Verbot der Hisbollah in Deutschland: Was? Erst jetzt?
Die Hisbollah hat den Libanon in Geiselhaft genommen. Und die deutsche Regierung hat sich lange narren lassen.
D as Lob und die Freude über das von Innenminister Horst Seehofer erlassene Betätigungsverbot für die libanesische Hisbollah ist schon recht befremdlich. Die angemessenere Reaktion müsste doch lauten: Was? Erst jetzt? Wie kann es sein, dass bisher nur der militärische Arm der schiitischen Extremistenorganisation verboten war, und das auch erst seit 2013? Richtig gelesen: Auch jene, die an Bomben gegen jüdische und amerikanische Einrichtungen basteln, Raketen gen Haifa in Stellung bringen, an der Seite von Assad gegen die Aufständischen kämpfen und in den vergangenen Jahrzehnten Anschläge in aller Welt planten, konnten bis vor sechs Jahren in Deutschland unbehelligt Spenden für ihr Tun sammeln und sich in aller Ruhe treffen.
Als Begründung wurde durchaus auch von deutschen Diplomaten angeführt, die Hisbollah sei doch so viel mehr als nur eine militärische Organisation. Sie sei eben auch eine politische Partei und ein Wohlfahrtsnetzwerk für die schiitische Bevölkerung, das unter anderem Krankenhäuser und Schulen unterhält, soziale Unterstützung ausbezahlt und sich teilweise sogar um die Müllentsorgung kümmert. Im Libanon, wo der Staat schwach ist und die staatlichen Aufgaben nur sehr mangelhaft oder gar nicht erfüllt werden, ist das eine Menge.
Aber genau das ist die Strategie der Hisbollah: sich mit sozialen Diensten und Wohltätigkeiten in der Bevölkerung unentbehrlich zu machen, Respekt und Anerkennung zu generieren. Die große Gruppe dankbarer Sympathisanten garantiert einen steten Fluss an neuen Mitgliedern für die Hisbollah. Im Libanon ist sie ein Staat im Staate, die einzige Gruppierung, die eine eigene bewaffnete Miliz unterhält und das Land in Geiselhaft genommen hat. Niemand kann die Hisbollah entwaffnen oder einen wie auch immer gearteten politischen Beschluss durchsetzen.
In der Lesart der Hisbollah ist sie ein Gesamtpaket, auch wenn formal und organisatorisch zwischen militärischen, politischen und sozialen Teilen unterschieden wird. Umso unverständlicher, dass auch die deutsche und die meisten europäischen Regierungen sich so lange haben narren lassen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung