Umstrittene „Islamlandkarten“: Selbsternannte Islam-Kenner*innen

In Österreich und Deutschland gibt es jetzt „Islamlandkarten“. Es offenbart: Wer Mus­li­m*in­nen kritisiert, wird zur Ex­per­t*in erkoren.

Constantin Schreiber

„Tagesschau“-Sprecher Constantin Schreiber hat das Onlineprojekt „Moscheepedia“ gestartet Foto: NDR

Die österreichische Integrationsministerin Susanne Raab präsentierte vor drei Wochen im Zuge der Arbeit der Dokumentationsstelle Politischer Islam eine „Islamlandkarte“, auf der muslimische Organisationen und Moscheen online mit Namen und Adressen abrufbar sind.

Die Islamlandkarte ist nicht neu, im Kontext der Dokustelle, die 2020 von der Regierung eingerichtet wurde, um Extremismus zu bekämpfen, gewinnt sie aber eine neue Bedeutung – völlig harmlose Vereine werden mit problematischen vermischt. Nach der Präsentation hatte die rechtsextreme Identitäre Bewegung Warnschilder mit der Aufschrift „Achtung! Politischer Islam in deiner Nähe“ vor mehreren muslimischen Einrichtungen angebracht.

Auch in Deutschland gibt es eine solche Landkarte: „Tagesschau“-Sprecher Constantin Schreiber hat im April das Onlineprojekt „Moscheepedia“ gestartet. In dem Verzeichnis werden Gebetshäuser katalogisiert. Doch wie kommt ein Journalist der Öffentlich-Rechtlichen ohne muslimischen Bezug auf so eine Idee? Schreiber spricht Arabisch und hat zwei Bücher über Mus­li­m*in­nen geschrieben. Seitdem gilt er als Islamexperte, auch wenn viele Wis­sen­schaft­le­r*in­nen und Mus­li­m*in­nen seine Bücher kritisieren.

Johanna Pink, Professorin für Islamwissenschaft an der Uni-Freiburg, schrieb nach der Veröffentlichung von „Inside Islam“ einen offenen Brief an die ARD-Chefredakteure: Der Moscheereport sei laut Pink verzerrend, einseitig und fehlerhaft: „Ein kleiner Recherchefehler in solch einem Zusammenhang kann Existenzen bedrohen, bis hin zu verweigerter Einbürgerung aufgrund der Mitgliedschaft in bestimmten Moscheevereinen.“

Kaum jemand wird nachforschen

Das ist so eine Sache mit den Islamexpert*innen: Je­de*r kann ei­ne*r werden. Einzige Voraussetzung: Man äußert Kritik an Muslim*innen, die sich die Mehrheitsgesellschaft sowieso schon immer dachte, unterlegt sie mit Anekdoten, die den Anschein erwecken, sie würden auf alle Mus­li­m*in­nen zutreffen, um in einem Nebensatz zu erwähnen, dass man selbstverständlich nicht alle Mus­li­m*in­nen unter Generalverdacht stellen wolle.

Unter Mus­li­m*in­nen im deutschsprachigen Raum hat sich längst rumgesprochen: Wenn du in Talkshows sitzen, Interviewanfragen, einen Kolumnenplatz oder einen Buchvertrag haben willst, musst du den Islam und seine An­hän­ge­r*in­nen lautstark kritisieren.

Die Mehrheitsgesellschaft liebt Geschichten von Aussteiger*innen, die von ihrer Familie unterdrückt wurden und das jetzt auf die gesamte muslimische Community übertragen. Sie begnügt sich aber auch mit Menschen, die ein paar Einrichtungen und „Communitys“ beobachtet haben. Kaum jemand wird nachforschen, ob das wirklich zutrifft, die andere Seite befragen und zu Wort kommen lassen. Was bei Ex­per­t*in­nen in anderen Fachgebieten undenkbar wäre, bringt selbsternannten Is­lam­ex­per­t*in­nen Talkshow-Einladungen auf Lebenszeit.

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Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien

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