VVN-BdA nicht mehr gemeinnützig: Der Ärger begann in Bayern
Der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes wurde die Gemeinnützigkeit entzogen. Wie konnte es so weit kommen? Die Ursache liegt in Bayern.
Und gleichzeitig steht in Deutschland ein Verein vor dem Aus, der ebendiese Erinnerung hochhält: die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Dem 1947 von Holocaust-Überlebenden gegründeten Verband wurde gerade die Gemeinnützigkeit entzogen. Und die Empörung ist groß.
„Bestürzt“ sei er darüber, schrieb Marian Kalwary, Holocaust-Überlebender aus Polen, anlässlich des Auschwitz-Besuchs an die Kanzlerin. Er bitte „eindringlich“ darum, die Entscheidung zu revidieren. Jüdische Gemeinden solidarisieren sich mit dem Verband, ebenso Gewerkschaften, Sozialverbände, Parteien. Das Internationale Auschwitz-Komitee spricht von einem „Skandal, der Deutschlands Ansehen beschädigt“.
Wie konnte es so weit kommen?
Dokumente, die der taz vorliegen, weisen vor allem auf einen Verantwortlichen: den bayrischen Verfassungsschutz.
Es war das Finanzamt für Körperschaften I in Berlin, das dem VVN-BdA die Gemeinnützigkeit entzog. Schon im Frühjahr hatte das Amt dies dem Bundesverband angedroht, einen Widerspruch lehnte es ab. Im November folgte nun der Vollzug – samt Aufforderung einer Steuernachzahlung im fünfstelligen Bereich. Die Begründung: Der Verein werde in einem Verfassungsschutzbericht als „extremistische Organisation“ aufgeführt – im bayrischen. Demnach sei die VVN-BdA „verfassungsfeindlich“. Der Verlust der Gemeinnützigkeit sei rechtlich damit „zwingend“.
Nur Bayerns Geheimdienst nennt VVN-BdA im Jahresbericht
Nur: Der bayerische Verfassungsschutz ist bundesweit der einzige, der die VVN-BdA in einem Jahresbericht aufführt. Auch das Bundesamt tut dies nicht. Einige Länder sehen „punktuell“ Bezüge zu Linksextremen, aber eben auch viele bürgerliche Akteure. Für andere ist die VVN-BdA schlicht „kein Thema“.
Die Bayern sehen es anders. Die VVN-BdA kooperiere mit „offen linksextremistischen Kräften“, heißt es in deren Verfassungsschutzbericht. Vertreten werde ein „kommunistisch orientierter Antifaschismus“ – was freilich damit zu tun hat, dass viele Kommunisten vom NS-Regimes verfolgt wurden. Der Verfassungsschutz attestiert der VVN-BdA indes auch, alle nichtmarxistischen Systeme als „potenziell faschistisch“ zu betrachten. Dazu komme ein „Schulterschluss“ mit der DKP und „gewaltorientierten autonomen Gruppierungen“.
Und die Behörde bleibt auch nach dem jüngsten Trubel dabei. „Die Einordnung gilt weiterhin“, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums der taz. Und diese sei auch gerichtlich unterlegt.
Tatsächlich streiten die VVN-BdA und der bayerische Verfassungsschutz seit Jahren miteinander. Schon 2010 klagte der Landesverband gegen seine Nennung im Verfassungsschutzbericht – und verlor. Ihm wird in Bayern deshalb bereits seit Jahren die Gemeinnützigkeit versagt. Dem Bundesverband indes wurde diese stets zuerkannt. Bis zur jetzigen Kehrtwende.
Folgenschwer Erlass aus dem Finanzministerium
Der Grund? Das Finanzamt selbst und die Berliner Senatsverwaltung für Finanzen äußern sich dazu nicht: Aufgrund des Steuergeheimnis dürfe man dies prinzipiell nicht. Aber es gibt eine Anweisung aus dem Bundesfinanzministerium vom 31. Januar 2019, ein Erlass zur Abgabenordnung, welche die Gemeinnützigkeit von Vereinen regelt. Dort wird „klargestellt“: Eine Institution verliert ihre Gemeinnützigkeit, sobald sie in einem Verfassungsschutzbericht genannt wird und den vorgeworfenen Extremismus nicht widerlegen kann.
Das Ministerium beruft sich dabei auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs vom März 2018 gegen einen Moscheeverein – das ebendieses festlegte. Es ist eine Beweislastumkehr: Nicht das Finanzamt muss nun belegen, dass ein Verein verfassungswidrig ist, sondern dieser muss seine Verfassungstreue beweisen.
Tatsächlich ging nach dem Urteil und Erlass der Ärger für die VVN-BdA los. Auch in NRW entzogen Finanzämter dem Landesverband und Kreisverbänden die Gemeinnützigkeit. Danach folgte Berlin für den Bundesverband. Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) sagte zuletzt, in solchen Fällen gebe es rechtlich „keinen Spielraum“.
Dabei hätte es sehr wohl Spielraum gegeben, wie die Unterlagen zeigen. Denn selbst der bayerische Verfassungsschutz nennt die VVN-BdA nur „linksextremistisch beeinflusst“. Und unklar ist, warum das Amt nicht nur den Landesverband der VVN-BdA, sondern auch den Bundesverband beurteilen darf. NRW jedenfalls nutzte den Spielraum: Es zog seinen Beschluss, dem VVN-BdA die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, im Oktober wieder zurück.
„Völlig abstruses Vorgehen“
„Das Vorgehen gegen unseren Verband ist völlig abstrus“, kritisiert denn auch Thomas Willms, Geschäftsführer der VVN-BdA. „Das ist eine Posse, die für uns allerdings existenzgefährdend ist.“ Auch Eberhard Reinecke, Anwalt des Verbands, nennt die Aktion „schlicht rechtswidrig“. Er kritisiert den bayerischen Geheimdienst scharf: „Statt etwa früher mal auf den NSU zu schauen, pflegt man dort lieber eine fast hasserfüllte Ablehnung auf Antifaschisten.“
Inzwischen hat die VVN-BdA Einspruch beim Finanzamt eingelegt, die Steuernachzahlung verweigert sie. Zudem verweist der Verband auf die vielen Ehrungen seiner Mitglieder: Bundesverdienstkreuze, Ehrenbürgerschaften, Stadtmedaillen. Es sei wohl ausgeschlossen, dass all dies möglich gewesen wäre, wenn die Vereinigung der Geehrten tatsächlich extremistisch wäre, so Anwalt Reinecke.
Auch politisch wächst der Druck. Grüne und Linke üben harsche Kritik, auch der neue SPD-Chef Norbert Walter-Borjans. In Bremen trat SPD-Chefin Sascha Aulepp aus Solidarität in die VVN-BdA ein – so wie, laut Verband, rund 1.000 weitere. Die Linke forderte in einem Bundestagsantrag, die „rechtsstaatlich höchst fragwürdige“ Praxis zu beenden, dass eine Nennung durch den Verfassungsschutz zum automatischen Entzug der Gemeinnützigkeit führe.
Bundesfinanzminister Scholz arbeitet an Reform
Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) reagiert. Er arbeitet momentan ohnehin an einer Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Gerichtsurteile hätten hier „zuletzt Unsicherheit geschaffen“, räumt eine Sprecherin ein. „Das vorrangige Ziel ist es, die Vereine zu schützen und ihnen weiterhin politisches Engagement zu ermöglichen.“ Mit der Reform wolle man „negative Auswirkungen auf den Status der Gemeinnützigkeit ausschließen“.
Auch die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano, Ehrenvorsitzende der VVN-BdA, hatte in einem Brief an Scholz appelliert, die „unsägliche, ungerechte Entscheidung“ zu ihrem Verband rückgängig zu machen. Eine Antwort steht aus.
Aber vielleicht erinnert sich Scholz noch an einen Auftritt vor vielen Jahren, 1983 in Hamburg. Damals sprach er, noch als Juso-Vize, von einem „gemeinsamen Kampf“ des Antifaschismus, übermittelte „solidarische Grüße“. Es war auf dem Bundeskongress des VVN-BdA.
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