Urlaubszeit in Halle 4: Vorsicht mit der Schwiegermutter!
Meinem Kumpel Ismail ist Politik völlig egal. Aber alle Jahre wieder wird er in der Sommerzeit in Ankara in Untersuchungshaft genommen. Warum nur?
D ie spannendste Frage ist, wie alle Jahre vor dem Urlaub, ob mein armer Arbeitskollege Ismail aus Halle vier wieder wegen Präsidentenbeleidigung in der Türkei ins Gefängnis kommt. Die letzten vier Sommerferien hat er komplett in Ankara in Untersuchungshaft verbracht, anstatt in Antalya am Strand.
Nicht, dass er ein großer Rebell und politischer Kopf wäre, der den Präsidenten unerbittlich kritisiert. Nein, er ist sogar einer, der nichts mit Politik am Hut hat. Dem das politische Geschehen völlig egal ist. Ein Mensch, der alles, was die staatliche Propagandamaschinerie über Fernsehen und Zeitungen verbreitet, kritiklos hinnimmt. Ein Muster-Bürger, den alle Regierungschefs dieser Welt sofort ins Herz schließen würden.
Seit Jahren rätseln wir darüber, weshalb denn gerade Ismail immer wieder wegen Präsidentenbeleidigung im Knast landet. Ist mein Kumpel womöglich so eine Art Jekyll und Hyde, der kaum, dass er den türkischen Boden berührt, zum Präsidenten-Kritiker mutiert?
Wenn ja – warum?
Steigen ihm die hohen Temperaturen zu Kopf? Oder die hohe Inflation? Wird er plötzlich zum Retter der Enterbten, wenn er der Armut ins Gesicht blickt?
Ismail selbst leidet selbstverständlich am meisten unter diesem Mysterium. Je näher der Urlaub rückt, desto mehr verwandelt er sich in ein körperliches Wrack. Sein Rücken krümmt sich, seine Wangen werden hohl, und er wird zu einem erbärmlichen Schatten seiner selbst.
„Warum gerade ich? Warum immer ich?“, jammert er herzzerreißend.
„Beschwerst du dich vielleicht lautstark darüber, dass die türkische Lira nichts mehr Wert ist?“, frage ich.
„Warum sollte ich? Ich könnte doch mit meinen Euros in der Tasche einen supergünstigen Urlaub machen, wenn man mich nicht immer einlochen würde“, überschlägt sich seine Stimme.
Aber wie sagt man so treffend: „Am Ende wird beim Metzger jedes Schaf am eigenen Bein aufgehängt.“ Soll heißen, die Probleme der anderen bleiben nun mal die Probleme der anderen und man denkt nicht mehr groß darüber nach.
„Das solltest du aber, Osman“, ermahnt mich meine Frau während des Kofferpackens.
„Wozu?“, frage ich neugierig.
Eminanim grinst heimtückisch.
„Du verbringst dieses Jahr deinen Urlaub auch mit deiner Schwiegermutter. Sieh zu, dass du dich gut mit ihr verstehst.“
„Was soll das denn heißen?“
„Das soll heißen, zwing mich nicht dazu, dich einen Monat lang im Knast zu parken, so wie Ismails Frau es immer tut, weil ihr Mann im Urlaub mit ihrer Mutter nicht klarkommt.“
„Wie bitte? Bei Allah, die ganze Welt denkt doch, dass er immer wegen Präsidentenbeleidigung im Knast landet!“
Eminanim lacht wie ein Honigkuchenpferd:
„Nein. In erster Linie wegen Schwiegermutter-Beleidigung.“
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