Urteil zu Baumbesetzung: Klimaschutz schlägt Eigentum
In Flensburg wurde ein Waldbesetzer vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen. Die Richterin beruft sich auf die Verfassung.
Örtliche Investoren wollen auf dem Grundstück ein Hotel errichten. Die Besetzergruppe berief sich auf die Bedeutung des Mini-Waldes für das Stadtklima. Im Prozess ging es um eine vergleichsweise niedrige Geldstrafe. Den Vorschlag, das Verfahren einzustellen, lehnte die Staatsanwalt jedoch ab: Es bestehe öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Einen Notstand aufgrund des Klimawandels erkannte er nicht. Die Richterin sah das anders.
„Wenn ein Mensch auf einem Baum sitzt, riskiert er sein Leben, um auf etwas hinzuweisen“, sagte der Angeklagte. Es handele sich um ein „letztes Mittel“, nachdem alle anderen Protestformen ausgereizt seien.
Die Besetzung des Bahnhofswäldchens hatte von Oktober 2020 bis Februar 2021 gedauert, einige Aktivist*innen hatten wochenlang in selbst gebauten Unterständen in den Bäumen campiert. Im Februar knatterten trotz Corona-Auflagen die Motorsägen: Die Firma Jara Immobilien, hinter der die Flensburger Geschäftsleute Jan Duschkewitz und Ralf Hansen stehen, hatte einen Räumtrupp beauftragt, der ohne behördliche Genehmigung Stämme ansägte. Die beschädigten Bäume mussten wenige Tage später gefällt werden.
Immer noch Baustopp
Bis heute wird auf dem Grundstück nicht gebaut. Aktuell verhindert eine Klage des BUND weitere Maßnahmen. Die Umweltorganisation kämpft für den Erhalt einer Quelle auf dem Gelände. Im Juli hatten die Investoren trotz des schwebenden Verfahrens die Bagger anrollen lassen, das Oberverwaltungsgericht Schleswig stoppte die Arbeiten.
Im jetzigen Flensburger Prozess erklärte der Angeklagte, der sich in der Ratsversammlung in der Fraktion „Bündnis solidarische Stadt“ engagiert, er würde auf keinen Fall eine Geldstrafe zahlen, sondern würde ersatzweise ins Gefängnis gehen. Auf den Vorschlag der Richterin, den Vorwurf fallen zu lassen, ließ sich der Staatsanwalt nicht ein. Der Angeklagte sei auf das „umfriedete Grundstück“ eingedrungen, ohne „ein begründetes Recht, es zu betreten“, nur mit dem Ziel, die Rodung zu verhindern, so der Anklagevertreter.
Ein Polizeivideo, das das Gericht vorführen ließ, zeigte eine Gestalt, die sich am Tag der Rodung von einem Baum zum anderen hangelte, zu hören ist eine Stimme, die dazu auffordert, den Baum zu verlassen. Doch diese Person sei gar nicht der Angeklagte, erklärte dessen Verteidiger Alexander Hoffmann. Er widersprach der Sichtweise, dass es sich um Hausfriedensbruch gehandelt habe. Denn das Grundstück sei vor dem Tag der ungenehmigten Räumung nicht umzäunt gewesen, auch führte ein Trampelpfad hinein.
Auf den Antrag des Staatsanwalts, den Angeklagten mit 15 Tagessätzen à zehn Euro zu bestrafen, griff Hoffmann tief in die Historie: „Der Gedanke, man dürfe nichts außer dem ausdrücklich Erlaubten, ist von Obrigkeitsstaatsdenken geprägt. Auch das Reichsgericht erklärte eine niedrige Mauer zu einer Einfriedung, um einen Gewerkschafter zu verurteilen, der eine Rede in Hörweite zur Fabrik hielt.“ Das sei in den 1920er Jahren gewesen, auch damals ging es um Hausfriedensbruch. „Diese Art von Rechtsprechung wird immer erst in nächster Dekade überprüft und gerügt.“
Britta Buchenau, Amtsrichterin in Flensburg
Die Baumbesetzung sei eine „geringfügige Regelüberschreitung gewesen, die eine Debatte in der Stadt ausgelöst hat. Die Demokratie wünscht sich solche Diskussionen, wir müssen sie führen in einer komplizierten Welt“, sagte Hoffmann.
In seinem Schlusswort erinnerte der Angeklagte an den Beginn der Räumung, bei der Bäume angesägt wurden, um die spätere Rodung zu erzwingen: „Das war mehr als fahrlässig – hätte sich eine der Baumbesetzer*innen auf einer der Seilverbindungen aufgehalten, hätte dies schnell tödlich enden können.“ Doch alle Anzeigen gegen die nicht genehmigte Räumung habe die Staatsanwaltschaft abgewiesen. Stattdessen seien die Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs aufrechterhalten worden.
„Ich frage mich, was geht im Kopf einer Staatsanwaltschaft vor, wenn Sie Notwehr auf Seiten der Investoren erkennen, aber keinen Notstand beim Klima. Wo ist die Verhältnismäßigkeit?“, fragte der 41-Jährige. „Denken Sie daran, welches Signal Sie damit senden.“
Ein Signal sandte das Gericht mit sehr strengen Sicherheitsauflagen vor dem Prozess. Die rund zwei Dutzend Unterstützer*innen, die den Angeklagten begleiteten, mussten eine Sicherheitsschleuse passieren, ihre Personalausweise wurden kopiert und zahlreiche Gegenstände ihnen abgenommen. „Stift und Papier, das steht jedem zu, mehr nicht“, sagte ein Justizbeamter auf taz-Anfrage.
Gesucht werde nach Transparenten und Trillerpfeifen: „Der Prozess soll ordnungsgemäß ablaufen.“ Die gesammelten Daten würden nach 24 Stunden gelöscht. Die Durchsuchung dauerte so lange, dass das Verfahren mit fast einer Stunde Verspätung begann. Juli, eine der Prozessbeobachter*innen, kommentierte: „Das zeigt, auf welcher Seite der Staatsapparat steht.“
Jubel im Gericht
Um so lautstärker war der Jubel und Beifall im Gerichtssaal, als Richterin Britta Buchenau den Freispruch verkündete. „Ich sehe den Hausfriedensbruch als erwiesen an, und es war klar, dass der Eigentümer nicht wollte, dass man sich dort aufhält“, sagte sie. Ausschlaggebend sei aber das Verfassungsgerichtsurteil, das Klimaschutz den Rang eines Staatsziels gegeben hat.
„Früher hätte ich gesagt, dass der Staat das Klimaschutzziel von selbst verfolgt, aber im Jahr 2021 lässt sich das nicht halten“, sagte Buchenau. Der innerstädtische Wald sei ein von der Verfassung geschütztes Biotop. Das Ziel des Angeklagten, diesen Wald zu schützen, wiege schwerer als das Interesse der Investoren. „Man hätte mit der Rodung warten müssen. Es war ein angemessenes Mittel, im Baum zu sitzen.“
Die Staatsanwaltschaft hat nun eine Woche Zeit, Einspruch zu erheben oder das Urteil anzuerkennen. Ein zweiter Prozess gegen einen Aktivisten, der ebenfalls wegen Hausfriedensbruchs angeklagt ist, wurde verschoben.
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