Veganer Käse auf Cashewbasis: Magic Mushrooms

Schimmmelpilze brauchen keine Milch, um Camembert herzustellen. Fetthaltige Kerne und Nüsse funktionieren ebenso. Zu Besuch bei einem Käsekurs.

Mehrere aufgeschnitte Schimmelkäselaibe verschiedener Sorten, innen weiß, außen gemustert

Sieht aus wie Käse. Ist auch Käse. Nur eben ohne Milch Foto: Marlene Halser

Es gibt eine Pilzgattung, die von Insekten Besitz ergreift. Gelangen die Sporen eines Cordyceps Fungus in das System einer Ameise, übernimmt der Pilz die Kontrolle über das Tier. Wie ferngesteuert klettert das befallene Insekt auf den höchsten Punkt in der Umgebung und krallt sich dort fest. Beste Bedingungen für den Fruchtkörper des Pilzes, der daraufhin aus dem Kopf der Ameise wächst, um seine Sporen in den Wind zu hängen, auf dass der sie zur nächsten Ameise trägt.

Um zu verstehen, wie es sein kann, dass Schimmelkäse aus Cashewkernen genauso schmeckt wie Schimmelkäse aus Milch – das tut er nämlich –, muss man das Wesen von Pilzen verstehen. Was Pilze brauchen, ist ein geeigneter (Nähr-)Boden oder ein Wirt; dann wuchern und breiten sie sich aus. Ob nun durch Ameisen, auf verrottenden Baumstümpfen, fermentierter Milch oder den im Kühlschrank vergessenen Resten von vorletzter Woche, hängt allein von der Pilzgattung ab.

Pilze sind außerdem keine Pflanzen und deshalb auch nicht zur Photosynthese fähig. Stattdessen betreiben essbare Schimmelpilze wie der Penicillium camemberti etwas, was sich Proteolyse nennt: Sie bauen vorhandene Proteine ab. Und die finden sie nicht nur in Kuhmilch, sondern auch in Nüssen.

Surdham Göb experimentiert bei der Käseherstellung vor allem mit Cashewkernen – so wie die meisten Hersteller von in Biomärkten erhältlichem veganem Schimmelkäse.

„Die Cashew ist eine fette und ansonsten sehr gefällige Nuss“, sagt Göb, während er die über Nacht eingelegten Cashews aus dem Kühlschrank nimmt. „Anders als etwa Sonnenblumenkerne oder Walnüsse bleibt sie nicht so faserig, wenn man sie in den Mixer gibt.“

Vater, Mutter, Käse

Stinkend und herb schmeckt der rötlich-braune Rotschmierkäse. Würzig nach Kaminfeuer der Geräucherte. Mild und nussig der Weißschimmel-Camembert

Normalerweise bereitet der 43-Jährige Profikoch in seiner kleinen Gastroküche in München vegane Gerichte aus seinem Catering-Repertoire zu. Mehrmals im Jahr bietet Göb, ein Surfertyp mit raspelkurzem Haar und Madonna-Zahnlücke, außerdem vegane Koch- und Käse­kurse an. Käse zu machen sei in etwa so, wie Eltern zu sein, sagt Göb. „Eigentlich muss man nur sauber arbeiten und ein gutes Milieu schaffen, in dem sich der Käse wohlfühlt und wachsen kann.“ Ist also simpel. Zumindest theo­retisch.

Rein praktisch macht die Herstellung natürlich doch eine Menge Arbeit, die Zeit braucht, Geld kostet („ohne Vitamix geht nix“) und bei der viel schiefgehen kann. Vor allem dann, wenn man eben nicht sauber arbeitet. Denn das gute Milieu zieht nicht nur die erwünschten Pilze und Bakterien an. „Am Anfang wirst du alles Mögliche züchten, von dem du nicht mal weißt, dass es existiert“, sagt Göb in gespieltem Grauen. „Eine Spore, und dann geht die Gaudi los.“

Was man also dringend braucht, sind Einweglatexhandschuhe, die man tunlichst wechseln sollte, wenn man mit verschiedenen Pilzkulturen gleichzeitig arbeitet – mit Weißschimmel und Blauschimmel zum Beispiel. Die eingeweichten Cashewkerne selbst müssen, bevor sie in den Mixer gehen, mit heißem Wasser überbrüht werden, um Keime abzutöten. Dann muss aber schnell wieder kaltes Wasser her, weil die Cashews sonst ihren Fettanteil verlieren – von dem ernährt sich der Pilz.

Damit man die zunächst mit gewöhnlichen Milchsäurebakterien aus der Apotheke fermentierten und anschließend mit Pilzsporen geimpften Käselaibchen aus Cashewmus im Laufe der drei bis vier Wochen dauernden „Käsepflege“ beim Wenden nicht anfassen muss, empfiehlt Göb Backpapier. Denn wer weiß schon, was einem so alles an den Fingern klebt? Waschen reicht da manchmal nicht.

Vom Bierbrauen zur Käserei

Surdham Göb ist ein Lebensmittelbastler. Seit Jahrzehnten schon kocht er vegan und hat mehrere Kochbücher geschrieben. Er will die chemischen und organischen Prozesse in Lebensmitteln verstehen. „Ich bin übers Bierbrauen zur Käseherstellung gekommen; über die Hefe, die ja auch ein Pilz ist“, erzählt Göb. Sein Verständnis von Hefe wiederum fing mit dem Backen veganer Kuchen und Torten an.

Seit drei Jahren experimentiert Göb mit der veganen Käseherstellung. Er las viel im Netz, bestellte die unterschiedlichsten Sporen und Bakterien, probierte aus. Trotzdem sei er in der Kunst des veganen Käsemachens noch lange nicht da, wo er sein wolle. Immerhin hat er jetzt ein 10-Schritte-Programm entwickelt, das er anderen in seinen Käsekursen vermitteln könne.

Allzu viel selbst ausprobieren kann man dabei nicht. Dafür dauert es zu lange, bis innerhalb eines Arbeitsschritts wirklich etwas Sichtbares mit dem Käse geschieht. Es ist mehr ein Lauschen und Staunen, wenn der Käsemeister die einzelnen vorbereiteten Schritte seiner Arbeit präsentiert, bis hin zum Ergebnis.

Auf Göbs frisch gebackenem Ciabattabrot mit Oliven schmecken alle veganen Käsesorten köstlich – und so vollständig nach Käse, dass man sich fragt, wie von Tieren gewonnene Milch als Ausgangsprodukt so lange das Käsemonopol halten konnte. Stinkend und herb der rötlich-braune Rotschmierkäse. Würzig nach Kaminfeuer der Geräucherte (für den man noch mal mehr Equipment braucht), mild und nussig der Weißschimmel-Camembert, bitzelig und raß der Blauschimmelkäse.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Bei einem abschließenden Glas Champagner kommt Göb ins Philosophieren. „Pilze und Bakterien sind die großen Übersetzer“, sagt er, „sowohl im Körper als auch in der Natur.“ Die Wissenschaft gibt ihm recht. Pilze und Bakterien zersetzen (und verdauen) nicht nur und wandeln so in Nährstoffe um.

Im Waldboden dient das unterirdisch verlaufende Pilzmycel auch als weitverzweigtes Kommunikationsnetz, das in der Lage ist, Bäume kilometerweit miteinander zu verbinden. Wissenschaftler, die diese Verbindungen erforscht haben, sprechen deshalb von einem „Wood Wide Web“. Nach dem Kurs drängt sich deshalb der dringende Verdacht auf: Pilze werden in ihrer Bedeutung chronisch unterschätzt.

So werden Cashews zu Käse

Ein Kilo Cashewkerne ergibt zwölf kleine Weißschimmelkäse à 100 Gramm. Als Erstes müssen die Kerne über Nacht beziehungsweise sechs bis acht Stunden in reichlich Wasser eingeweicht werden. Die Kerne danach gut spülen und kurz mit kochendem Wasser abbrühen. Dann sofort wieder mit kaltem Wasser abschrecken.

Anschließend Cashews, Milchsäurebakterien und Salz in einem Hochleistungsmixer (Vitamix) zu einer glatten Masse verarbeiten (1 Portionslöffel Milchsäure Lactobacillus und Bifidobacterium und 20 g Salz pro Kilo Trockenkerne). Die Masse in einem luftdichten Behälter 12 bis 48 Stunden an einem zimmerwarmen Ort fermentieren lassen.

Anschließend die Käsemasse mit einem gestrichenen Teelöffel Penicilium Candidum impfen und gut verrühren. Die Masse dann in einen Einwegspritzbeutel füllen und in Silikonformen spritzen. Acht Stunden mit Backpapier bedeckt in der Tiefkühltruhe durchfrieren lassen, damit die Masse ihre Form behält. Jedes Käse­laibchen auf ein eigenes Backpapierstück legen und in der gewählten Reifebox bei 10 bis 14 ° C mit geschlossenem Deckel lagern.

Die ersten vier Tage nichts tun, danach die Laibchen alle zwei Tage mit Latexhandschuhen und Backpapier wenden, bis der Schimmelrasen den ganzen Käse bedeckt. Anschließend die Käsestücke in Reifepapier/Camembertpapier wickeln und im Kühlschrank lagern. Fertig!

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