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Verbindungen des Lübcke-MördersHessen droht U-Ausschuss

Der Ex-Verfassungsschützer Andreas Temme soll mit dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder „dienstlich befasst“ gewesen sein. Ein U-Ausschuss könnte folgen.

Klingelingeling – dem hessischen Verfassungsschutz droht erneut ein Untersuchungsausschuss Foto: dpa

Hessen steuert auf einen neuen Untersuchungsausschuss zu – und zwar zum Mordfall Lübcke. Nachdem am Donnerstag Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) einräumte, dass es einen dienstlichen Bezug des früheren Verfassungsschützers Andreas Temme, der am Tatort des NSU-Mordes in Kassel war, mit dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan Ernst gibt, stellte die Opposition einen U-Ausschuss in Aussicht.

Auf Nachfrage der SPD hatte Beuth im Innenausschuss erklärt, Temme – ein einst langjähriger V-Mann-Führer – sei mit Ernst „dienstlich befasst“ gewesen. Näheres wollte er dazu nicht sagen. Ein Sprecher des Verfassungsschutz teilte aber der taz mit, es gehe um zwei Vermerke in Ernsts Personenakte aus dem Jahr 2000, die Temme unterzeichnet habe. Ernst war damals in der Kasseler Neonazi-Szene aktiv und galt als gewalttätig. Dienstliche Treffen zwischen Ernst und Temme seien nicht bekannt, sagte der Sprecher. Auch eine Zusammenarbeit von Ernst mit dem Landesamt habe es „zu keiner Zeit“ gegeben, ebenso wenig sei dieser V-Mann gewesen.

Die Rolle von Andreas Temme ist bis heute dubios. Der Verfassungsschützer war am Tatort, als der NSU im April 2006 in Kassel Halit Yozgat in seinem Internetcafé erschoss. Nur zufällig sei er dort gewesen, von dem Mord habe er nichts mitbekommen, beteuert Temme bis heute. Er wurde 2007 schließlich versetzt – und arbeitete zuletzt im Regierungspräsidium, das der im Juni erschossene Walter Lübcke (CDU) leitete. Zu dieser Tat bekannte sich Stephan Ernst: Er habe Lübcke wegen dessen Kritik an Geflüchtetengegner auf einer Bürgerversammlung 2015 getötet. Später widerrief er sein Geständnis.

Nach dem jetzigen Hinweis auf Temme halte er „einen Untersuchungsausschuss zum Mord an Walter Lübcke für nahezu unausweichlich“, erklärte der SPD-Parlamentsgeschäftsführer Günter Rudolph. Auch der FDP-Innenpolitiker Stefan Müller nannte es „erstaunlich“, dass die Information erst auf Nachfrage ans Licht komme. „Diese Informationspolitik ist ein weiteres Mal aufs Schärfste zu kritisieren. Der Innenminister bettelt um einen Untersuchungsausschuss.“ Der Linken-Innenexperte Hermann Schaus sagte ebenso: „Der Innenminister, CDU und Grüne legen ein Verhalten an den Tag, dass einen neuen Untersuchungsausschuss nahezu unumgänglich macht.“

Frühzeitige Löschung der Akte

Innenminister Beuth appellierte dagegen, sich „an die Fakten zu halten, anstatt durch haltlose Thesen Verschwörungstheorien zu bedienen“. Dass sich Temme, beim Verfassungsschutz zuständig für den Bereich Rechtsextremismus, auch mit dem damaligen Szeneangehörigen Ernst befasst habe, sei „nicht überraschend“. Beuth warnte die Opposition, „Sachverhalte unnötig zu skandalisieren“.

Schon zuletzt aber gab es Fragezeichen um Stephan Ernst. So hatten die Sicherheitsbehörden behauptet, den 45-Jährigen nicht mehr auf dem Radar gehabt zu haben, weil er seit 2009 unauffällig gewesen sei. Laut Ermittlern besuchte Ernst in den vergangenen Jahren aber weiter rechte Demonstrationen, ein Foto soll ihn 2018 bei einem Aufmarsch in Chemnitz zeigen. Auch hielt er Kontakt zu dem Kasseler Rechtsextremisten Markus H., der ihm schließlich die Tatwaffe vermittelt haben soll. Von Ernst wie von H. löschte der Verfassungsschutz frühzeitig die Akte.

Der Linke Schaus sprach mit dem Temme-Hinweis von einem „erneuten Versagen“ des Verfassungsschutz. Die dortigen Vorgänge seien möglicherweise auch „ein Fall für die Justiz“. Für FDP-Mann Müller bleibt die Frage, ob Temme an der Entscheidung beteiligt war, dass Ernst als „abgekühlt“ galt.

Die regierenden CDU und Grüne lehnten einen Untersuchungsausschuss zum Fall Lübcke zuletzt ab. Beide Parteien warnten davor, die laufenden Ermittlungen zu gefährden. „Jetzt ist die Zeit der Ermittler“, sagt Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Jürgen Frömmrich zuletzt der taz. Erst nach einer Urteilsverkündung könne man sich „mit weiteren Maßnahmen beschäftigen“.

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9 Kommentare

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  • Das auffällige am Hessischen Innenminister Peter Beuth ist, dass er diesbezüglich den Hessischen Landtag (besonders die Oppositionsparteien) nicht mit relevanten Informationen versorgt und bei bekanntwerden solcher dann sagt: Wo ist der Skandal?



    Andreas Temme hatte keinen dienstlichen Kontakt zu Stefan Ernst, er war halt “nur“ mit dieser Personalie “befasst“, so heißt es hierzu vom Hessischen Innenminister. In Beuth's Welt existieren nur unauffällige Sachverhalte ohne besondere Vorkommnisse.

  • "Dienstliche Treffen zwischen Ernst und Temme seien nicht bekannt, sagte der Sprecher."

    Ja, wer wird das denn widerlegen? Ein Untersuchungsausschuss? Bei all den bereits gelöschten Akten und Daten?

    Ich prognostiziere, dass selbst ein Untersuchungsausschuss nix Handefestes herausbringen wird. Aber einen Versuch ist es wert.

    Und Temme ist dubios. Wen er wie und wo kannte, darüber schweigt dieser Mensch. Und das ist wohl auch klug so. Die echte Frage muss sich doch an Bouffier richten, warum er noch geschützt wurde, als jeder ahnte, wie dubios Temme selber war und ist.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Die Headline trifft das gegenwärtige Hessen-Dilemma äußerst unzureichend. Alles viel zu zahm.

    Ich nenne den Sachverhalt Politikversagen. Zur Erinnerung: der amtierende Innenminister des Jahres 2006 (NSU-Morde) in Hessen hieß ...

    ... tatatata ... Volker Bouffjeh.

    Heute darf dieser Mensch den Ministerpräsidenten-Darsteller geben. Applaus, Applaus. (Kermit, der Frosch)

    Der derzeitige IM hat ein prächtiges Vorbild. Im Versagen, Wegschauen, Wegreden.

    Heute schwingt Bouffjeh die großen Reden. Der Junior-Partner zeigt, was von ihm zu erwarten ist. Nichts.

    Politik-Versagen auf der ganzen Linie. Da sind etliche reif für die Insel.

  • Ich fasse es nicht.



    Und dann werden noch vorzeitig die Akten beim VS von Stephan Ernst und Markus H. gelöscht.



    Ich frage mich, warum die Verstrickungen von Andreas Temme in der Faschistenszene nicht gründlicher untersucht oder recherchiert werden.



    Wie weit geht seine private Motivation in Richtung Rechtsextremismus.



    Kann er dienstliches von privatem trennen?



    Wie können gewaltbereite Faschos vom Schirm des VS verschwinden, sich Waffen besorgen, den späteren Tatort erkunden, um dann Herrn Dr. Walter Lübcke, der Polizeischutz bräuchte, zu eschiessen?



    Wie gesagt: ich fasse es nicht.

  • und so eine Regierung hat man in Hessen wieder gewählt!



    So viele Zufälle gibt es nicht mal in der Chaos Theorie... Es ist ein Totalversagen der Behörden.



    M. Meinung nach sollte der Hessens Innenminister zurücktreten.

  • WANN .... zählt endlich mal jemand öffentlich 1 und 1 zusammen und hört auf von Pannen zu reden.... Reicht es nicht, dass ein Rechtsaußen über Jahre die Behörde führte, in der pausenlos Beweise verschwinden, wenn es um Rechtsextreme geht?



    Reicht es nicht, dass wir wissen, dass der Verfassungsschutz faktisch die NPD finanziert und viele Führungskader auf ihrer Gehaltsliste stehen (der Verfassungsschutz also gezielt und mit Steuergeldern ein Verbot der NPD aktiv verhindert).



    Reichen nicht die ganzen Ungereimtheiten im NSU Prozess ......

    ...um endlich zu erkennen, dass der Verfassungsschutz den Rechtsextremismus nicht bekämpft, sondern Teil des Braunen Netzwerkes ist, das tief in unseren Staat eingedrungen ist - in Polizei, Justiz, Militär und Behörden.

    Vielleicht sollte mal jemand die Todeslisten der Nazis mit den Akten des Verfassungsschutzes vergleichen .....

    Wer hier noch von Pannen redet, ist naiv. Hier wird absichtlich vertuscht.

    • @Michael Garibaldi:

      Ich verstehe Ihre Haltung total. Vielleicht beruhigt es, dass dieses "Eins und eins nicht zusammen zählen wollen" derzeit überall sichtbar.

      Das ist nicht beschränkt auf das Nazi-Thema.

      Überall stecken wir bis zum Hals im Sumpf, und die Dinge sind oft so offensichtlich, aber alle bröseln blöd im Kreis drum herum und keiner will mal "eins und eins zusammenzählen".

      Wenn man es den Leuten mal abnimmt, und diesen Additionsschritt für sie mal ausführt, sind alle ganz entgeistert und verweigern die weitere Diskussion, weil man ja keine Verschwörungstheorien befeuern wolle (weil es eben nicht immer für alles handfeste Beweise gibt), und weil der Diskussionsstil den zarten Pflänzchen dann schnell zu rauh wird (was ich für vorgeschoben halte, um sich der unangenehmen Debatte zu entstehlen und im chilligen Netflix-Modus bleiben zu können).

      • @Josef Hahn:

        Der Rechtsextremismus IST eine Verschwörung. Das ist keine Theorie.

        Seit den 80ern gehen Nazis gezielt in die Bundeswehr und zur Polizei. Braune Burschenschaften sind tief in das Justizsystem verstrickt. (Man sehe sich nur mal das Urteil gegen Künast an).



        Im Osten sterben Migranten unter seltsamen Umständen in Gefängniszellen.



        Den Langen Weg in das System siind die Nazis sehr erfolgreich angetreten.

        Eine Gestalt wie Maaßen ist nur die Spitze des Eisberges. Unter Strauß, Kohl & Co. Haben es sich brauen Seilschaften gemütlich gemacht in Ämtern und Ministerien.



        Haben Nazis gezüchtet und gehegt durch den Verfassungsschutz.

        Diese Behörde muss aufgelöst werden und wir brauchen eine große Untersuchung brauner Seilschaften in Verwaltung, Militär, Justiz und Polizei.



        Sonst werden wir eines morgens aufwachen ..... und Herr Höcke oder noch ein schlimmerer wird entscheiden, wer von uns die nächsten Monate überlebt......

        Das ist alles kein Spaß. Die Todeslisten sind sehr ernst gemeint und unsere llschaft ist komplett unbewaffnet und unvorbereitet...

  • „Jetzt ist die Zeit der Ermittler“, sagt Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Jürgen Frömmrich zuletzt der taz."



    Ob mit den Grünen in Berlin an der Macht irgend etwas besser wird.... ???