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Unmut gegen Corona-EinschränkungenDie Verzichtsverweigerer

Woher kommt die Wut derer, die sich nicht einschränken wollen? Ich glaube, der Grund ist die Erfahrung einer grundsätzlichen Erschütterung.

Für manche ein Zeichen des Widerstands: Explodierte Böller in einem Hamburger Wohngebiet Foto: dpa / Jonas Walzberg

W ährend ich an Silvester zwei Staffeln der englischen Serie „Detectorists“ sah, wurde unten vor unserem Haus Widerstand geleistet – gegen das von der Stadt Hamburg verhängte Feuerwerksverbot. Widerständig war eine Familie, die aus einem Vater, einer Mutter und drei Kindern bestand. Bereits gegen neun versammelten sie sich und blieben bis halb eins. Sie zündeten ihr wertvolles Feuerwerk über den Abend verteilt, Stück für Stück für Stück.

Ich weiß nicht, ob sie zwischendurch auch mal in ihre Wohnung gingen, aber immer, wenn ich auf die Straße sah, waren sie da. Es knallte, es blitzte, knatterte, zischte, und der Vater gebärdete sich immer toller. Er tanzte auf der Straße und brüllte in Richtung seiner Kinder: „Silvester ist nur einmal im Jahr!“ Gegen elf tauchten auf der gegenüberliegenden Straßenseite drei Jugendliche auf, die Böller warfen. Begeistert schüttelte er die Faust, schrie Parolen, als wären die Böllerjungs Widerstandskämpfer. Sie freuten sich nur mäßig.

Um Mitternacht war der Familienvater, wie man das wohl ausdrückt, bereits heiser: Heiser gab er seinen Kindern Anweisungen für das fachgerechte Handhaben von Böllern; die Familienmutter, wie man das wohl nicht ausdrückt – warum eigentlich nicht? – stand mürrisch mit verschränkten Armen im Hintergrund. Gegen halb eins war die Widerstandsparty vorbei. Was für ein rauschendes Fest. Das werden die Kinder nie vergessen. Silvester ist nur einmal im Jahr. Und Neujahr übrigens auch, auch der 2. Januar, der 3. und so weiter bis zum letzten Tag des Jahres. Alles Tage, die nur einmal im Jahr sind. Ich habe immer wieder das unter der Straßenlaterne aufblitzende Gesicht des verzweifelt begeisterten Vaters gesehen, der seinen Kindern und der Welt zeigen wollte... ja, was? Dass er sich nichts verbieten lässt?

Ich habe in den vergangenen Tagen viel nachgedacht über diese ganze Sache, diesen Unmut, dieses Aufbegehren, wenn es um einfache, nicht existenzielle Dinge geht, wie zum Beispiel das In-den-Urlaub-Fahren, Ski, Shoppen. Jetzt wollten viele Leute in den Harz, weil es da plötzlich so schönen Schnee gab. Viel zu viele Leute stauten sich plötzlich in ihren Autos auf den Straßen, und die Erklärungen dafür kann man in den Kommentarleisten nachlesen: „Kein Wunder, wenn Merkel uns das ganze Jahr in Stubenarrest schickt“, und mehr in der Art. Eingesperrt kommt man sich vor, gegängelt.

Heitere Genügsamkeit ist das Gegenteil der Wut derer, die nicht bereit sind, auf irgendetwas zu verzichten
Bild: Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schrift­stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Der Mensch hat sich nun mal so einen Standard geschaffen. Jahr um Jahr ist er am Morgen aufgestanden und zur Arbeit gefahren. Damit er sich ein Auto kaufen konnte, ein Haus abzahlen, in den Urlaub fahren. Der Lebensstandard muss steigen oder zumindest gehalten werden, das ist der Sinn des Lebens. Und plötzlich ruckelt es im Getriebe, und der Mensch darf mit seinem Auto nicht mehr in seinen Urlaub fahren. Ein Rückschritt. Da wird der Mensch bockig. Und wenn der Mensch Kinder hat, dann sind es DIE KINDER, für die er das alles tut und braucht: Die Kinder müssen in den Urlaub, die Kinder müssen an Silvester vier Stunden auf der Straße stehen, die Kinder brauchen Dinge, damit sie es schön haben.

Die meisten Menschen, die ich kenne, üben sich seit einiger Zeit in Bescheidenheit. Sie müssten gar nicht in den Urlaub fahren, sagen sie. Silvester zu Hause sei sehr schön gewesen, sagen sie, schöner eigentlich als sonst, in den Jahren zuvor. Ihnen gehe es gut, sagen sie, sie entbehrten nichts. Diese heitere Genügsamkeit ist ja das Gegenteil der Wut derer, die nicht bereit sind, auf irgendetwas von den Dingen, die ihr Leben bisher ausmachten, zu verzichten. Aber unser aller Leben ist von einer Erschütterung betroffen, die mit Urlaub, Toilettenpapier und Skifahren nichts zu tun hat: die Erfahrung, dass das Gerüst des Hauses, in dem wir wohnen, nicht mehr stabil ist.

Offensichtlich reagieren Menschen unterschiedlich darauf. Für mich begann dieses Jahr mit dem erbittert Feiernden unter meinem Fenster, ich hoffe, es ist kein Omen.

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3 Kommentare

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  • Und dann gibt es noch die, die trotz Arbeit Tag ein Tag aus, sich kein Auto leisten können, geschweige denn einen Urlaub, schon gar nicht 3x im Jahr. Die nicht Skifahren, nicht nach Malle düsen, nicht in den Harz. Vom Shoppen mal ganz abesehen. Und die haben auch Kinder, die Dinge bräuchten um sich wohler zu fühlen. Wie zum bsp. einen Laptop um am Onlineunterricht teilnehmen zu können.



    Aber was interressiert das denn schon den Böllervater, der lässt sich nix verbieten. Gegängelt fühlt er sich also.



    Ja gegängelt fühlen sich so einige, seit Jahren. Durch Niegriglohnjobs und Ungleichbehandlung.



    Aber plötzlich trifft es alle irgendwie. Plötzlich fühlen alle, wie es ist sich in Verzicht üben zu müssen, weil es keine Orte mehr gibt das sauer verdiente Geld auszugeben.



    Das kommt aber nur fast an die stete Wirklichkeit derer heran, die sowieso kein Geld haben um sich ein wenig Zerstreuung leisten zu können.

  • Und dann gibt es noch solche wie mich, die abgesagte Massen"gaudi" wie das Oktoberfest, das sehr viel weniger Geknalle an Silvester und die Stille durch Abwesenheit der sonstigen Flugzeuge voll genießen. Für mich gerne mehr DAVON.

  • Zitat: „Aber unser aller Leben ist von einer Erschütterung betroffen [...]: die Erfahrung, dass das Gerüst des Hauses, in dem wir wohnen, nicht mehr stabil ist. Offensichtlich reagieren Menschen unterschiedlich darauf.“

    Sach bloß...!? Menschen reagieren unterschiedlich? Wer hätte das gedacht? Gewiss niemand, der nicht „viel nachgedacht“ hat dieser Tage. Ich persönlich befürchte ja sogar, dass bereits die „Erschütterung“, die wir grade erfahren, ganz unterschiedlich wahrgenommen wird.

    Der Mehrheit aller Menschen in meiner Umgebung scheint sie vor allem Anlass zum Stolz zu sein. Sie bewundern sich offenbar grenzenlos und vollkommen unkritisch selber dafür, dass sie ohne zu zucken jede „Erschütterung“ aushalten können, der man sie aussetzt. Nur eine Minderheit meutert. Und diese zerfällt dann auch noch in Teilgrüppchen.

    Für die einen geht es offenbar ganz abstrakt zu: Um eine Freiheit, die sie bisher kaum genutzt haben und die sie auch nicht nutzen würden, wenn sie sie plötzlich zurück hätten. Diese Leute pochen aufs Prinzip: Was mein ist, muss mein bleiben! Für andere scheint es hingegen darum zu gehen, dass sie sich nicht von jedem einschränken lassen wollen. Von einer Kanzlerin und einem Virologen beispielsweise nicht. Von einem Führer, der sie für Mannhaftigkeit lobt, allerdings schon. Wieder anderen geht es um die Frage, zu wessen Gunsten sie verzichten sollen. Wenn sie selber nicht profitieren können von der Askese, wollen sie davon nichts wissen. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen, wenn nicht die Zeichen begrenzt wären.

    Und sonst? Fragt leider kaum eine*r, ob tatsächlich jeder Stoß notwendig ist, wie tief die Erschütterung geht und ob Fundamente beschädigt werden davon, die besser stabil blieben, auch unter Corona-Bedingungen. Weil eine individuelle Infektionsgefahr nicht das Schlimmste ist, was vorstellbar wäre.

    Erbitterung scheint also auch nicht gleich Erbitterung zu sein. Welche ein „Omen“ ist? Bin ich vielleicht das Orakel von Delphi?