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Verbotskultur auf Social MediaJugendschutz ohne Jugend

Johannes Drosdowski
Kommentar von Johannes Drosdowski

Der Trend, junge Menschen von Social Media zu verbannen, ist gefährliche Faulheit, findet unser Autor. Stattdessen müssen digitale Räume sicherer werden.

Früh übt sich die Smartphone-Nutzung Foto: imago

D ieses Jahr haben es endlich alle verstanden: Social Media, das ist Politik. Hier werden Attentäter radikalisiert. Hier schreit die Zivilgesellschaft laut ihre Gegenrede raus, wenn rechte Parteien darüber fabulieren, wer im Land bleiben darf und wer nicht. Hier wollen Regierungen Jugendliche raushaben. Angeblich, um sie zu schützen.

Das Feld für Radikale und Ex­treme ist bereitet. Die AfD hat bei Tiktok eine größere Reichweite als alle anderen deutschen Parteien. Is­la­mis­t*in­nen rekrutieren seit Jahren auf Social Media. Jeder Angriff auf die offene, pluralistische Gesellschaft, wie auch der auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg, zieht Hass-Kampagnen nach sich. Da verbreitete etwa X-Besitzer und Populismus-Schleuder Elon Musk Desinformation über die Tat, beschimpft den Bundeskanzler Olaf Scholz, unterstützt die AfD. X hat sich also in Deutschland hinter die Rechten gestellt.

In den USA hat die Plattform Trump unterstützt. Im Gegenzug gab’s einen Regierungsposten für Musk. Auch Meta hat sich inzwischen in das Lager einsortiert. Nach Monaten der Annäherung war Meta-Gründer Mark Zuckerberg im November bei Trump zum Essen eingeladen. Kurz darauf spendete Meta mal eben eine Million US-Dollar für die Amtseinführung.

Dabei geht es nicht um Ideale, sondern um eine gewogene Gesetzgebung – also um Geld. In der EU sieht es da für Meta gar nicht gut aus. Denn Irland greift durch, hat Meta im Dezember wegen Datenschutzlücken eine Strafe von 251 Millionen Euro auferlegt. Hier zeigt sich, was Politik im Guten kann!

Jubel für Australien

Was Politik aber auch gut kann: populistische, bequeme Lösungen anbieten, die nichts verbessern werden an den Problemen von Social Media. Genau dafür wurde Australien 2024 groß bejubelt. Der Senat beschloss, dass Menschen unter 16 Jahren bestimmte Social-Media-Plattformen nicht mehr nutzen dürfen wegen psychischen Auswirkungen, Cybermobbing, Grooming. All das sind reale, schreckliche Gefahren. Australien hat recht damit, zu handeln. Doch die Art ist falsch.

Stellen Sie sich vor, Sie dürften, bis Sie 16 sind, nicht Fahrrad fahren. Es bringt Ihnen auch niemand bei. Tatsächlich sollen Sie sogar wegschauen, wenn Sie Radler*in­nen sehen. Mit 16 bekommen Sie ein Mountainbike, eins mit E-Motor, so richtig schnell. Damit werden Sie auf einer stark befahrenen hügeligen Landstraße im Nebel ausgesetzt oder in München Schwabing im Berufsverkehr. Zum Glück hat Ihnen auch niemand gezeigt, wie man bremst.

Jugendliche auszusperren, ist kein Schutz; es ist gefährliche Faulheit. Damit drücken sich Staaten davor, soziale Medien besser zu machen. Die Jugendlichen werden trotzdem Fahrradfahren gehen. Auf dunklen Straßen, ohne Licht, damit sie keiner sieht. Ohne Helm, denn die werden ja gar nicht mehr an Jugendliche verkauft.

Auch einige deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen finden Ausschlüsse gut. Die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz wehrt sich dagegen. Sie schreibt: „Kinder haben gemäß Artikel 17 der UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf Teilhabe an Medien. Dazu gehören heute auch soziale Medien.“ Sie auszuschließen, stelle „einen Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention dar“. Warum also macht es Australien? Warum wollen auch Frankreich und Norwegen das Mindestalter für Social Media – denn ja, das gibt es, auch in Deutschland – erhöhen? Weil alles andere anstrengender wäre.

Mehr Verbote, mehr Klarnamen

Egal ist ihnen wohl, dass die Konzerne dafür Social-Media-Accounts mit persönlichen Daten verknüpfen müssen: mit Klarnamen und mit Geburtsdaten. All diese Daten sind auch hackbar. So können Menschen in Zukunft mit ihren Accounts in Verbindung gebracht werden. Beiträge über Hobbys, Leidenschaften, Sexualität, Ideale, das ganze bunte Leben, das wir online zeichnen, bekommt unseren Klarnamen.

Das ist eine Gefahr besonders für queere Menschen, Menschen mit Migrationsgeschichte, Frauen, Systemkritiker*innen, Aktivist*innen. Sie werden in manchen Staaten verfolgt durch die Regierung. In anderen durch einen hasserfüllten rechten Mob.

Dabei kann Politik soziale Medien verbessern. Die Suchtgefahr ließe sich bei Tiktok etwa entschieden vermindern, wenn man die App nur 20 Minuten am Stück nutzen kann vor einer gesetzlich vorgeschriebenen mehrstündige Pause.

Gleichzeitig muss die Moderation von Inhalten ausgebaut werden. Das heißt: mehr Moderator*innen, überall auf der Welt, mit gutem Gehalt, mit psychologischer Betreuung. Nicht Ausbeutung in Niedriglohnländern. Wenn wir gute Moderationen wollen, dann muss es den Mo­de­ra­to­r*in­nen gut gehen!

Holocaustleugnungen

Es braucht verbindliche Regeln gegen politische Werbung, die auch durchgesetzt werden. Dafür hat die EU schon ihre Werkzeuge, den Digital Services Act und den Digital Markets Act. Wie wirksam sie sind, wird sich jetzt bei den Untersuchungen gegen TikTok im Zuge der Rumänien-Wahl zeigen.

Diese Werkzeuge können sie ausbauen, vielleicht sogar mit dem Ansatz, den der britische Technikminister Peter Kyle in einem Interview mit Sky News ins Spiel brachte: Wenn sich nichts ändert, müssen halt die Konzern-Bosse in Haft. „Herr Musk, Sie sitzen jetzt die nächsten drei Monate ein. Und dann dürfen Sie raus – vorausgesetzt, die Quote der Holocaustleugnungen hat sich mindestens halbiert.“

Aber auch außerhalb Plattformen muss Politik tätig werden. In erster Linie bedeutet das: KEINE KÜRZUNGEN IM SOZIALEN! Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Lehrkräfte, Sozialarbeiter*innen, Jugend- und Familienhilfen, Medienpädagog*innen. Sie brauchen Energie und Zeit, um mit Kindern und Jugendlichen digitale Welten erkunden zu können.

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Johannes Drosdowski
Redakteur Medien/Digitales
Redakteur für Medien und Digitales. Ansonsten freier Journalist und Teamer zum Thema Verschwörungserzählungen und Fake News. Steht auf Comics, Zombies und das Internet. Mastodon: @drosdowski@social.anoxinon.de
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7 Kommentare

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  • „Stattdessen müssen digitale Räume sicherer werden."



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    So wie der Kommentarbereich der taz, wo Netti und die Ihren die Kommentare inspizieren. Bist Du hier nicht linientreu, gibt sie deinen Text nicht frei.



    (Ihr Kommentar wartet auf Freigabe; senden Sie ihn bitte nicht mehrfach ab.)

  • Daß das Ganze eine Gefahr für die Demokratie darstellt, schon seit dem Aufkommen der ersten Mailinglisten, dürfte wohl mittlerweile klar sein. Eine gute Antwort darauf ist gar nicht so einfach.

  • Jein. Es wird immer einen Teil des Internets geben, der nicht in die Hand Unmündiger gehört. Man kann natürlich die kleinen Leute früher mündig machen. Warum man das in diesem Fall wollen sollte, ist mir schleierhaft. Als ob wir nur darauf gewartet haben. das das Spielen im Wald endlich überwunden wird.

    Das Internet ist nur teilweise ein Fahrrad, dessen Beherrschen quasi ausschließlich Vorteile hat. Der Teil, um den sich gestritten wird, und nach dem kleine wie große Leute süchtig sind, ist ein Auto, dessen Bedienung eine Gefahr für sich und Andere bedeutet - selbst wenn es beherrscht wird.

    Richtiger wäre, den Menschen insgesamt einen verantwortlicheren Konsum zu ermöglichen, so dass die Großen den Kleinen diesen vorleben können. Der derzeitige Zustand des Internets und der großen Leute lässt das aber nicht zu.

  • Mit 16 erstmalig Fahrrad fahren, als Vergleich zum Verbot von sozialem Medien?



    Respekt. Ihnen fällt wirklich nichts mehr ein.



    Ab 16 können Alkohol, Nikotin und Cannabis konsumiert werden, auch völlig unvorbereitet. Klappt doch ganz gut, oder?

    Und mal wieder nur fordern, fordern, fordern.



    Natürlich nicht von sich selbst, sondern von anderen.



    Woher sollen denn Lehrkräfte, Sozialarbeiter, Jugend- und Familienhilfen, Medienpädagogen kommen?

    Die sozialen Medien lassen sich nicht beherrschen. Sie sind eine "Naturgewalt".

    Der Rest des Artikels ist wieder klassisch.



    Böse Medienkonzerne, Gewalt und Unterdrückung gegen typische Minderheiten ausgehend vom typisch Bösen.

    Leider nicht wertvoll.

  • Diese Argumentation zu Ende gedacht müssen wir alle Jugendschutzgesetze einstampfen, denn sie verbieten alle mit gutem Grund gewisse Aktivitäten für Kinder und Jugendliche bis zu einem gewissen Alter.



    Die neurobiologischen Auswirkungen der sozialen Medien sind hinlänglich bekannt und die lassen sich auch mit Medienerziehung nicht einhegen, denn die Algorithmen der sozialen Medien sind darauf angelegt das Belohnungszentrum im Gehirn (Dopamin) zu manipulieren um die Nutzer möglichst lange am Bildschirm zu halten. Bei Jugendlichen, bei denen das Gehirn in der Pubertät neu strukturiert wird, führt dies zu einer bleibenden Manipulation und häufig zur Sucht.



    Natürlich müssen die großen Tech-Firmen massiv reguliert werden, aber bis das erreicht ist kann nur ein Verbot schützen. Denn die Regulierung werden die Unternehmen nicht wehrlos hinnehmen, da sie eine Veränderung der Geschäftsmodelle erfordert und damit ihre heute fast grenzenlose Macht beschneidet.



    Die Unternehmen werden unvorstellbare Lobbygelder investieren und es wird Jahre wenn nicht Jahrzehnte dauern diese Änderungen durchzusetzen. In dem Zusammenhang zu empfehlen: The Tech Coup von Marietje Schaake.

  • Ich habe zufällig mit 16 das erste Mal richtig versucht zu lernen, wie man Rad fährt. War in einem beliebten Park, es gab nicht genug Platz um ungestört zu üben und es war mir peinlich, in der hippen Gegend auf die Nase zu fallen.



    Mit 20 habe ich das wiederholt, nachts auf einem Parkplatz, der damals noch halb leer war. Am Anfang wenig elegant, bis ich sicher genug war, an der richtigen Welt teilhaben zu können. In dem Alter, wie auch schon mit 16, weiß man eben mehr über die Welt, als man es mit 6 Jahren getan hätte. Wie man sich den Raum nimmt, den man braucht, das lernt man erst später. Wir geben deshalb den Jüngsten die Möglichkeit, auf dem Gehweg Fahrrad zu fahren, nicht auf der Straße. Die Straße sollte Straße bleiben und der Jugend ein eigener, sicherer Raum geboten werden.

    Auch bin ich mit 12 ins Internet gefallen, habe dort mit 13 im Grunde gelebt. Es fühlte sich wie eine Befreiung an, war aber am Ende etwas, das mir sehr geschadet hat.

    Die Menschen haben damals in der Kneipe auch andere Unterhaltungen geführt als im Familiencafé. Wir sollten auch nicht den Fehler machen, Räume für Erwachsene zu schließen. Denn nur dort können auch ehrliche und offene Diskurse entstehen.

  • Der Vergleich mit dem Fahrrad ist exemplarisch naiv, unzutreffend und albern wie nur was. Aber das weiß der Autor selbst, denn einen wirklich guten Vergleich gibt es nämlich nicht. Zudem erfasst er nicht den Kern der Gefahr von der Nutzung von Social Media, sondern zeigt lediglich die manipulativen Seiten und möglichen Falschinformationen und Indoktrinationen auf. Diese sind aber die Begleiterscheinungen, zwar ein sehr großes Problem, aber nicht die Eingangsgefahr, der Kinder ausgesetzt sind. Es geht nämlich un die Abhängigkeit, den Time-Killern, dem Konsum von vielen unterschiedlichen Dingen, die dazu führen, dass dieser Konsum Kinder in ihrer ganzen Entwicklung beeinflussen, behindern und nachhaltig beeinträchtigen. Einfach mal die anderen Artikel zu diesem Thema lesen - s. der Artikel des Kinderpsychologen dazu, und schon wäre dieser Artikel passe.