Umweltschützer über Hochwasser in Bayern: „Ein billiges Ablenkungsmanöver“
Wer Hochwasser vermeiden will, muss Flüsse renaturieren, sagt Naturschutzverbandschef Schäffer. Er kritisiert Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger.
taz: Herr Schäffer, wenn ich den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger richtig verstanden habe, sind Sie an der Hochwasserkatastrophe schuld. Wie konnten Sie nur?
59, ist Vorsitzender des Landesbundes für Vogel- und Naturschutz (LBV), des ältesten Naturschutzverbands Bayerns. Der Oberpfälzer Biologe promovierte über das Partnerschaftssystem von Tüpfelralle und Wachtelkönig.
Norbert Schäffer: Wenn die Situation nicht so traurig wäre, könnte man über solche Aussagen tatsächlich lachen. Aber im Ernst: Das ist doch nur ein billiges Ablenkungsmanöver von Hubert Aiwanger, nachdem er selbst das Hochwassermanagement und den Klimaschutz in vielen Bereichen behindert hat. Wir fordern seit Langem immer wieder einen nachhaltigen Hochwasserschutz in Bayern. Wenn Aiwanger uns jetzt den Schwarzen Peter zuschieben will, ist das einfach nur unanständig. Ein durchsichtiges politisches Manöver vor der Europawahl.
Bei dem Vorwurf geht es um Staubing im niederbayerischen Landkreis Kelheim, das jetzt überschwemmt wurde. Laut Aiwanger geht das auf Ihr Konto – weil der LBV gegen einen notwendigen Staudamm geklagt hat.
Man muss wissen, was genau da geplant war: Dieser Staudamm sollte ein riesiges Bauwerk über 700 Meter werden, der über 20 Millionen Euro gekostet hätte – für insgesamt zehn Häuser. Wir haben auf die beträchtliche Naturzerstörung durch diesen Damm hingewiesen und Alternativen aufgezeigt: Man könnte diesen Damm beispielsweise näher an die Ortschaft heranführen, dann hätte die Donau schon mehr Platz, und der Damm könnte kleiner ausfallen. Noch kostengünstiger wäre es, die Menschen in den zehn Häusern abzusiedeln, ihnen andere Häuser im Ort zur Verfügung zu stellen. Man darf auch nicht vergessen, dass die Leute wissentlich im Überschwemmungsgebiet gebaut haben – zum Teil noch nach 1999, nachdem es dort schon mal so ein Hochwasser gegeben hat. So ein Damm würde im Übrigen ebenfalls dazu führen, dass das Wasser noch schneller die Donau abwärtsschießt. In Regensburg und Passau würde man sich dann bedanken. Die Behörden haben sich unseren Vorschlägen aber verweigert und waren nicht bereit, Alternativen zu überprüfen. Und deshalb wurde unserer Klage dann ja auch 2021 recht gegeben. So schlecht können unsere Argumente also nicht gewesen sein.
Sie sagen, Aiwanger habe den Hochwasserschutz heruntergeschraubt. Damit beziehen Sie sich auf seinen anfänglichen Widerstand gegen Flutpolder 2018, als er mit seinen Freien Wählern in die bayerische Regierung gekommen ist.
Zum Beispiel. Aiwanger hat aber auch die Renaturierung von Mooren behindert, die Begrenzung der Flächenversiegelung oder die Einrichtung von Gewässerrandstreifen. Und dann eben auch den Bau von Poldern. Wir selbst sind keine bedingungslosen Freunde der Polder, aber Polder sind eine Möglichkeit, die Hochwasserspitzen zu kappen. Es kommt darauf an, wie sie gebaut werden. Wir halten es für wichtig, dass der Lebensraum innerhalb der Polder für regelmäßige Überflutungen fit gemacht wird.
Sie sind also nicht grundsätzlich gegen technischen Hochwasserschutz?
Nein. Natürlich können Polder bei einer Flutkatastrophe helfen. Aber seien wir mal ehrlich: Wenn das Wasser schon in Deggendorf oder Passau steht, ist es eigentlich schon zu spät. Wir müssen an den Oberläufen der Flüsse und Bäche anfangen. Deshalb fordern wir schon seit Jahren beispielsweise eine Renaturierung von Mooren oder auch kleinen Fließgewässern. Auch die Gewässerrandstreifen, die im Rahmen des bayerischen Volksbegehrens zum Artenschutz verbindlich gemacht wurden, helfen natürlich. Jeder Kubikmeter Wasser, der ein bisschen langsamer abfließt, und jede Tonne Erde, die in den Feldern bleibt und nicht als Schlamm in den Flüssen landet, hilft. Aber all diese Maßnahmen hat Aiwanger immer sabotiert.
Eine Renaturierung hätte ja auch noch andere Vorteile …
Selbstverständlich. So fördern die dadurch entstehenden Lebensräume beispielsweise die Artenvielfalt. Und wenn wir Moore wiedervernässen, können wir damit große Mengen Kohlenstoff im Boden speichern. Allein im Donaumoos wird durch das Trockenlegen von Mooren jedes Jahr eine halbe Million Tonnen CO₂ freigesetzt.
Andererseits ist die Renaturierung von Flüssen ein Prozess, der über Jahrzehnte geht. Bis dahin fließt – mit Verlaub – sehr viel Wasser die Donau hinunter.
Das ist richtig. Wir können nicht irgendwo einen Schalter umlegen. Aber wenn wir noch länger warten, geht es auch nicht schneller. Wir brauchen ab sofort einen grundsätzlich anderen Umgang mit Wasser. Das Wasser muss mit vielfältigen Maßnahmen in der Fläche gehalten werden – zum einen, damit es zu einer Grundwasserneubildung kommt, zum anderen eben, um die Hochwasserspitzen bei Starkregenereignissen zu kappen. Und vor allem: Wir müssen das Thema Wasser überall mitdenken. Bei jeder Hofeinfahrt müssen wir überlegen, ob die tatsächlich gepflastert werden muss oder ob wir sie so lassen, dass dort bei Starkregen auch mal 30 Liter Regen versickern können. Das muss sich wie ein roter Faden durch alle Maßnahmen durchziehen.
Den Bewohnern von Staubing hätten die nicht gepflasterte Hofeinfahrt oder ein paar mehr renaturierte Bäche aber wohl auch nicht geholfen.
Ich habe wirklich sehr großes Mitgefühl mit den Betroffenen der Flut, natürlich auch mit den Menschen in Staubing. Aber man muss den Leuten dort in diesem konkreten Fall auch irgendwann mal vermitteln, dass wir viele, viele Millionen ausgeben, um ganz wenige Häuser zu schützen. Klar müssen wir solidarisch sein, aber wenn Häuser an Orten gebaut worden sind, wo es künftig immer wieder zu solchen Katastrophen kommen wird, dann muss die Empfehlung doch sein: Leute, wir geben euch Geld, damit ihr euch hundert Meter weiter, etwas höher gelegen, ein neues Haus bauen könnt – anstatt dass wir dieses Geld in einen völlig unverhältnismäßigen Schutz durch riesige Dämme stecken. Das wäre auch in Staubing problemlos möglich.
Vielfach sind es ja gar nicht mehr nur die großen Flüsse. Es versinken ja Orte in den Fluten, die man nie als gefährdet betrachtet hätte.
Wenn es irgendwo in kurzer Zeit 150 bis 200 Millimeter Niederschlag gibt, dann passieren natürlich Dinge, die nicht vorhersagbar sind. Da können auch kleine Bäche, die man bis jetzt nicht mit Hochwasser in Verbindung gebracht hat, plötzlich überlaufen. Und das wird uns infolge der Klimakatastrophe künftig immer häufiger passieren. Und so was werden wir auch nicht ganz verhindern können. Wenn wir aber grundsätzlich anders mit Wasser umgehen, können wir schon die Wahrscheinlichkeit für Hochwasserereignisse reduzieren. Und auch die Auswirkungen können wir minimieren.
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