Umweltpolitik der Ampel-Koalition: Die neuen Adressen für Klimaschutz

Gleich vier Ministerien rangeln in der neuen Bundesregierung um Klimapolitik. Und das Kanzleramt hält sich erst mal raus.

Vier Politiker heben die Hand

Klimazuständige heben bitte die Hand: Habeck, Baerbock, Özdemir und Lemke (im Uhrzeigersinn) Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz | Bisher war die Sache für KlimaschützerInnen klar: Wer auf Bundesebene demonstrieren oder verhandeln wollte, den zog es in die Stresemannstraße 128–130 in Berlin-Mitte. Dort sitzt das Bundesumweltministerium, bisher fachlich und juristisch zuständig für so ziemlich alles rund ums Klima.

Mit der Ampelregierung wird das komplizierter: Wem es um die deutschen CO2-Emissionen und die Gesamtstrategie geht, fährt am besten zur Scharnhorststraße 34–37, gleich beim Hauptbahnhof. Wem es ums große Geld geht, der muss sich in der Stresemannstraße 94 anstellen. Hat jemand Fragen zu den UN-Klimaverhandlungen, sucht er sich nun Kontakte am Werderschen Markt 1, gleich am Humboldt Forum. Oder geht es um die Anpassung Deutschlands an Hitze, Dürre und Fluten? Dann doch wieder zurück in die Stresemannstraße 128–130.

Was in vielen Sonntagsreden immer wieder gefordert wurde, hat die Koalition aus SPD, Grünen und FDP nun teilweise umgesetzt: Klimaschutz als „Querschnittsaufgabe“ der Regierung. Stand früher das zuständige Umweltministerium (BMU) oft allein, wenn es um die Bewältigung der Klimakrise ging, verteilen sich die Zuständigkeiten jetzt auf mehrere Ressorts.

Manche Beobachter beklagen eine „Zerschlagung“ des BMU, andere loben, das Engagement werde endlich so breit, wie es dem Thema angemessen ist. Aber klar ist: Die deutsche Klimapolitik ist von der Öko-Nische auf die große politische Bühne getreten.

Aderlass fürs Umweltministerium

Zentral verantwortlich ist jetzt das Wirtschafts- und Klimaministerium (BMWK) des grünen Vizekanzlers Robert Habeck. Hier konzentrieren sich die Zuständigkeiten für die Sektoren Indus­trie und Energie: Ausbau von Wind- und Sonnenenergie, Bau von Stromnetzen, Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.

„Die Verantwortung für die Umsetzung des Klimaschutzgesetzes und die Kooperation in der Regierung liegt auch in unserem Ressort“, sagt Patrick Graichen, Staatssekretär in Habecks Haus, bis vor kurzem Chef des Thinktanks Agora Energiewende und davor Beamter im Umweltministerium. „Anfang 2022 steht als erstes das Klimaschutz-Sofortprogramm an, an dem alle zuständigen Ministerien mitwirken werden.“

Dazu kommt: Habecks Leute gestalten auch große Teile des neuen „Klima-Transformationsfonds“, der mit 60 Milliarden Euro für grüne Investitionen aufgestockt wurde. Sie verantworten auch gemeinsam mit dem Entwicklungshilfeministerium Projekte wie etwa die Hilfe an Südafrika zum Kohleausstieg, aber auch den hart umkämpften Emissionshandel, der bei der EU verhandelt wird. Auch die Energieeffizienz in Gebäuden, eines der schwierigsten Themen auf dem Weg zur Klimaneutralität, ist traditionell im Wirtschaftsministerium angesiedelt – gemeinsam mit dem neuen Bauministerium.

Um all diese Aufgaben zu bewältigen, zieht Habeck seiner Parteikollegin Steffi Lemke etwa 70 Stellen aus dem BMU ab: Fast die gesamte Abteilung IK III, Klimaschutz und Internationales, wandert ins BMWK. Dazu kommen einzelne andere Referate wie die zur „Internationalen Klimaschutzinitiative“ (IKI), die ExpertInnen für internationale Beziehungen und OECD-Kooperation oder die Koordinierung der klimaneutralen Bundesverwaltung.

Nach 2013, als das Wirtschaftsministerium sich aus dem BMU die Zuständigkeit für die erneuerbaren Energien zurückholte, ist das ein weiterer Aderlass, mit dem das Umweltministerium „zur Resterampe gerupft“ wird, schimpfen manche MitarbeiterInnen.

Die neue Umweltministerin Lemke betont dagegen loyal, das Ganze sei eine „sinnvolle Umstrukturierung, die den Klimaschutz breiter verankert als bisher“. Für sie ist auch klar, dass ihr Haus durchaus weiter mitspielt: Das Umweltministerium bleibt zuständig für die Anpassung Deutschlands an den Klimawandel, für die Vorsorge gegen Schäden und für das, was Lemke „natürlichen Klimaschutz“ nennt: Die Stärkung von Kohlenstoffspeichern in Böden und Wäldern und die Wiedervernässung von Mooren.

Hier wird sie sich allerdings mit dem grünen Kollegen Cem Özdemir absprechen müssen, der als Landwirtschaftsminister berücksichtigen muss, dass viele Bauern Widerstand ankündigen, wenn ihre Flächen umgewidmet werden sollen.

Auch das Umweltbundesamt als zentrale Fachbehörde für Klima- und Energiefragen, für das Treibhausgas-Inventar und die Emissionshandelsstelle bleibt beim BMU. Die Fachleute dort bereiten sich allerdings darauf vor, in Zukunft mehr mit den nun auch klimainteressierten Häusern wie Verkehr, Bauen, Auswärtiges und vor allem Wirtschaft zusammenzuarbeiten.

Der große neue Spieler bei dem Thema ist das Auswärtige Amt (AA). Außenministerin Annalena Baerbock hat sich als erfahrene Klimapolitikerin aus dem Umweltministerium die Abteilungen IK III 6 und IK I 3 geschnappt. Das sind zwar nur etwa zwei Dutzend ExpertInnen, aber mit einer hohen Sichtbarkeit: Sie vertreten Deutschland bei den UN-Klimaverhandlungen. Statt wie bisher die Umweltministerin wird sich also Außenamtschefin Baerbock einmal im Jahr in entscheidenden COP-Sitzungen die Nächte um die Ohren schlagen.

Baerbock bastelt auch mit ein paar Getreuen an einer Strategie zur „Klimaaußenpolitik“, um das Thema in die DNA des Diplomatischen Korps zu integrieren. Bislang kümmern sich um das Thema Klima im engeren Sinne im AA mit seinen etwa 12.000 Beschäftigten ganze zwei Stellen. Eine Idee: Die bisherigen Wirtschaftsreferenten an den deutschen Botschaften sollen das Klima verstärkt in den Blick nehmen.

Bittere Auseinandersetzungen

Insgesamt will die ehemalige grüne Kanzlerkandidatin das Thema so präsent in der Außenpolitik machen wie es etwa Frankreich oder die USA schon lange tun. Es war der französische Außenminister Laurent Fabius, der 2015 das Pariser Abkommen zum Klimaschutz verhandelte. Baerbocks Team sucht hinter den Kulissen derzeit nach einer Person, die als deutsches Gesicht und „Klima-Beauftragte“ im Range einer Staatssekretärin oder eines Staatssekretärs die Ministerin vertritt – etwa wenn die durch akute außenpolitische Krisen abgelenkt ist.

Fraglich bleibt, was Baerbock oder ihre „Klima-Beauftragte“ auf den UN-Konferenzen groß verhandeln werden. Denn die völkerrechtlichen Regeln in der internationalen Klimadiplomatie sind mit der COP26 in Glasgow zum großen Teil bereits geklärt. Die bitteren Auseinandersetzungen ab 2022 bei der Konferenz im ägyptischen Scharm al-Scheich werden sich um Finanzen, Anpassung an den Klimawandel für die armen Staaten und den umstrittenen Ausgleich für „Verluste und Schäden“ drehen.

Die aber fallen traditionell in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Schon bislang kommt aus dem Haus, nur fünf Minuten Fußweg vom neuen Amtssitz von Steffi Lemke entfernt an der Stresemannstraße in Berlin-Kreuzberg, ein Großteil der deutschen Klima-Finanzierungen im Ausland: Etwa 80 Prozent der derzeit etwa 4 Milliarden Euro jährlich, die bis 2025 auf 6 Milliarden anwachsen sollen, steht im BMZ-Haushalt für Projekte, die zum Beispiel erneuerbare Energien in Afrika, moderne Verkehrssysteme in den Megastädten der Entwicklungsländer oder Versicherungsangebote für Kleinbauern vorantreiben.

Die neue Ministerin Svenja Schulze ist beim Klimaschutz eine alte Bekannte. Als Umweltministerin hat sie das Klimaschutzgesetz geschrieben. Beim Umzug hat die SPD-Politikerin einen großen Teil des BMU-Stabes mitgenommen, vor allem den beamteten Staatssekretär Jochen Flasbarth – seit acht Jahren erfahrener Klimaverhandler, deutscher Delegationsleiter und international gut vernetzt und geschätzt. Dieses Team wird auch in Zukunft mit den heißen Eisen im UN-Prozess hantieren.

Die breite Aufstellung der neuen Bundesregierung zum Klimaschutz sei trotz aller Risiken „ein großer Wurf“, lobt Christoph Bals, Leiter der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Es gebe in vielen Häusern gutes Personal, das „ganz andere Ambitionen“ zeige als bisherige Regierungen. Auch verschiedene Ministerien und das Kanzleramt wollten die Klimaagenda international bei G20 und G7 voranbringen, bei Letzterem hat Deutschland 2022 den Vorsitz.

„Hoffentlich kommt auch viel Rückendeckung für die EU-Kommission und ihr Klimaprogramm Fit for 55“, sagt Bals, „schließlich schauen viele andere Länder auf Deutschland als Blaupause für einen Umbau der Industriegesellschaft.“

„Sorgenkinder“ des nationalen Klimaschutzes

Die neue Klima-Struktur hat allerdings auch ein paar schwarze Löcher. Gerade die „Sorgenkinder“ des nationalen Klimaschutzes sind vom klimagerechten Umbau der Regierung kaum betroffen: Aus dem Verkehrsministerium von FDP-Mann Volker Wissing heißt es, zu dem Thema sei bisher noch nichts entschieden. Auch das Bauministerium von Klara Geywitz sortiert sich ganz neu. Die Ministerin sei dem Thema gegenüber offen, heißt es da. Aber genaue Pläne sind noch nicht bekannt.

„Entscheidend wird sein, wie die verschiedenen Ministerien beim Klimaschutz koordiniert werden“, sagt Christian Flachsland, Professor für Nachhaltigkeit an der Hertie School, Experte für Verwaltungsfragen im Klimaschutz. „Es wird zwischen den Ministerien schon bald Konflikte geben, und die müssen ausgetragen und gelöst werden.“

Ein Konflikt lauert für die Ampel schon spätestens im Frühjahr: Bei der Emissionsbilanz für 2021, die laut Klimaschutzgesetz ansteht, werden ziemlich sicher die Bereiche Verkehr und Gebäude die Vorgaben verfehlen. Dann muss die Regierung reagieren – und sich eventuell das Kanzleramt einschalten.

Aber von Bundeskanzler Olaf Scholz und seinem Stab ist eine besondere Konzentration auf Klimapolitik bisher nicht bekannt. Dabei hatte Kanzlerkandidat Scholz im Wahlkampf versprochen, Klima als „zentrale Zukunftsmission zur Chefsache“ zu machen. Das Haus bereite sich darauf vor, bei Konflikten dazu in der Regierung einzugreifen, heißt es jetzt.

Aber erst einmal sieht es so aus, als überlasse das Kanzleramt es den grünen MinisterInnen, schlechte Nachrichten wie das Verfehlen von Klimazielen zu überbringen und harte Maßnahmen im Verkehr, beim CO2-Preis oder bei Gebäuden zu fordern.

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