Untersuchung wegen Antisemitismus: Labour suspendiert Corbyn
Die britische Menschenrechtskommission wirft der Labour-Partei Duldung von Antisemitismus vor. Corbyn bezeichnet dies als „übertrieben“ und fliegt.
„Unser Gegner inner- und außerhalb der Partei ebenso wie von großen Teilen der Medien haben das Ausmaß des Problems aus politischen Gründen dramatisch übertrieben“, so Corbyn am Donnerstag. Sein Nachfolger Keir Starmer reagierte prompt und scharf: Wenn jemand die Vorwürfe gegen Labour für „übertrieben“ oder einen „Angriff“ hält, „bist du Teil des Problems und du solltest der Labour-Partei fernbleiben“.
Ein Parteisprecher führte aus: „Unter Bezug auf seinen Kommentar und seine Weigerung, diesen zurückzunehmen, hat Labour Jeremy Corbyn aus der Partei suspendiert und die Fraktionsmitgliedschaft entzogen.“ Eine Untersuchung werde eingeleitet.
So bricht nun mit Verspätung der parteiinterne Krieg bei Labour aus, den die Partei seit ihrer Wahlniederlage im Dezember 2019 und Starmers Wahl zum Vorsitzenden im vergangenen April bislang vermieden hatte. Mit der Maßnahme gegen Corbyn zeigt Labour unter Starmer das von der EHCR verlangte Durchgreifen.
„Fehlende Bereitschaft, gegen Antisemitismus vorzugehen“
Die Menschenrechtskommission, die rechtlich bindende Empfehlungen aufstellen darf, hatte 18 Monate lang eine Beschwerde der „Campaign against Antisemitism“ (CAA) gegen Labour wegen Drangsalierung und Diskriminierung untersucht. Drei Verstöße gegen die britischen Gleichberechtigungsgesetze werden im EHRC-Bericht spezifisch genannt.
Labour mischte sich erstens politisch in Antisemitismusbeschwerden ein, versagte zweitens bei Antisemitismustraining und beteiligte sich drittens selbst an Drangsalierung und Entwürdigung von Juden und Jüdinnen. „Es schien an fehlender Bereitschaft zu liegen, gegen Antisemitismus vorzugehen, statt an fehlender Kompetenz“, heißt es im Bericht – trotz einer angeblichen Nulltoleranzpolitik.
Trotz positiver Entwicklungen in der letzten Zeit müsse die neue Parteiführung unter Keir Starmer mehr tun, um ihre Glaubwürdigkeit gegenüber der jüdischen Gemeinschaft, der Öffentlichkeit und vielen ihrer Parteimitglieder wiederherzustellen. Hierzu setzt die Kommission Labour eine Frist bis zum 10. Dezember, um einen Plan vorzulegen.
Unter 70 Fällen, welche die EHRC als Beispiele heraushob, konnte in 23 Fällen direkte Einmischung aus dem Büro des Führungsstabs um Corbyn nachgewiesen werden, um Vorwürfe des Antisemitismus unter den Teppich zu kehren oder sie abzubügeln, nachdem sie Aufsehen erregt hatten.
So habe die Parteiführung von einer „unberechtigten Klage“ gesprochen, als es darum ging, dass Jeremy Corbyn ein antisemitisches Graffiti gutgeheißen hatte, auf dem karikierte Juden mit Hakennasen Monopoly auf dem Rücken von Arbeitern spielten.
Bei sexueller Belästigung wird besser reagiert
Mitglieder, die Beschwerden zu Antisemitismus in der Partei erhoben, wurden laut EHRC klar benachteiligt – ganz im Unterschied zum Umgang mit Beschwerden wegen sexueller Belästigung, welche der Bericht als direkten Vergleich heranzieht. Rechtliche Beratung, wie etwa bei sexueller Belästigung, wurden bei Antisemitismusbeschuldigungen nicht angewandt.
Zum Teil wurde überhaupt nicht auf Klagen reagiert, selbst bei eindeutiger Sachlage. Der Beschwerdestelle fehlte zudem eine klare Arbeitsdefinition, wie sie vorzugehen und was sie zu beurteilen hatte, ebenso wie adäquates Training sowie ausreichendes und geschultes Personal. In 62 der obengenannten Fälle fehlten zudem signifikante Dokumente der Klage.
Für Derek Spitz, einen der CAA-Anwälte, besteht einer der wichtigsten Aspekte des Berichts in der Feststellung, dass es widerrechtlich war, Menschen, welche Antisemitismusvorwürfe erhoben, als Lügner oder als Beteiligte an einem Komplott hinzustellen.
Labourchef Keir Starmer nannte den EHRC-Bericht „umfassend, rigoros, tiefgehend und professionell“. Niemand habe für möglich gehalten, dass die EHRC, welche 2007 von einer Labour-Regierung in die Welt gesetzt wurde, einmal die Labour-Partei verurteilen würde.
Es ist erst die zweite solche Verurteilung durch die Menschenrechtskommission überhaupt. Die erste, wegen Diskriminierung, galt der Londoner Polizei.
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