Umstrittener Bahnhofsbau immer teurer: Stuttgart 21 knackt neuen Rekord
Der Bahnhofsbau Stuttgart 21 leidet unter weiteren Kostensteigerungen, deren Finanzierung ist ungeklärt. Die Eröffnung verschiebt sich wohl auf 2027.
Nach Recherchen verschiedener Medien sollen die Kosten für das Gesamtprojekt nach derzeitigem Stand um 1,8 Milliarden auf 11 Milliarden Euro steigen. Die Bahn bestätigte die Zahlen nicht. Unklar ist, wer die gestiegenen Kosten trägt, denn die Kostenverteilung ist nur für den 2009 bei Baubeginn veranschlagten Preis in Höhe von 4,5 Milliarden Euro geregelt.
Seitdem beharrt die Landesregierung darauf, nur die versprochenen 930 Millionen Euro zu bezahlen. Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) versicherte am Freitag nach der Sitzung des Lenkungsausschusses, dass sich Baden-Württemberg nicht an den Mehrkosten beteiligen werde.
Nach Recherchen des SWR soll sich zudem die Eröffnung des Riesenprojekts verzögern. Der Sender beruft sich auf Insider des maßgeblichen Zulieferunternehmens Thales. Danach sei Dezember 2025 als Eröffnungstermin kaum noch realistisch, da sich die Digitalisierung des Bahnhofsknotens als schwierig erweist. Die Thales Group, die für die Digitalisierung zuständig ist, steckt selbst in einem Umstrukturierungsprozess. Maßgebliche Unternehmensteile wurden an den japanischen Konzern Hitachi Rail verkauft.
An der Digitalisierung hakt es
Dass es ausgerechnet an der Digitalisierung hakt, dürfte Kritiker bestätigen. Die aufwändige digitale Koordination des Verkehrs soll sicherstellen, dass der Bahnhof, der weniger Gleise haben wird als der überirdische Kopfbahnhof, überhaupt erst die notwendige Leistungsfähigkeit für den Bahnverkehr erreicht. Deshalb warb Verkehrsminister Herrmann auch um Geduld: „Von einem Holperstart haben wir alle nichts“, sagte er am Rande des Lenkungskreistreffens.
Das Stuttgarter Bahnprojekt steht seit der Vertragsunterzeichnung massiv in der Kritik. Proteste der Bevölkerung, die dem unterirdischen Bahnhof Sinn und Wirtschaftlichkeit absprachen, fanden bundesweit Beachtung. Nach gewalttätigem Eingreifen der Polizei bei Demonstrationen im Hofgarten im September 2010, das die Regierung von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) veranlasst hatte, kam es zu einem Schlichtungsverfahren, in dem Verbesserungen des Projekts von der Bahn verlangt wurden.
Im November 2011 mussten die Gegner des Bahnhofsprojekts bei einer Volksabstimmung eine Niederlage hinnehmen. 58,8 Prozent stimmten für den Bau, nicht einmal in Stuttgart selbst hatten die Gegner die Mehrheit. Seit damals wurden immer neue Veränderungen des Projekts vorgenommen, die den Bau verteuerten. Die Kosten zusammen mit der inzwischen eröffneten Schnellbahnstrecke Wendlingen-Ulm haben sich seit damals mehr als verdoppelt.
Immerhin gibt es auch eine positive Nachricht: Wie der Lenkungskreis bekannt gab, soll der Flughafenbahnhof, der Teil des Gesamtkonzepts ist, schon ein Jahr früher als geplant in Betrieb gehen.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ergebnis der Sondierungen
Auf dem Rücken der Schwächsten
Krieg im Nahen Osten
Definitionsmacht eines Genozids
Frauen und Krieg
Krieg bleibt männlich
Verhandlungen mit den Grünen
Und was ist mit dem Klima?
Sondierung und Klima
Ein Kapitel aus dem Märchenbuch
Grünen-Realo Sergey Lagodinsky
„Vollgas in die Sackgasse tragen wir nicht mit“