Umgang mit 3G-Regel: Außer Kontrolle

Die Coronazahlen steigen, die Regierung setzt auf die 3Gs: Geimpft, Genesen oder Getestet. Doch überprüft wird das oft nicht oder nur oberflächlich.

Smartphone auf dem Display das Digitale Impfzertikikat

Das Impfzertifikat wird meistens nur oberflächlich beäugt Foto: Bihlmayerfotografie/imago

Es ist fast wie früher: Auf dem Berliner Alexanderplatz stehen Tou­ris­t*in­nen Schlange, um auf den Fernsehturm zu gelangen. Doch einen Unterschied gibt es: Zusätzlich zur Eintrittskarte muss jetzt auch ein Nachweis vorgelegt werden, dass man geimpft, genesen oder getestet ist. Vielerorts gilt diese sogenannte 3G-Regel schon länger; seit dieser Woche ist sie, sofern der lokale Inzidenzwert über 35 liegt, bundesweit für alle Veranstaltungen in Innenräumen vorgeschrieben – beim Friseur- und Restaurantbesuch ebenso wie im Kino, Museum oder Hotel.

Auf dem Alexanderplatz dauert die Kontrolle nicht lang: Ein kurzer Blick auf das digitale Impfzertifikat auf dem Smartphone des einen Besuchers, ein schneller Blick in den gelben Impfpass einer anderen Besucherin. Für die ungeimpften Kinder muss eine aktuelle Testbescheinigung vorgelegt werden. Dass diese auf dem kleinen Handy-Bildschirm kaum zu erkennen ist, stört nicht weiter. Ob die vorgelegten Dokumente echt sind, wird bei dieser Kontrolle nicht überprüft. Ob sie wirklich denjenigen gehören, die sie vorzeigen, ebenso wenig.

Das war eigentlich anders gedacht: Bei der Einführung der digitalen Impfausweise wurde als besonderer Vorteil gepriesen, dass sie fälschungssicher und leicht zu überprüfen seien. „Für diejenigen, die kontrollieren müssen, gibt es eine App, die es möglich macht, die entsprechenden Zertifikate zu lesen und zu verifizieren“, hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei der Vorstellung des Projekts begeistert berichtet.

Dieses Programm mit dem Namen CovPassCheck ist tatsächlich seit dem Start des digitalen Impfausweises in den App-Stores kostenlos erhältlich. Doch bekannt ist es kaum. Das Gesundheitsministerium teilt auf Anfrage zwar mit, dass das Programm bisher 327.000-mal heruntergeladen wurde – doch inwieweit es tatsächlich genutzt wird, darüber gibt es keinerlei Informationen.

taz-Umfrage ergibt lückenhafte Kontrollen

Wenn man sich an Berichten aus dem Bekannten- und Kol­le­g*in­nen­kreis orientiert, läuft die Kontrolle – sofern es überhaupt eine gibt – in vielen Fällen ähnlich oberflächlich ab wie vor dem Fernsehturm. Dieses Bild vermittelt auch eine taz-Umfrage auf Twitter, die zwar nicht repräsentativ ist, aber mit mehreren Tausend Teil­neh­me­r*in­nen zumindest viele Erfahrungen widerspiegelt: Demnach wird vor allem in Restaurants bisher sehr lückenhaft kontrolliert. Zwar weisen meist Schilder auf die Regel hin, und oft werden Gäste auch gefragt, ob sie geimpft oder getestet sind. Doch auf eine Überprüfung verzichtet das Personal in weit mehr als der Hälfte aller Fälle – wobei es dabei individuellen Schilderungen zufolge regional große Unterschiede gibt.

Auch in Kinos und Museen gab mehr als je­de*r zweite an, beim letzten Besuch gar nicht kontrolliert worden zu sein. Gescannt wurde das digitale Impfzertifikat in weniger als 10 Prozent der Fälle. Konsequent umgesetzt wird diese Möglichkeit bisher vor allem bei Einrichtungen, wo ohnehin standardmäßig ein digitales Ticket gescannt wird – etwa in großen Fußballstadien wie der Allianz-Arena, in Großkinos, bei Konzerten oder in Vergnügungsparks.

Auch ob Impfpass, Zertifikat oder Pass wirklich der Person gehören, die sie vorzeigt, wird offenbar ähnlich selten überprüft. Dabei sollte das eigentlich standardmäßig passieren: „Bei der Überprüfung von digitalen Impfnachweisen ist ergänzend ein Lichtbildausweis vorzulegen“, heißt es auf der Webseite des Bundesgesundheitsministeriums.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Doch für die Umsetzung dieser Vorgaben fühlt sich das Ministerium nicht zuständig. Auf Anfrage teilt eine Sprecherin mit, dass für die Kontrollen der 3G-Regel die Länder verantwortlich seien. Eine Abfrage der taz bei den Landesgesundheitsministerien, die mit Ausnahme von Bayern und Berlin von allen beantwortet wurde, zeigt jedoch: Auch dort gibt es keinen Überblick, wie die Kontrollen erfolgen – denn für die praktische Umsetzung sind wiederum die Kommunen zuständig. Und Vorgaben machen die Länder diesen kaum.

Lediglich Hamburg empfiehlt Veranstaltern, digitale Zertifikate per Scan mit der App CovPassCheck zu überprüfen und dabei auch den Ausweis zu kontrollieren. Auch in Schleswig-Holstein und Sachsen ist laut Gesundheitsministerium bei der Überprüfung von Impfnachweisen ein Ausweisdokument vorzulegen. In Niedersachsen muss dies „bei begründeten Zweifeln“ geprüft werden, in Bremen zählt die „Glaubhaftmachung vor Ort“. Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben wegen der zuletzt niedrigen Inzidenzen noch keine Erfahrungen mit der 3G-Regel.

Erkenntnisse über Strafen für Be­su­che­r*in­nen oder Ver­an­stal­te­r*in­nen sind auf Länderebene ebenfalls kaum vorhanden. Zwar geben die Landesverordnungen oft Größenordnungen für Bußgelder vor. Doch unter welchen Bedingungen und in welcher Höhe diese tatsächlich verhängt werden, entscheiden wiederum die Kommunen.

Oft wird nur nur stichprobenartig kontrolliert

Und selbst dort, wo der Bund unmittelbare Verantwortung trägt, nämlich bei der Einreisekontrolle an Grenzen und Flughäfen, werden die eigenen Vorgaben nicht umgesetzt. Impfzertifikate werden dort allenfalls stichprobenartig kontrolliert und in der Regel nicht gescannt, berichten viele Reisende.

Dass sich auf Bundes- und Landesebene niemand wirklich dafür interessiert, ob und wie die 3G-Regel überprüft wird, verwundert. Denn sie ist inzwischen praktisch das einzige Instrument, auf das Bund und Länder im Kampf gegen die steigenden Coronazahlen setzen. Und die steigen derzeit mit hoher Geschwindigkeit.

Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte

„Bisher reicht es meist, irgendetwas zu zeigen, was einem QR-Code ähnelt“

Nicht nur die Zahl der Neuinfektionen, die die Politik künftig weniger beachten will, nahm zuletzt im Wochenvergleich um 43 Prozent zu. Auch in den Intensivstationen lag die Zahl der Co­ro­na­pa­ti­en­t*in­nen am Freitag mit 923 um 42 Prozent höher als eine Woche zuvor. Bliebe es bei dieser Wachstumsrate, würde sie sich alle zwei Wochen verdoppeln und der bisherige Höchststand vom Winter in weniger als sechs Wochen überschritten werden.

Eigentlich sollte genau das durch die Impfungen verhindert werden, die inzwischen zwar weniger gut gegen Infektionen, aber immer noch sehr gut gegen schwere Verläufe schützen. Doch obwohl inzwischen genug Impfstoff zur Verfügung steht und Impfungen meist ohne Termin möglich sind, sind noch immer 40 Prozent der Gesamtbevölkerung nicht vollständig geimpft.

Auch das sollte sich – neben dem direkten Schutzeffekt – durch die Einführung der 3G-Regel eigentlich ändern: Statt sich regelmäßig und in Zukunft zudem kostenpflichtig testen zu lassen, würden sich dadurch mehr Menschen impfen lassen, so die Hoffnung. Noch größer würde der Druck, wenn bestimmte Angebote künftig nur noch für Geimpfte und Genesese („2G“) offenstehen, was bei Veranstaltungen in Hamburg bereits optional möglich ist.

Doch bisher geht die Strategie, durch 3G oder 2G die Motivation zum Impfen zu erhöhen, nur in geringem Umfang auf: Zwar ist die lange rückläufige Zahl der täglichen Erstimpfungen seit der Ankündigung der bundesweiten 3G-Regel vor gut zwei Wochen wieder um 30 Prozent auf im Schnitt gut 100.000 pro Tag gestiegen. Doch ein großer Teil dieses Anstiegs liegt daran, dass etwa zum gleichen Zeitpunkt die Impfkommission die generelle Impfung von Kindern ab 12 Jahren empfohlen hat und die Impfrate bei dieser Altersgruppe seitdem stark zugenommen hat.

Dass es auch anders geht, ist derzeit im Nachbarland Frankreich zu sehen, wo die Impfquote nicht nur insgesamt deutlich höher liegt, sondern auch zuletzt sehr viel schneller gestiegen ist als in Deutschland. Ein Zusammenhang mit den Impfkontrollen liegt dabei nahe: Die werden in Frankreich nämlich sehr konsequent und praktisch immer per Scan des QR-Codes erledigt, berichtet unter anderem ZDF-Korrespondent Thomas Walde: „In Kinos jedes mal. In Restaurants fast jedes mal. Auch wenn man draußen sitzt.“ Von ähnlichen Erfahrungen berichten viele, die kürzlich in Italien Urlaub gemacht haben.

Vergleichbare Regeln fordert SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auch für Deutschland. „Bisher reicht es ja meist, irgendetwas zu zeigen, was einem QR-Code ähnelt“, sagte er der taz. „Darum müssen die Kontrollen auf jeden Fall verbessert werden und eine digitale Überprüfung des Impfzertifikats oder eine Ausweiskontrolle zur Pflicht werden.“

Bisher gibt es in Deutschland aber keine entsprechenden Pläne. Das Gesundheitsministerium verweist auch in dieser Frage auf die Zuständigkeit der Länder. Und die sehen, soweit sie die Frage überhaupt beantworten, derzeit keinen Handlungsbedarf. Neue Vorschriften seien „in der Praxis nicht wirklich notwendig“, heißt es etwa in Bremen. Auch Niedersachsen teilt mit, die Vorgaben zu den Kontrollen seien „aus Sicht der Landesregierung ausreichend“. Ob die für diese Einschätzung Verantwortlichen in letzter Zeit selbst eine Gaststätte oder Veranstaltung besucht haben, ist nicht bekannt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.