Umsturz in Mali: Ein Imam lehrt das Fürchten
Der Putsch in Mali folgt auf monatelange Proteste gegen Präsident Keïta. Die Bewegung hatte Imam Mahmoud Dicko aufgebaut.
COTONOU taz | Mit Imam Mahmoud Dicko in Bamako einen Termin zu bekommen, ist nicht immer einfach. Vor zwei Jahren sagte er nach mehreren Anfragen kurzfristig wieder ab. Es war kurz vor der Präsidentschaftswahl, bei der es zum erneuten Duell zwischen Amtsinhaber Ibrahim Boubacar Keïta und Oppositionsführer Soumaïla Cissé kam. Direkt vor dem Urnengang wolle er sich nicht öffentlich äußern, ließ sein Assistent bekanntgeben.
Fünf Jahre zuvor – das war nach Tuaregrebellion, Staatsstreich, Besetzung des Nordens durch islamistische Gruppierungen und Militärintervention der Franzosen – war es noch ganz anders. Gemeinsam mit weiteren religiösen Meinungsführern unterstützte der heute 66-Jährige offen den Wahlsieger Keïta.
Die einstige Unterstützung hat sich längst in das Gegenteil gekehrt. Die Protestbewegung M5-RFP (Bewegung des 5. Juni / Sammlung der Patriotischen Kräfte), ein Zusammenschluss der Zivilgesellschaft und Teilen der politischen Opposition, hat in den letzten Wochen mit Demonstrationen in Bamako die Regierung in die Defensive gebracht. Ihre Führungsfigur: Imam Dicko.
Ihren Wunsch, Präsident Keïta lieber heute als morgen loszuwerden, hat Malis Armee jetzt erfüllt und den Präsidenten abgesetzt. Nun richten sich alle Augen auf die Protestbewegung und ihren Imam.
50.000 Demonstrant*innen mobilisiert
Der Imam stammt aus einer einflussreichen Familie aus Timbuktu und studierte in Saudi-Arabien. Anschließend ging er nach Bamako, wo er 2008 Vorsitzender der religiösen Instanz „Hoher Islamischer Rat von Mali“ (HCIM) wurde und somit einer der einflussreichsten religiösen Meinungsführer. Bis heute spricht er sich öffentlich für einen laizistischen Staat aus. Dennoch wird immer wieder über seine Nähe zum saudischen Wahhabitentum spekuliert.
Wie viel Einfluss er hat – in Mali bekennen sich knapp 95 Prozent der 19,5 Millionen Einwohner*innen zum Islam –, demonstrierte Imam Dicko schon früh. Um eine „unislamische“ Reform des Familiengesetzes im Jahr 2009 zu verhindern, mobilisierte er mit anderen Imamen 50.000 Demonstrant*innen. Bis heute winkt er auf Fragen, ob religiöse Meinungsführer sich nicht etwa deutlich gegen die in Mali weitverbreitete Genitalverstümmelung von Frauen äußern sollen, fast genervt ab. Die Zeit würde das richten, meint er.
Seit dem vergangenen Jahr hat Dicko eine neue Bewegung, die „Koordinierungsstelle der Bewegungen, Vereine und Sympathisanten von Imam Dicko“ (CMAS). In Bamako fallen immer wieder kleine CMAS-Stadtteilbüros auf. Im Hauptsitz in Magnambougou Faso Kanu empfängt Dicko Gesprächspartner*innen auch gerne Journalist*innen. Er sitzt auf einem hellbraunen Ledersofa und wirkt anders als bei öffentlichen Auftritten ruhig und bei Fragen häufig kurz angebunden. Eine politische Partei sei die CMAS nicht, sondern schlicht eine Bewegung, sagt er.
Doch seine politische Wirkung ist erheblich. Im April 2019 erzwang er mit einer Kampagne den Rücktritt des Premierministers Soumeylou Boubèye Maïga. Auch bei den jüngsten Demonstrationen gelang es Dicko, viele tausend Menschen zu mobilisieren – in einem Land, in dem zuletzt vor allem Desinteresse, Enttäuschung und fehlendes Vertrauen in die Politik zu spüren war. Genau das kommt dem Imam heute zugute. Nicht die Politik, sondern die Religiösen werden als jene gesehen, die Mali aus der Krise führen können.
Leser*innenkommentare
unbedeutend
Eine Frage zum Verständnis und zur Einordnung an die Redaktion. "Im Hauptsitz in Magnambougou Faso Kanu empfängt Dicko Gesprächspartner*innen auch gerne Journalist*innen." - Soll es ausdrücken, dass er gerne auch mit der Presse redet oder dass er auch mit Frauen spricht?
Ignaz Wrobel
Das mit den Pfaffen (wahlweise als Shariastaat oder aufgeklärt wie in Polen und Russland mit ideologischer Rückendeckung durch die Popen) als Staatsmodell hat ja in der Vergangenheit auch immer super funktioniert. Und wenn wir es Zivilgesellschaft nennen, ich nehme an, dass die zufällig zu 99% ein Y-Chromosom hat, dann ist es genug Tünche, damit die Linke den Putsch, wie weiland Foucault die islamische iranische Revolution, als Selbstermächtigung begrüßen kann.
Andreas J
@Ignaz Wrobel In Westafrika ist der Islam in der Regel sehr tolerant. Der Islam dort hat wenig mit dem in Saudi Arabien zu tun Die Situation in Mali hat soziale Ursachen. Religöse Führer als Staatsoberhaupt sehe ich auch nicht gern, aber aus der Politik kommt da auch nichts gescheites.
Gunnar Roth
@Andreas J Genau in Saudi-Arabien wollte Docki einfach nur lernen, wie er es nicht machen will.