Union in Unruhe: Gefühlszustand: aufgewühlt
Seit sie die jüngsten Landtagswahlen verloren hat, fragt man sich in der CDU: Ist uns das Kanzleramt noch sicher?
Wer in diesen Tagen mit Stefan Kaufmann telefoniert, hört einen aufgewühlten Mann. Kaufmann, 51, ist CDU-Bundestagsabgeordneter aus Stuttgart, im September will er hier erneut das Direktmandat holen. Sein Gegenkandidat: der Grüne Cem Özdemir. Dreimal hat Kaufmann den Wahlkreis Stuttgart I gegen Özdemir gewonnen, zuletzt mit gerade gut 2 Prozent Vorsprung. „Das wird eine Herausforderung“, sagt er jetzt. „Aber ich bin und bleibe Optimist.“
Die Zeichen stehen nicht gut. Am vergangenen Wochenende hat die CDU bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg eine historische Niederlage eingefahren, gerade mal 24,1 Prozent. In Rheinland-Pfalz, wo gleichzeitig gewählt wurde, sah es nicht besser aus.
Seitdem ist die Aufregung in der CDU groß. Es sei nicht gottgegeben, dass die CDU den nächsten Bundeskanzler stelle, soll Parteichef Armin Laschet am Montag in der Vorstandssitzung gesagt haben. Und: „Wir müssen kämpfen.“ Schlechtes Coronamanagement im Bund und immer neue Korruptionsverdachtsfälle in den eigenen Reihen heizen die Unruhe weiter an, dazu kommen miese Umfragewerte. Die Union ist zuletzt unter die 30-Prozent-Marke gerutscht. Schon wird in Berlin über eine mögliche Ampelkoalition spekuliert. Für die Union, deren Hauptprogrammpunkt quasi das Regieren ist, wäre das eine Katastrophe.
Kaufmann hat sich am Sonntagabend deutlich zu Wort gemeldet. „Die Landespartei muss jetzt mit großer Aufrichtigkeit einen inhaltlichen und personellen Erneuerungsprozess einleiten“, schrieb er auf Twitter. Und weiter: „Wenn wir zu alter Stärke zurückfinden wollen, müssen wir die Lebenswirklichkeit der Menschen in unserem Land in den Mittelpunkt stellen, überzeugende Lösungen auf aktuelle Herausforderungen anbieten und Zukunftsperspektiven weisen.
Was genau läuft also falsch bei der CDU, Herr Kaufmann? „Wir bilden die Bevölkerung nicht mehr ab und sind meilenweit von den Themen entfernt, die die Menschen in der Stadt bewegen.“ Kaufmann holt am Telefon tief Luft, dann rasselt er die Zahlen herunter: „Freiburg 13 Prozent, Heidelberg 14 Prozent, Tübingen 15 Prozent, Mannheim 16 Prozent. Da stehen wir mit 24 Prozent hier in Stuttgart ja noch gut da – mit 24 Prozent!“ Folgt man Kaufmann, gläubiger Katholik und der erste offen schwule Bundestagsabgeordnete der CDU, muss seine Partei diverser werden und inhaltlich moderner. „Aber man kann den Kreisverbänden ja nicht vorschreiben, wen sie aufstellen müssen.“
Innerparteiliche Konflikte
Und dann sei ja noch „diese Grundsatzdebatte“, die die CDU nicht los werde. Die Frage also, ob sich die CDU wieder ein konservativeres Profil geben muss. „Dieser innerparteiliche Konflikt ist seit 2015 unser Begleiter, und er ist durch die Wahl von Armin Laschet zum Parteichef noch lange nicht ausgestanden.“ Die Parteispitze in Baden-Württemberg hatte sich klar auf Seite von Laschets Gegenkandidaten Friedrich Merz gestellt. „Nach jeder verlorenen Wahl gibt es die Debatte, dass die Ursache im nicht ausreichend bedienten konservativen Profil liegt.“ Aber wenn er sich die Wählerwanderung anschaue, sehe er, dass die CDU vor allem an die Grünen und die FDP verliere. „Trotzdem steht diese Diskussion immer wieder auf wie ein Zombie.“
Ganz anders wird die politische Welt in Greiz im Thüringer Vogtland interpretiert. Martina Schweinsburg, 62, Christdemokratin, ist hier Landrätin und eine von denen, die sich ein konservativeres Profil für ihre Partei wünschen. Im vergangenen Jahr hat sie mit anderen KommunalpolitikerInnen dafür plädiert, dass die Thüringer CDU Gespräche mit der AfD führen soll. Derweil versteht die Landrätin nicht mehr so recht, was ihre Leute in Berlin entscheiden.
Das große Plus der CDU war ja immer, dass die Menschen glaubten, sie könne regieren. Die CDU, das waren die Profis, die die Zumutungen der Welt mit behutsamer Politik abfederten. Anfangs profitierte die CDU deshalb von Corona, die verunsicherten BürgerInnen versammelten sich hinter der Regierungspartei. Doch inzwischen droht die Pandemie den Nimbus der CDU zu zerstören. Impfen, Teststrategie, vieles läuft schief. Dazu noch die Maskenaffäre, bei der sich Unionsabgeordnete bei Geschäften mit Schutzmasken persönlich bereicherten.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Im Vogtland lag in der vergangenen Woche die Inzidenz bei über 500. Schweinsburg erzählt, wie sie ganze Kitagruppen und Schulklassen testen ließ, als einzelne Erzieherinnen und Lehrer erkrankten. „Einmal waren 17 Kinder in einem Kindergarten positiv, alle ohne Symptome.“ Die Landrätin sieht die hohe Inzidenz als Erfolg ihrer Teststrategie. Busse des Roten Kreuzes fahren durch den Landkreis und testen Menschen, die vorbeikommen, auch in Dörfern. Aus ihren Erkenntnissen leitet Schweinsburg eine ganz andere Strategie ab, als sie Gesundheitsminister Jens Spahn vertritt. Sie würde eher jüngere, mobile Menschen impfen, die die Pandemie verbreiten.
„Die Menschen sehen doch genau, wie widersinnig die Maßnahmen sind“, sagt Schweinsburg. In Supermärkten träten sich die Leute auf die Füße, aber kleine Einzelhändler in den Kernen kleiner Städte müssten dicht bleiben, kritisiert die Landrätin. „Nur weil die Regierenden in Berlin, München oder Düsseldorf ihre Vergnügungsviertel in den Großstädten nicht in den Griff kriegen, müssen überall Landgasthöfe mit funktionierenden Hygienekonzepten geschlossen bleiben.“ Es sind vor allem ihre eigenen ParteifreundInnen, die sie hier kritisiert.
Diana Kinnert ist in vielem das Gegenteil der Thüringer Landrätin. Sie ist jung, großstädtisch, ihre Familie hat Migrationsgeschichte. Aber sie ist auch in der CDU. Viele Jahre galt sie hier als Nachwuchstalent, inzwischen ist sie 30 Jahre alt und hat ihr einstiges Markenzeichen, eine quersitzende Basecap, gegen einen Schlapphut eingetauscht. Die Unternehmerin ist Mitglied der Bundeskommission für Gesellschaftlichen Zusammenhalt und im Bundesnetzwerk Integration der CDU, zuletzt hat sie den rheinland-pfälzischen Spitzenkandidaten Christian Baldauf beraten.
„Die Wahlergebnisse vom Wochenende sind keine Zäsur, sie reihen sich ein“, sagt Kinnert am Telefon. Eine Ursache dafür, aus ihrer Sicht: die Rückwärtsgewandtheit der CDU. „Über 90 Prozent der Parteimitglieder sind in der Zeit von Helmut Kohl in die CDU eingetreten, das schlägt sich auch inhaltlich nieder.“ Die CDU brauche eine Erneuerung. Wie es laufen könne, habe die Kampagne von Norbert Röttgen für den Parteivorsitz gezeigt. Dieser hatte mantraartig wiederholt, er wolle die CDU „weiblicher, jünger und digitaler“ machen. „Das war sehr modern, sehr partizipativ, sehr zukunftsorientiert“, sagt Kinnert.
Sie ist seit 2009 in der CDU, damals war sie 17. „Ich kenne keine CDU ohne Angela Merkel“, sagt Kinnert. Und auch: „Dass Merkel jetzt aufhört, ist ein einschneidendes Erlebnis.“ Was dies für die Bundestagswahl bedeute, sei noch nicht absehbar. Dass es bislang weder Wahlprogramm noch Kandidaten gibt, macht Kinnert langsam besorgt. „Ich befürchte, dass die Zeit knapp wird.“
Das sieht Matthias Zimmer anders. Eine frühe Festlegung auf einen Kanzlerkandidaten hätte der Union nichts gebracht, sagt der Bundestagsabgeordnete aus Hessen. „Solange Angela Merkel regiert, könnte sie dem in die Parade fahren.“ Befragt man Zimmer zur Lage der CDU, ist er gleich in Rage. „Zum Kotzen“ findet er es, dass Abgeordnete ihr Mandat missbraucht haben, um sich zu bereichern. Der 59-jährige Politikwissenschaftler sitzt an seinem Schreibtisch am Frankfurter Stadtrand, auch ihn erreicht man am Telefon.
Bei den Kommunalwahlen am Sonntag hat auch die hessische CDU schlecht abgeschnitten, die Grünen liegen in fast allen großen Städten vorn. Zum ersten Mal könnte sich im Frankfurter Stadtparlament sogar eine Mehrheit jenseits der CDU formieren. Zimmer gehört dem Präsidium der Landespartei an. „Ich dachte, die 24 Prozent bei der Kommunalwahl vor fünf Jahren seien der absolute Tiefpunkt.“
Zimmer hat gerade eine Niederlage erlebt. Bei der Wahl des CDU-Kandidaten für den Bundestag ist er durchgefallen, obwohl er den Wahlkreis 182 dreimal in Folge gewonnen hat. Die Delegierten wählten stattdessen einen Banker vom Wirtschaftsflügel. „Ich bin ein Merzgefallener“, sagt Zimmer. Er glaubt, er sei auch unterlegen, weil er beim Bundesparteitag nicht für Friedrich Merz als CDU-Chef gestimmt hat. Merz sei eine riesige Projektionsfläche für die Unzufriedenen, denen der schnelle gesellschaftliche Wandel nicht passt. Doch die CDU müsse sich entscheiden: „Nur wenn sie sich dem gesellschaftlichen Wandel stellt und auch den WählerInnen in der Mitte ein Angebot macht, kann sie Wahlergebnisse von 35 Prozent und mehr erreichen.“
Für die Bundestagswahl liegen 35 Prozent und mehr gerade für die CDU in weiter Ferne. Überall ist die Unruhe groß. Wird die Coronapolitik nicht erfolgreicher, tauchen weitere Korruptionsfälle auf – dann könnte aus der Unruhe auch Panik werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“