Vaterschaft vor dem Verfassungsgericht: Im Patchworkland mit zwei Vätern
Das Bundesverfassungsgericht könnte eine Liberalisierung des Familienrechts beschließen. Zwei rechtliche Väter könnten neben der Mutter stehen.
An diesem Dienstag wurde der Fall aus Sachsen-Anhalt vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Eine Frau hat mit ihrem Freund ein geplantes Kind gezeugt. Im April 2020 kam es zur Welt. Doch schon im Juni trennte sie sich vom biologischen Vater des Kindes. Dieser wollte zwar die Vaterschaft anerkennen, doch die Mutter ließ den Termin auf dem Standesamt platzen. Sie hatte einen neuen Freund, der alsbald bei ihr einzog und nun seinerseits die Vaterschaft des Säuglings anerkannte.
Doch der biologische Vater kämpfte um seinen Status und focht die Vaterschaft des neuen Partners der Mutter an. Ein Abstammungsgutachten belegte zwar, dass er eindeutig der biologische Vater ist. Dennoch lehnte das Oberlandesgericht Naumburg die Anfechtung ab. Laut Gesetz kann ein biologischer Vater die Vaterschaft des rechtlichen Vaters nicht anfechten, wenn dieser eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind hat.
Der biologische Vater, inzwischen 44 Jahre alt, gab nicht auf und erhob Verfassungsbeschwerde, sowohl gegen das Naumburger Urteil als auch gegen die gesetzliche Grundlage. Der Fall hat also grundsätzliche Bedeutung.
Mehr Flexibilität für die Gerichte
Seine Anwältin Franziska Köpke sagte: „Das Elternrecht meines Mandanten ist verletzt, weil er keine Chance hat, rechtlicher Vater zu werden“. Die rechtliche Vaterschaft wolle er nutzen, um ein gemeinsames Sorgerecht mit der Mutter zu erlangen. Derzeit habe er nur ein gelegentliches Umgangsrecht und auch das habe er sich gerichtlich erkämpfen müssen.
Die Vertreterin der Bundesregierung, Justizstaatssekretärin Angelika Schlunck, ließ Sympathien für die Verfassungsbeschwerde erkennen. „Eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes ist möglich“, sagte Schlunck, „die Gerichte brauchen mehr Flexibilität bei der Feststellung der Vaterschaft.“
Die Mutter will jedoch verhindern, dass ihr Ex-Freund auch zum rechtlichen Vater des inzwischen dreijährigen Jungen wird. Ihr Anwalt Dirk Siegfried sagte in Karlsruhe, der biologische Vater wolle sich nur „konfrontativ in die Beziehung von Mutter und rechtlichem Vater drängen“.
Unterstützt wurde sie vom Deutschen Juristinnenbund. „Wenn der biologische Vater am Sorgerecht beteiligt wird, ist das ein Einfallstor für viele weitere Konflikte, zum Beispiel um den Wohnort oder die Schulwahl“, warnte Vizepräsidentin Lucy Chebout.
Frühere Rechtsprechung korrigieren
Das Bundesverfassungsgericht hat nun drei Möglichkeiten. Wenn es die Verfassungsbeschwerde des biologischen Vaters ablehnt, bleibt der neue Freund rechtlicher Vater des Jungen. Wenn es der Verfassungsbeschwerde stattgibt, muss das Gericht in Naumburg neu entscheiden. Es könnte dann zum Beispiel darauf abstellen, dass der biologische Vater bereits eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind hatte, als er die Vaterschaft anerkennen wollte und dann ausgebremst wurde.
Das Gericht könnte aber auch einen ganz gewagten Schritt gehen und den Weg zur rechtlichen Vaterschaft beider Männer ebnen. Dazu müssten die Karlsruher Richter:innen aber erst einmal ihre eigene Rechtsprechung korrigieren. Noch 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ein Kind maximal zwei Elternteile haben soll, um Komplikationen zu vermeiden.
Kaum Forschung zum Kindeswohl
Darüber wollen die Richter:innen nun aber ausdrücklich noch einmal nachdenken, weshalb sie zur Verhandlung viele psychologische und familienrechtliche Sachverständige eingeladen hatten. Diese konnten allerdings nur bedingt weiterhelfen, es gebe kaum Forschung, wie sich Familien mit drei rechtlichen Elternteilen aufs Kindeswohl auswirken.
Allerdings habe es in ähnlichen Konstellationen keine zusätzlichen Konflikte gegeben, etwa bei Stiefkindfamilien, die Kontakt zum ursprünglichen Vater halten oder wenn bei in-vitro gezeugten Kindern der Samenspender ins Familienleben integriert wird.
Das mit Spannung erwartete Urteil wird in einigen Monaten verkündet.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart