und führte zur Gründung der Zentralen Stelle in Ludwigsburg.
Im letzten Jahrzehnt allerdings erfolgten dort vor allem Ermittlungen gegen in Vernichtungs- und Konzentrationslagern eingesetzte NS-Täter, da eine veränderte Rechtsprechung hier die Möglichkeit eröffnete, auch diejenigen als Teil einer Mordmaschine anzuklagen, denen kein individueller Mord nachgewiesen werden kann. Die jetzt erfolgte Erweiterung der Ermittlungen um die Stalags sei „konsequent weitergedacht“, sagte Will.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen