Verbotskultur auf Social Media: Jugendschutz ohne Jugend
Der Trend, junge Menschen von Social Media zu verbannen, ist gefährliche Faulheit, findet unser Autor. Stattdessen müssen digitale Räume sicherer werden.
D ieses Jahr haben es endlich alle verstanden: Social Media, das ist Politik. Hier werden Attentäter radikalisiert. Hier schreit die Zivilgesellschaft laut ihre Gegenrede raus, wenn rechte Parteien darüber fabulieren, wer im Land bleiben darf und wer nicht. Hier wollen Regierungen Jugendliche raushaben. Angeblich, um sie zu schützen.
Das Feld für Radikale und Extreme ist bereitet. Die AfD hat bei Tiktok eine größere Reichweite als alle anderen deutschen Parteien. Islamist*innen rekrutieren seit Jahren auf Social Media. Jeder Angriff auf die offene, pluralistische Gesellschaft, wie auch der auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg, zieht Hass-Kampagnen nach sich. Da verbreitete etwa X-Besitzer und Populismus-Schleuder Elon Musk Desinformation über die Tat, beschimpft den Bundeskanzler Olaf Scholz, unterstützt die AfD. X hat sich also in Deutschland hinter die Rechten gestellt.
In den USA hat die Plattform Trump unterstützt. Im Gegenzug gab’s einen Regierungsposten für Musk. Auch Meta hat sich inzwischen in das Lager einsortiert. Nach Monaten der Annäherung war Meta-Gründer Mark Zuckerberg im November bei Trump zum Essen eingeladen. Kurz darauf spendete Meta mal eben eine Million US-Dollar für die Amtseinführung.
Dabei geht es nicht um Ideale, sondern um eine gewogene Gesetzgebung – also um Geld. In der EU sieht es da für Meta gar nicht gut aus. Denn Irland greift durch, hat Meta im Dezember wegen Datenschutzlücken eine Strafe von 251 Millionen Euro auferlegt. Hier zeigt sich, was Politik im Guten kann!
Jubel für Australien
Was Politik aber auch gut kann: populistische, bequeme Lösungen anbieten, die nichts verbessern werden an den Problemen von Social Media. Genau dafür wurde Australien 2024 groß bejubelt. Der Senat beschloss, dass Menschen unter 16 Jahren bestimmte Social-Media-Plattformen nicht mehr nutzen dürfen wegen psychischen Auswirkungen, Cybermobbing, Grooming. All das sind reale, schreckliche Gefahren. Australien hat recht damit, zu handeln. Doch die Art ist falsch.
Stellen Sie sich vor, Sie dürften, bis Sie 16 sind, nicht Fahrrad fahren. Es bringt Ihnen auch niemand bei. Tatsächlich sollen Sie sogar wegschauen, wenn Sie Radler*innen sehen. Mit 16 bekommen Sie ein Mountainbike, eins mit E-Motor, so richtig schnell. Damit werden Sie auf einer stark befahrenen hügeligen Landstraße im Nebel ausgesetzt oder in München Schwabing im Berufsverkehr. Zum Glück hat Ihnen auch niemand gezeigt, wie man bremst.
Jugendliche auszusperren, ist kein Schutz; es ist gefährliche Faulheit. Damit drücken sich Staaten davor, soziale Medien besser zu machen. Die Jugendlichen werden trotzdem Fahrradfahren gehen. Auf dunklen Straßen, ohne Licht, damit sie keiner sieht. Ohne Helm, denn die werden ja gar nicht mehr an Jugendliche verkauft.
Auch einige deutsche Politiker*innen finden Ausschlüsse gut. Die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz wehrt sich dagegen. Sie schreibt: „Kinder haben gemäß Artikel 17 der UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf Teilhabe an Medien. Dazu gehören heute auch soziale Medien.“ Sie auszuschließen, stelle „einen Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention dar“. Warum also macht es Australien? Warum wollen auch Frankreich und Norwegen das Mindestalter für Social Media – denn ja, das gibt es, auch in Deutschland – erhöhen? Weil alles andere anstrengender wäre.
Mehr Verbote, mehr Klarnamen
Egal ist ihnen wohl, dass die Konzerne dafür Social-Media-Accounts mit persönlichen Daten verknüpfen müssen: mit Klarnamen und mit Geburtsdaten. All diese Daten sind auch hackbar. So können Menschen in Zukunft mit ihren Accounts in Verbindung gebracht werden. Beiträge über Hobbys, Leidenschaften, Sexualität, Ideale, das ganze bunte Leben, das wir online zeichnen, bekommt unseren Klarnamen.
Das ist eine Gefahr besonders für queere Menschen, Menschen mit Migrationsgeschichte, Frauen, Systemkritiker*innen, Aktivist*innen. Sie werden in manchen Staaten verfolgt durch die Regierung. In anderen durch einen hasserfüllten rechten Mob.
Dabei kann Politik soziale Medien verbessern. Die Suchtgefahr ließe sich bei Tiktok etwa entschieden vermindern, wenn man die App nur 20 Minuten am Stück nutzen kann vor einer gesetzlich vorgeschriebenen mehrstündige Pause.
Gleichzeitig muss die Moderation von Inhalten ausgebaut werden. Das heißt: mehr Moderator*innen, überall auf der Welt, mit gutem Gehalt, mit psychologischer Betreuung. Nicht Ausbeutung in Niedriglohnländern. Wenn wir gute Moderationen wollen, dann muss es den Moderator*innen gut gehen!
Holocaustleugnungen
Es braucht verbindliche Regeln gegen politische Werbung, die auch durchgesetzt werden. Dafür hat die EU schon ihre Werkzeuge, den Digital Services Act und den Digital Markets Act. Wie wirksam sie sind, wird sich jetzt bei den Untersuchungen gegen TikTok im Zuge der Rumänien-Wahl zeigen.
Diese Werkzeuge können sie ausbauen, vielleicht sogar mit dem Ansatz, den der britische Technikminister Peter Kyle in einem Interview mit Sky News ins Spiel brachte: Wenn sich nichts ändert, müssen halt die Konzern-Bosse in Haft. „Herr Musk, Sie sitzen jetzt die nächsten drei Monate ein. Und dann dürfen Sie raus – vorausgesetzt, die Quote der Holocaustleugnungen hat sich mindestens halbiert.“
Aber auch außerhalb Plattformen muss Politik tätig werden. In erster Linie bedeutet das: KEINE KÜRZUNGEN IM SOZIALEN! Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Lehrkräfte, Sozialarbeiter*innen, Jugend- und Familienhilfen, Medienpädagog*innen. Sie brauchen Energie und Zeit, um mit Kindern und Jugendlichen digitale Welten erkunden zu können.
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