piwik no script img

Union gegen Reform der FleischbrancheSchwache Argumente für Leiharbeit

CDU und CSU verhindern seit Wochen, dass der Bundestag Zeitarbeit in der Fleischindustrie verbietet. Ihre wichtigsten Einwände sind falsch.

Harter Job: Beschäftigte eines Schlachthofs arbeiten am Fließband Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Berlin taz | Weniger Geld als der Mindestlohn, keine Corona-Sicherheitsabstände, überlange Schichten, aber keiner ist verantwortlich – solche Missstände in der deutschen Fleischindustrie soll das von Minister Hubertus Heil (SPD) vorgelegte Arbeitsschutzkontrollgesetz verhindern. Fleischfirmen mit mehr als 49 Beschäftigten dürfen demnach ab 2021 bei der Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung nur noch eigenes Personal beschäftigen.

Dann könnten die Konzerne die Schuld an der Ausbeutung meist osteuropäischer Arbeiter*innen in ihren Betrieben nicht mehr auf ein Dickicht aus Subunternehmern mit Werkverträgen oder Leiharbeitsfirmen schieben. Doch im Bundestag blockiert die CDU/CSU-Fraktion die Verabschiedung des Gesetzes seit Wochen – weil sie die Leiharbeit erhalten will. Ihre wichtigsten Argumente im Faktencheck:

Argument: Die Firmen brauchen Leiharbeit, wenn sie zum Beispiel in der Grillsaison plötzlich viel mehr produzieren müssen als normalerweise.

Bewertung: „Das ist falsch“, sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Guido Zeitler. Die Schlachthöfe würden genau planen, wann wie viel Schlachtvieh geliefert werde. „Das geht auch gar nicht anders, denn auch die Bauern füllen ihre Ställe kontinuierlich, Ställe rentieren sich gar nicht, wenn sie nicht ständig ausgelastet sind.“ In der Fleischweiterverarbeitung schwankten die Mengen einzelner Produkte im Laufe des Jahres, nicht aber die Gesamtauslastung. „Denn auf die Grillsaison folgt die Brühwurstsaison, es gibt Schinken zur Spargelzeit, Oster- und Weihnachtsgeschäft haben nochmals eigene Schwerpunkte.“ Alle diese Saisons und ihre speziellen Produkte seien planbar: „Niemand wird von der Nachfrage nach Grillwürsten überrascht.“

Argument: Für Zeitarbeit gelten seit Jahren die normalen Arbeitsschutzvorschriften: gleiche Bezahlung, gleicher Gesundheitsschutz, der Betriebsrat ist zuständig.

Bewertung: Einiges spricht dafür, dass sich die Firmen an diese Regeln einfach nicht halten werden. Denn es wird sich wohl meist um dieselben einschlägig Bekannten handeln. „Die meisten der (Sub-)Unternehmen, die mit Werkverträgen negativ aufgefallen sind, haben auch eine Leiharbeitserlaubnis“, warnt Zeitler. Sie würden einfach mit Leiharbeit weitermachen. Tatsächlich bekamen Beschäftigte eines berüchtigten Subunternehmers demnach zum 1. August befristete Leiharbeitsverträge vorgelegt. Zudem: Fleischkonzerne wie Tönnies können sich wie bisher hinter Subfirmen verstecken, wenn ihnen Leiharbeit nicht verboten wird.

Argument: Man könnte Leiharbeit mit einer Quote begrenzen.

Bewertung: Wenn man davon ausgeht, dass Leiharbeit in der Fleischindustrie für Ausbeutung missbraucht würde, ließe sich das auch in begrenztem Ausmaße nicht rechtfertigen. Sollte es dennoch nötig sein, kurzfristig die Produktion auszuweiten, erlaubt das Arbeitszeitgesetz bereits Mehrarbeit. Auch über befristete Beschäftigung oder tarifliche Arbeitszeitkonten können laut NGG Produktionsspitzen ausgeglichen werden.

Argument: Das Leiharbeitsverbot schadet dem lokalen Handwerk, zum Beispiel Fleischereien.

Bewertung: Falsch. Betriebe mit bis zu 49 Beschäftigten sollen laut Arbeitsminister Heils Gesetzentwurf von dem Verbot ausgenommen sein.

Argument: Die Reform schadet der heimischen Fleischindustrie. Dann müssen wir bald mehr importieren aus Ländern mit niedrigeren Standards.

Bewertung: Der Preisaufschlag für die Arbeiter ist gering: „Der Anteil der Lohnkosten bei Schlachtunternehmen liegt je nach Geschäftsmodell und je nachdem, wie viel Verarbeitung sie haben, bei 5 bis 10 Prozent“, sagt Achim Spiller, Professor für Marketing von Lebensmitteln und Agrarprodukten an der Universität Göttingen. Laut einer Schätzung der NGG würde sich Schweinefleisch (die in Deutschland wichtigste Fleischsorte) für die Verbraucher*innen nur um knapp 10 Cent pro Kilogramm verteuern, wenn die Arbeiter einen tariflichen Stundenlohn von 15 Euro bekämen und darauf 40 Prozent Lohnnebenkosten anfielen. Spiller: „Diese geringen Mehrkosten allein würden nicht zu Abwanderung von Fleischwerken ins Ausland führen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Der Kommentar wurde entfernt.

    Die Moderation

  • Ich habe im DLF gehört, dass tatsächlich in D mehr Fleisch verzehrt wird als vor einem Jahr, obwohl mehr Leute vegetarisch leben. Trotz der verbliebenen Karnivoren?



    Wenn es schon eine Fleischindustrie gibt - allein das Wort ist obszön - ist es eine Schande, dass den Arbeitern in diesem Bereich keine Gerechtigkeit widerfährt. Das gleiche gilt natürlich auch für die Pflege, Speditionen, Einzelhandel, ...es nimmt kein Ende mit der Ungerechtigkeit. Viel zu oft bekommen die, die die härteste oder nützlichste Arbeit leisten, den schlechtesten Lohn.

  • Da zeigt sich das wahre Gesicht der Union.



    Und das ist unchristlich.

  • Argument: Die Reform schadet der heimischen Fleischindustrie. Dann müssen wir bald mehr importieren aus Ländern mit niedrigeren Standards.

    Auch aus einem anderen Grund falsch, Deutschland ist nämlich was billiges Fleisch betrifft der Exportmeister in der EU, wenn dann würde also weniger von unserem Billigfleisch ins Ausland kommen, nicht umgekehrt.



    Zu diesem Thema gab es kurz nach dem Tönnies Debakel, als alle auf einmal merkten wie schlecht es doch den Fleischarbeitern geht, einen Beitrag beim Inforadio des MDR in dem es um die Fleischindustrie in den Niederlanden ging.



    Dort gibt es nämlich Betriebsräte, Mindestlöhne, Arbeitsschutz und begrenzte Arbeitszeiten.



    Dort sank die Zahl der Arbeiter in der Fleischindustrie durch den Preisdruck aus, na wer will raten? Richtig! Deutschland.

  • Man möchte meinen es sei Dummheit aber das ist es nicht.



    Es ist Klientelpolitik.



    Klientelpolitik reinster Sorte.

    Es ist mir wirklich unverständlich wie man bloß einer diese Parteien wählen kann.

    Aber wenn man im Wahlkampf auf vielen Mitarbeiterversammlungen schwarzer Unternehmer hört "Wenn die SPD oder gar die Grünen an die Macht kommen müssen wir hier den Laden zumachen - und sie alle stehen dann ohne Job dar" erklärt das Manches.

  • Gut erklärt.



    Nur das Argument zwei ist nicht wirklich entkräftet.

  • 1G
    164 (Profil gelöscht)

    Ja, aber der CDU-Laumann war doch so ehrlich aufrichtig empört über die Ausbeutung beim Tönnies! Und selbst 15 €/h müsste man angesichts der Schwere der Arbeit noch mit dem Begriff belegen. Naja - demnächst werden die C-Demokraten ja vielleicht vom Baerbeck-Duo zivilisiert. Dann werden die sicher voll sozial!

  • Leiharbeit ist einfach so zu bezahlen wie Festangestellte + einen Aufschlag für Flexibilität und Mobilität - gemäß dem Mantra der FDP: Leistung MUSS sich lohnen. Natürlich kommt dann noch er Gewinn der Verleihfirma oben drauf...

    Und wird dann alles teurerer? Ja vielleicht!

    Hätte der Arbeiter aber in den letzten 30 Jahren an den Gewinnen und den Gewinnsteigerungen partizipiert statt mit Reallohnsenkungen bestraft zu werden und hätte man den Niedriglohnsektor bekämpft statt gefördert, müsste man sich auch keine Gedanken machen ob sich Malocher n Stück Huf auf dem Teller leisten können.

    PS: Ja z.B. in Frankreich sind Lebensmittel teurer - die Lebenshaltungskosten aber nicht. D.h. anderes ist dann da halt billiger: Strom, Versicherungen, Telekommunikation, ...

  • Danke für den Faktencheck!



    Hoffentlich führt das jetzt zu Druck auf die Lügner!

    • @Mainzerin:

      Anschließe mich!

      Das ist mal RICHTIG nicer Journalismus.