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Sowjetische Kriegsgefangene2.500 Euro nach 70 Jahren

Deutschland zahlt erstmals eine Entschädigung für Rotarmisten. 106 ehemalige Kriegsgefangene erhalten Geld. 800 Anträge sind noch offen.

Insgesamt gab es fünf Millionen sowjetische Kriegsgefangene. Über die Hälfte davon starb in Lagern an Hunger, Krankheiten oder durch Erschießung Foto: dpa

Berlin taz | Die Bundesrepublik hat in den vergangenen Monaten zum ersten Mal ehemalige sowjetische Kriegsgefangene entschädigt. Seit einem entsprechenden Bundestagsbeschluss im Mai 2015 gingen beim zuständigen Bundesamt BADV knapp 900 Anträge früherer Rotarmisten ein. 106 der Hochbetagten erhielten inzwischen eine Entschädigung in Höhe von 2.500 Euro, über den Großteil der Anträge haben die Beamten aber noch nicht entschieden.

Insgesamt waren während des Zweiten Weltkriegs mehr als fünf Millionen Sowjetsoldaten in deutsche Gefangenschaft geraten. Über die Hälfte davon starb in Lagern an Hunger, Krankheiten oder durch Erschießung.

Der Bundestag beschloss dennoch erst nach jahrzehntelanger Debatte, die Überlebenden zu entschädigen. Dass bislang nur einige Hundert der Betroffenen einen Antrag eingereicht haben, dürfte nicht zuletzt einen Grund haben: Inzwischen sind nur noch wenige von ihnen am Leben.

In einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion beteuert die Bundesregierung nun, alles Nötige unternommen zu haben, um die noch lebenden Opfer über ihren Anspruch zu informieren. So habe man Verteidigungsministerien und Veteranenverbände in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion angeschrieben.

„Öffentliches Zeichen setzen“

Die deutschen Botschaften und Konsulate hätten ein entsprechendes Merkblatt auf ihre Internetseiten gestellt. Zudem seien sie angewiesen, Betroffene beim Ausfüllen des vierseitigen Antragsformulars zu unterstützen. Die Regierung bezeichnet diese Maßnahmen als „umfassend und ausreichend“.

Anders sieht es Linken-Fraktionsvize Jan Korte, der sich im Bundestag für die Entschädigung eingesetzt hatte. „Die aktuellen Zahlen der Antragstellung und Bewilligung beunruhigen mich. Ich denke, sie geben allen Anlass zu überlegen, wie wir die Betroffenen noch besser erreichen können. Dass die Bundesregierung hier keinen Nachholbedarf sieht, wundert mich.“

Korte schlägt vor, zum 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion im Juni ein „öffentliches Zeichen zu setzen“ – zum Beispiel durch eine feierliche Übergabe der Entschädigung an einige der Antragsteller.

Laut dem Verein „Kontakte-Kontakty“, der sich von Berlin aus für NS-Opfer in Osteuropa einsetzt, funktioniert die Auszahlung der Entschädigung bisher „erstaunlich gut“. Wie viele der Betroffenen noch nichts vom Entschädigungsprogramm wissen, könne man jedoch naturgemäß nicht sagen.

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11 Kommentare

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  • "Dass bislang nur einige Hundert der Betroffenen einen Antrag eingereicht haben, dürfte nicht zuletzt einen Grund haben: Inzwischen sind nur noch wenige von ihnen am Leben", schreibt Tobias Schulze. Und eigentlich kann man die Überlebenden nur sehr bedauern.

     

    2.500 Euro sollen diese 900 Männer also entschädigen für Monate wenn nicht Jahre des Hungers, der Kälte, der Angst und der Erniedrigung. Wäre ich Veteran, würde ich ganz sicher keinen Antrag stellen. Schon gar keinen, den fehlerscheue Beamte jahrelang gewissenhaft prüfen - um ihn dann doch schulterzuckend abzulehnen, weil mir im Laufe der Jahrzehnte, in denen keinerlei Hoffnung auf Entschädigung bestanden hat, die Haftentlassungspapiere abhanden gekommen sind.

     

    Klar, mir fiele es auch leicht, meinem Stolz den Vorrang zu geben. Ich muss mich nicht tagtäglich um mein Überleben sorgen. Das kann nicht jeder sagen, der für Russland im zweiten großen Krieg gegen Deutschland gekämpft hat. In dem Krieg, den die Russen den Großen Vaterländischen Krieg nennen. Wer nicht vor Jahrzehnten schon in Sibirien verhungert, erfroren oder an Erschöpfung umgekommen ist zur Strafe dafür, dass er sich hat gefangen nehmen lassen vom Feind, der muss heute zusehen, dass er was zwischen die Zähne kriegt – wenn er denn überhaupt noch welche hat. Unter solchen Bedingungen ist es vermutlich nicht so leicht, trotzig zu sein. Auch dann nicht, wenn das die einzig angemessene Reaktion wäre auf die zur Schau gestellte Überheblichkeit der Nazi-Erben.

  • 8G
    86548 (Profil gelöscht)

    Bekommt mein Opa für die fünf Jahre im sibirischen Bergwerk auch Entschädigung? Wahrscheinlich nicht, denn er war ja Faschist und hat auf der falschen Seite gekämpft.

    • @86548 (Profil gelöscht):

      Mein Vater war 5 Jahre auf der Krim in Gefangenschaft von malariea bis ruhr hatte er alles was man da so bekommen konnte von den körperlichen Misshandlungen ganz zu schweigen ,halb Tod wurde er geprügelt und null Entschädigung .

    • 2G
      27741 (Profil gelöscht)
      @86548 (Profil gelöscht):

      Wenn wir für alles, was die Deutschen unter ihrem Führer angerichtet haben, hätten bezahlen müssen, dann müssten sie, ihr Opa und alle anderen heute noch mit Daumenlutschen über die Runden kommen. Nicht vergessen!

    • @86548 (Profil gelöscht):

      Richtig. Er hätte sich nicht am Angriffskrieg seines verbrecherischen Regimes beteiligen dürfen. Mit fünf Jahren ist er da noch sehr gut weggekommen.

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Ich frage mich ernsthaft, was man in 70 oder 80 Jahren mal über uns sagen wird.

  • Da bin ich ja froh, dass es den zwei oder drölf deutschen Gefangenen so gut ging in russischer Gefangenschaft. Ich erinnere mich da noch an viele Erzählungen von Betroffenen; aber ja die waren ja alles Nazis und haben es verdient. Gäääähn.

    • @Max Mustermann:

      Max, wenn Sie mal Zeit haben, besuchen Sie das Dokumentationszentrum Bergen-Belsen: Auch der Blindeste kann sich dort über die unmenschliche und völkerrechtswidrige Behandlung (systematische Verweigerung der Haager Landkriegsordnung und Genfer Konvention) informieren. Es gab viele rohe "Zusatzanweisungen"; der bekannteste war der "Kommissarbefehl": jüdische Soldaten und politische "Kommissare" sollten sofort erschossen werden. Am Ende des Krieges waren 2/3 der 5 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen tot (verhungert, erschlagen, erschossen etc.) Mein Vater war vier Jahre lang in sowjetischer Kriegsgefangenenschaft (Workuta-Sibirien), er litt dort permanent unter Hunger, viele seiner Kameraden verhungerten und erfroren. "Aber der Bevölkerung ging es auch nicht besser als uns!" - Bedingungen in einem Land, das man mit einem grausamen Vernichtungsfeldzug überzogen hatte.....

      Jetzt dürfen Sie weiterschlafen!

    • @Max Mustermann:

      Wer war noch mal Exportweltmeister, reich, demokratisch und bemüht, mustergültig seine eklige Geschichte aufzuarbeiten?

       

      Und wer, noch mal, waren die mit der ruinierten Wirtschaft, dem oligarchen-Problem und dem Stalin-Erben namens Putin an der Spitze?

  • Lass mal lieber den job beenden den die Genossen begonnen haben und das Land entnazifizieren. Ach und was Kriegsentschädigungen angeht könnte die Bundesregierung nicht nur bei den Rotarmisten sondern auch bei der Zivilgesellschaft mal zulegen/ anfangen auch in Ländern wie Griechenland. Sich für nur 2500€ für paar hundert tapfere Rotarmisten zu brüsten ist echt weder unzureichend und lächerlich.

  • Na, is doch besser als gar nichts. ( Ironie aus )

    Hans-Ulrich Grefe