Umgang der Grünen mit Boris Palmer: Test für die grüne Vielfalt
Wenn die Grünen wirklich die heterogene Mehrheitsgesellschaft vertreten wollen, dürfen sie sich nicht auf einen linksemanzipatorischen Kanon verengen.
W ir stehen vor einer Bundestagswahl, die darüber entscheidet, ob und in welchem Umfang die bundesdeutsche Gesellschaft Zukunftspolitik zulassen möchte. Das meint ganz besonders Klimapolitik. Die ist bisher weder das Herzensthema der Konservativen noch der Linksemanzipatorischen, weshalb beide Denkrichtungen immer in Versuchung sind, vor dem Unvermeidlichen lieber noch schnell einen weiteren Kulturkampf auszurufen. Das ist der Rahmen, in dem sich die jüngste Kontroverse um den grünen Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer abspielt. Im Kern geht es um die von ihm als Zitat bezeichnete Verwendung des N-Worts in einem Facebook-Reply – und das daraufhin eingeleitete Parteiausschlussverfahren durch den Landesparteitag.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat recht, wenn er sagt, dass sich so etwas nicht mit der Würde eines Oberbürgermeisters vereinbaren lasse. Von Parteiausschluss redet er genauso wenig wie Cem Özdemir. Es gibt aber bei den Grünen einen identitätspolitischen Teil, der überzeugt ist, dass Palmer endgültig die antirassistische Grenze dieser Partei überschritten habe. Es gibt andere Teile, die ihn für einen sehr guten sozialökologischen Politiker halten, der manchmal Unsinn redet. Und es gibt für die Wahlkampfstrategen in Berlin das Problem, dass Palmer aus der Bundesgeschäftsstelle offenbar nicht zu steuern ist, wie sich auch am Wochenende wieder am aktionistischen Getwittere der Kanzlerinkandidatin Baerbock und des Bundesgeschäftsführers Kellner gezeigt hat.
Palmer selbst begrüßt das eingeleitete Parteiausschlussverfahren, weil damit erstmals öffentlich die parteiinternen Rassismusvorwürfe auf ihre Substanz geprüft werden. Darum geht es jetzt in der Sache. Die weitaus größere Frage aber ist, ob die Grünen ihr Versprechen wahrmachen können, aus dem Zentrum der Gesellschaft heraus als liberale Kraft eine Allianz der Unterschiedlichen für gemeinsame Zukunftspolitik zu schmieden. Dafür müssen sie jene vertreten, deren Antirassismus klare sprachliche Regeln beinhaltet. Und jene, die Antirassisten sind, kein N-Wort benutzen, aber auch Angst bekommen, dass ein falscher Satz sie die Anstellung, Reputation oder Parteimitgliedschaft kosten könnte. Und Friedrich-Merz-Anhänger müssen sie übrigens auch politisch vertreten können.
Das Versprechen der Baerbock- und Habeck-Grünen ist es, Gesellschaft nicht normativ auf einen linksemanzipatorischen Kanon zu verengen, sondern ihre Vielfalt politisch fruchtbar zu machen. Der Umgang mit Boris Palmer ist dafür der Lackmustest.
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