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Umweltstaatssekretär über Ausstieg„Das Atomthema ist durch“

Die Milliarden-Entschädigung für die AKW-Betreiber ist unvermeidlich, meint Jochen Flasbarth. Den Energiecharta-Vertrag will er stark verändern.

Unter anderem für seine Abschaltung wollte Vattenfall Geld: Das AKW Krümmel im Jahr 2011 Foto: Roland Magunia/dapd

taz: Herr Flasbarth, die Bundesregierung hat sich mit den Atom-Betreibern auf eine Entschädigung von 2,4 Milliarden Euro für den Ausstieg geeinigt. Das Umweltministerium war ursprünglich nur von etwa 1 Milliarde ausgegangen. Warum wird es jetzt so viel teurer?

Jochen Flasbarth: Diese Schätzung hatten wir gemacht, bevor das Bundesverfassungsgericht im November 2020 ein neues Urteil gesprochen hatte, wonach die geplante Regelung unzureichend war. Aber im Vergleich zu den 7 Milliarden Euro, die allein Vattenfall vor dem Schiedsgericht in Washington gefordert hat, ist die Summe dann doch moderat ausgefallen. Und einen Teil des Geldes bekommt die öffentliche Hand zurück, weil die Unternehmen die Zahlung versteuern müssen.

Bisher hatte die Bundesregierung die Berechtigung des Schiedsverfahrens komplett bestritten. Nun hat man sich auch dort geeinigt. Ein bisschen Angst, zahlen zu müssen, hatten Sie also doch?

Natürlich. Wir haben zwar gute Argumente angeführt, warum Vattenfalls Forderungen unbegründet waren, aber sicher sein konnten wir natürlich nicht. Ausgangspunkt der Verhandlungen war allerdings nicht dieses Verfahren, sondern die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es hat sich dann lediglich ergeben, dass wir dabei auch das Schiedsverfahren für erledigt erklären konnten. Es ist deutlich geworden, dass auch die Unternehmen diese Streitigkeiten hinter sich lassen wollen. Ihr Geschäftsumfeld in Deutschland ist jetzt geprägt von den Erneuerbaren. Da wollen sie mit dem Atomthema öffentlich möglichst wenig in Verbindung gebracht werden.

Jochen Flasbarth

Jochen Flasbarth, 58, ist seit 2013 Staatssekretär im Bundesumweltministerium und dort unter anderem für das Thema Atomkraft verantwortlich. Zuvor war das SPD-Mitglied Präsident des Nabu und des Umweltbundesamts.

Vattenfalls Klage beruhte auf der Energiecharta. Wäre das nicht ein guter Anlass, diesem umstrittenen Vertrag zu kündigen, wie es viele Umweltgruppen fordern?

Nein, ich bin dagegen, aus dem Vertrag auszusteigen; schließlich profitiert Deutschland auch davon, wenn Rechtssicherheit für Unternehmen herrscht. Aber er muss grundlegend reformiert werden. Wir sind jetzt auf dem Weg in eine neue Energiewelt, auch international. Darum muss auch der Energiecharta-Vertrag Paris-kompatibel werden, er muss sich am Ziel der Klimaneutralität orientieren.

Was heißt das konkret?

Wir möchten, dass fossile Investitionen dadurch nicht mehr geschützt werden. Für Erneuerbare brauchen wir dagegen mehr Rechtssicherheit.

Und wenn es dafür keine Mehrheit gibt?

Das wird nicht von heute auf morgen zu erreichen sein. Aber für uns ist klar: Wenn er sich nicht an den Zielen des Pariser Klimaabkommens orientiert, hat der Energiecharta-Vertrag keine Zukunft.

Teilweise wird behauptet, die schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung von 2010 sei der Hauptgrund für die hohe Entschädigung. Ist dieser Vorwurf aus Ihrer Sicht berechtigt?

Nein. Union und FDP verantworten nur einen kleinen Teil der Zahlung: Einen Ausgleich von 142 Millionen Euro für Investitionen, die die Betreiber zwischen der Laufzeitverlängerung und der erneuten Verkürzung 2011 getätigt haben. Der allergrößte Teil der Zahlung, die wir jetzt leisten – 2,3 Milliarden Euro – wird dafür gezahlt, dass die Katastrophe in Fukushima die gesellschaftliche Stimmung verändert hat: Es gab einen sehr lauten Ruf, dass Deutschland schneller aus der Atomkraft aussteigt, als im Jahr 2000 von Rot-Grün festgelegt worden war.

Und wer hat ihn erhört?

Das war ein parteiübergreifender Konsens, an dem neben Union und FDP auch meine Partei und die Grünen mitgewirkt haben. Und die Linke, die sich enthalten hat, wollte einen noch schnelleren Ausstieg, der noch höhere Zahlungen zur Folge gehabt hätte. Alle diese Parteien sind gemeinsam dafür verantwortlich, dass diese Ausgleichszahlungen jetzt stattfinden müssen. Und für mich gehört es zum guten demokratischen Umgang miteinander, dass man das nicht verunklart, sondern genau so sagt.

2016 hat der Staat den Konzernen die Verantwortung für den Atommüll abgenommen. Hätte man damals nicht einen Verzicht auf die Klagen durchsetzen können?

Ich hätte mir das gewünscht. Aber die überparteiliche Kernenergie-Finanzierungskommission KfK hatte das damals leider nicht so klar gefordert, das war nicht durchsetzbar. Wenn wir damals gewusst hätten wie die Unternehmen heute wirtschaftlich dastehen, wären sie aber vermutlich nicht so günstig davongekommen.

Ist das Thema Atomkraft in Deutschland damit jetzt endgültig erledigt – oder wird es auch hierzulande angesichts der Klimakrise eine neue Debatte geben?

Für den Staat ist das Kapitel noch nicht abgeschlossen, denn der Atommüll wird uns noch viele Jahrzehnte beschäftigen. Aber davon abgesehen ist das Thema in Deutschland durch. Keine seriöse politische Kraft fordert eine Rückkehr zur Atomkraft. Und die Kostenvorteile der Energiewende sind gegenüber nuklearen Phantasien inzwischen so groß, dass die Atomkraft schon deshalb keine Chance mehr hat.

Das sieht Joe Biden anders.

Jeder hat ein Recht auf Fehleinschätzungen. Tatsache ist: Während die Erneuerbaren weltweit dynamisch wachsen und immer billiger werden, dauern Atomplanungen immer länger und werden immer teurer. Ich bin sicher, dass wir auf den wettbewerbsfähigsten Weg gesetzt haben und dass Atomkraft schon wegen ihres minimalen Anteils am Gesamtenergiemix weltweit keine Chance hat.

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5 Kommentare

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  • Wenn ich 30 Jahre jünger wäre, würde ich beim Lesen des Artikels wahrscheinlich anfangen zu weinen, aber so kann ich nur den Kopf schütteln ….

    Erinnern wir uns: „Nach den Berechnungen des IPCC müssen die CO2-Emmissionen in den nächsten 10 Jahren halbiert werden“ (das bescheidene Ziel der Bundesregierung ist es übrigens, die CO2-Emissionen bis 2050 nur um 50 % zu reduzieren). Was haben wir im Hinblick auf dieses Ziel bisher erreicht:

    - Wir haben es nach 20 Jahren Energiewende gerade mal geschafft, unseren Primärenergieverbrauch um lächerliche 10 % zu reduzieren.

    - Wir sind sagenhaft stolz auf einen Anteil von 46 % der Erneuerbaren bei der Stromerzeugung und vergessen, dass Stromerzeugung nur für 20 % unseres Primärenergiebedarfes verantwortlich ist (der Rest geht auf Heizung, Industrie, Verkehr)

    - Wir schalten die CO2-neutralen AKWs 2022 ab und verlängern die Laufzeit der Kohleverstromung bis 2038 (u.a. die Slowakei macht es genau umgekehrt…) .

    - Wir schenken den Betreibern unserer AKWs als Entschädigung 2,3 Mrd Eur und kaufen lieber bei unseren Nachbarn in Frankreich Atomstrom und in Tschechien und Polen Kohlestrom.

    - Wir machen wöchentliche Mahnwachen vor stillgelegten Atomkraftwerken, während allein in Polen rd. 6.000 Tote durch die Kohleverstromung zu beklagen sind, pro Jahr !

    - Wir schaffen es politisch nicht einmal, den Bau von Pumpspeicherwerke, den Stromnetzausbau oder das Repowering von alten Windrädern durchzusetzen (bis 2025 müssen wg der gesetzlichen Abstandsregelungen ca. 25 % der bestehenden Windenergieanlagen stillgelegt werden).

    Stellen wir vor diesem Hintergrund - nur mal theoretisch – vor, wir hätten eine einsatzfähige Technologie, die CO2-neutral verlässlich Strom liefern könnte: wäre das nicht genial ?

    Kein Mensch will Atomkraft !

    Aber kann mir mal irgendjemand erklären, wie denn der Plan B aussieht ?

  • Mein Wunsch an die taz: Einen Artikel über die Gewinn-Entschädigungs Zahlungen für den Atom- oder den Kohleausstieg zusammen mit dem plakativen Hinweis daß jede neue Fehlinvestition in z.B.Füssiggas-Terminals und Erdgas Pipelines wiederum zu entsorechenden Forderungen der Investoren führen wird wenn wir sie nicht verhindern bzw. den Ex - und Importeuren jetzt schon per Gesetz klar machen, dass bereits in wenigen Jahren kein Gas mehr fließen darf.

  • Leider wird im Rahmen der "jahrzehnte-langen Beschäftigung" in Deutschland nicht über eine chemische Vorkonditionierung der Abfälle, - also eine Überführung in wasserlösliche Verbindungen - nachgedacht.

    Denn das Hauptproblem ist eine potentielle Wasserlöslichkeit der Radionuklide.

    Das wäre das Allerwichtigste bevor man überhaupt über den Standort des Endlagers nachdenkt.

    • @Ruhrpott-ler:

      Upps. Das soll natürlich ,,wasserunlösliche Verbindungen" heißen

  • "Für den Staat ist das Kapitel noch nicht abgeschlossen, denn der Atommüll wird uns noch viele Jahrzehnte beschäftigen."



    Diesen Staat nur Jahrzehnte, denn irgendwann ist auch er Geschichte. Doch der Müll wird noch viele Jahrtausende gefährlich bleiben.



    Wikipedia dazu [Radioaktiver Abfall]: " Aufgrund der langen Halbwertszeiten vieler radioaktiver Substanzen fordert die deutsche Gesetzgebung eine sichere Lagerung über 1 Million Jahre." Einfach Wow!



    Herr Flasbarth, als Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) sollte Ihnen dieses Detail bekannt sein.