Umweltwissenschaftler über Ökomoral: „Wir brauchen einen Systemwandel“
Der Grüne Michael Kopatz erklärt in seinem Buch „Schluss mit der Ökomoral“, warum Verzicht nicht reicht, um die Welt zu retten.
taz: Herr Kopatz, verstehen den Titel Ihres Buches „Schluss mit der Ökomoral“ eigentlich viele Leute falsch?
Michael Kopatz: Das soll ruhig falsch verstanden werden! Klar, es gibt Leute, die sich dadurch, zumindest auf den ersten Blick, bestätigt fühlen: Schluss mit dem Generve! Anstrengend, diese Klimaschutzapostel! Damit kokettiert der Titel natürlich. Aber ich meine das anders, und das merkt man am Untertitel: „Wie wir die Welt retten, ohne ständig daran zu denken“. Indem ich Geschichten aus dem Alltag erzähle, aus meinem eigenen, aus dem von anderen, zeige ich, dass Moralisierung allein nicht reicht, um beim Klimaschutz substanziell weiterzukommen. Dazu brauchen wir systemische Veränderungen.
Individuelles schlechtes Gewissen bringt nicht genug?
Die Verhältnisse müssen sich ändern. Dann ändert sich unser Verhalten, gesamtgesellschaftlich. Übrigens: Moral ist wichtig, sonst gäbe es gar keine Bereitschaft für den Klimaschutz.
Eines Ihrer „Zehn Gebote zur Ökoerlösung“ fordert: „Du musst das System verändern.“ Aber ist ein Systemwandel wirklich realistisch?
Systemwandel heißt hier ja nicht, den Kapitalismus abzuschaffen. Klar, das kann man machen. Aber naheliegender sind systemische Veränderungen im System.
Welche zum Beispiel?
Früher hatten wir ja die soziale Marktwirtschaft. Der Kapitalmarkt war noch reguliert, es gab einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent, es gab eine Vermögenssteuer, die Menschen waren von ihren Einkommensverhältnissen her weit näher beieinander als heute, der Renditedruck der Unternehmen war bei weitem nicht so groß. Wenn wir das schon mal hatten, können wir da auch wieder hin.
Ihr Buch paart Ernst mit Ironie. Da ist etwa dieser Angeber-BMW, den Sie in seinem Carport fotografiert haben, von Lichterketten umgeben. Können Sie die Welt manchmal nur noch mit Ironie ertragen?
Manches ist echt frustrierend. Wenn Leute sich megamäßig aufregen, nur weil für einen Fahrradweg ein paar Parkplätze wegfallen, Briefe an die Politiker schreiben, den Bürgermeister, überkommen dich schon tiefe Zweifel. Windkraftanlagen werden bekämpft, Stromtrassen auch: Kann man noch etwas bewegen, ohne dass der Wutbürger gleich auf die Barrikaden geht? Und wie da argumentiert wird, ist teils die pure Heuchelei. Beim Wohnraum zum Beispiel. Alle wollen mehr davon, aber wenn du irgendwo was bauen willst, protestiert jeder. Und denen geht’s nicht um die Bienen auf der Wiese, sondern nur darum, keine anderen Häuser vor der Nase zu haben. Das kann dich schon runterziehen.
Manche sehen in den Grünen ja eine Verbotspartei. „Was ist das für eine Freiheit“, kontern Sie, „wenn ich sie nur zulasten von Mitmenschen ausleben kann?“ Heißt das: Verbote lassen sich nicht vermeiden?
Genau. Besser gesagt: gesellschaftliche Vereinbarungen. Ich höre das wirklich oft: Aha, Sie wollen also mehr Verbote, die Ökodiktatur, den Kommunismus! Ich sei ein Verzichtsprediger. Dabei sage ich nur: Es ist vernünftig, sich Limits zu setzen. Natürlich bleibe ich bei Rot vor der Ampel stehen, weil sonst alles durcheinandergerät. Natürlich werfe ich meinen Müll nicht in den Nachbargarten. Freiheitsrechte können wir nur ausleben, wenn es ein Regelwerk dafür gibt. Politikern vorzuwerfen, dass sie Gesetze und damit Regeln beschließen, ist lächerlich, denn genau das ist ja Politik. Die Frage ist: Welche Standards setzen wir uns? Welche Limits?
Welche würden Sie setzen?
Kein Flughafenausbau mehr, und keine weiteren Straßen. Weniger Autos, weniger Plastik. Generell gilt: Das Gute muss wachsen, das Schlechte darf es nicht. Manches muss auch schrumpfen, etwa der Kohlestrom.
Sie gehen dabei ziemlich weit. Sie fragen zum Beispiel: „Sind Autos verfassungswidrig?“ Und das ist keine bloße Provokation, oder?
In Artikel 2 des Grundgesetzes steht: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“ Jeder versteht, dass in Gaststätten Rauchverbot herrscht, denn mein Rauchen schränkt die Freiheit des Gastes am Nebentisch ein: Indem ich ihn zum Passivrauchen zwinge, gefährde ich seine Gesundheit. Beim Auto müsste dasselbe gelten. Autos stoßen Schadstoffe aus, verursachen Unfälle, an stark befahrenen Straßen stellt ihr Lärm eine extreme Gesundheitsbelastung dar. Zählt da das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht?
Ruft das nicht danach, Klage einzureichen?
Könnte man machen, spaßeshalber. Klar, es ist eine Zuspitzung, das so zu sehen. Aber genauso ist es eine Zuspitzung, wenn jemand denkt, dass er ein verfassungsmäßiges Recht hat, mit seinem Auto durch die Stadt zu heizen oder über die Autobahn. Denn das hat er nicht.
Wir leben in Maßlosigkeit?
Dagegen hilft nur das Setzen gesamtgesellschaftlicher Limits. Niemand entscheidet sich ja bewusst zur Maßlosigkeit. Aber jeder sieht, was die anderen machen, sieht, dass sich alle darin gefallen, sich gegenseitig zu übertreffen. Und dann macht man mit. Da bestimmt das Sein das Bewusstsein. Besonders deutlich zeigt sich das beim Konsumverhalten. Wir sind maßlos, weil uns die Werbeindustrie dazu erzieht. 30 Milliarden Euro setzt sie pro Jahr ein, damit wir Dinge kaufen, die wir eigentlich nicht brauchen.
Sie verweigern sich da?
Mein CO2-Abdruck liegt bei circa 5,5 Tonnen im Jahr; der deutsche Durchschnitt liegt doppelt so hoch. Ich fliege nicht und habe nie ein Auto besessen, wir haben ein extrem energieeffizientes Haus und sind Mitglied einer solidarischen Landwirtschaft. Wir haben Ökostrom, ich bin bei der GLS-Bank, und wir kaufen überwiegend Bio. Niemand ist perfekt. Aber wir versuchen, viel richtig zu machen.
Würden Sie eine Braunkohlegrube besetzen?
Vor einiger Zeit war ich beim Hambacher Forst, auf einer normalen Demo. Aber ziviler Ungehorsam ist in der heutigen Zeit durchaus angemessen.
Sie fordern von den Ökos: „Arsch hoch!“ Findet das Gehör?
Ich sehe immer häufiger, dass sich der Diskurs zum Positiven verändert. Dass akzeptiert wird, dass die Politik den Rahmen setzen muss. Das fühlt sich gut an.
Aber warum dauert es dann so lange, bis sich was bewegt?
Das hängt – auch – mit der AfD zusammen. Sie leugnet ja, dass die Klimakrise menschengemacht ist, und viele wählen sie. Aus Angst, diese Wähler noch stärker in Richtung AfD zu treiben, ist das Klimapaket der Großen Koalition so dürftig ausgefallen. Klimaschutzfreundliche Politik zu machen, ist im Moment besonders schwer.
Sie fordern da klare Kante?
Die Konsens-Sülze, die uns die Bundespolitik vorsetzt, stärkt die AfD-Anhänger in ihren Vorbehalten. Vielleicht wäre eine Minderheitsregierung besser gewesen.
Und wie geht’s weiter?
Die Fridays for Future zeigen uns, was passieren muss: Sie kämpfen für systemische Veränderungen. Hoffentlich lernt die Politik von ihnen.
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