Umfrage zu Folgen von #MeToo: Der falsche Schluss
Die #MeToo-Debatte hat aufgeklärt, aber auch zu einem Backlash geführt, zeigt eine Studie. Das Misstrauen gegenüber Kolleginnen steige an.
F ast zwei Jahre ist es her, dass die New York Times einen Artikel veröffentlichte, in dem viele Frauen dem US-Filmproduzenten Harvey Weinstein sexuelle Belästigung vorwarfen. Daraufhin kamen immer mehr Vorwürfe der sexualisierten Gewalt auf. Es entstand ein Hashtag und aus dem Hashtag eine internationale Bewegung. (Einige) Täter wurden verurteilt, Prominente traten von ihren Posten zurück, Beratungsstellen wurden eingeführt. Doch auch Kritik kam von vielen Seiten an #MeToo auf. Was bleibt, ist eine andauernde Debatte über patriarchale Strukturen, Macht und Gewalt, über Konsens und Respekt. Und die große Frage: Ist zwei Jahre nach Aufkommen der Debatte der große gesellschaftliche Wandel da?
Die Wissenschaftlerinnen Leanne Atwater und Rachel Sturm wollen mit ihrer aktuellen Studie eine (Teil-)Antwort darauf liefern und sie lautet: Nein, im Gegenteil. Mit der Fragestellung im Kopf, ob Frauen von der Debatte profitieren, kommen sie zu dem Ergebnis, dass die #MeToo-Bewegung zu einem Backlash geführt hat, in dem sie in den USA Misstrauen am Arbeitsplatz geschürt hat.
Dafür haben Atwater, Sturm und ihr Team in zwei getrennten Umfragen Anfang letzten Jahres 152 Männer und 303 Frauen aus verschiedenen Arbeitsbereichen befragt.
Überraschendstes und erfreulichstes Ergebnis: 77 Prozent der befragten Männer sagten, sie gingen jetzt vorsichtiger mit ihrem eigenen Verhalten um. Gleichzeitig sagten aber 10 Prozent von ihnen, dass sie nicht mehr dazu bereit seien, „attraktive Frauen“ einzustellen, 22 Prozent gaben an, Frauen von sozialen Aktivitäten im Arbeitskontext nun eher auszuschließen, und ein Drittel der Befragten sagte, dass sie Einzelbesprechungen mit Frauen vermeiden würden.
Steigerung des Backlashs
Da die Befragung schon kurz nach Aufkommen von #MeToo stattgefunden hat, haben die Wissenschaftlerinnen dieses Jahr noch ein Follow-up durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten eine Steigerung des letztgenannten Effekts. Beispielsweise stimmten nun schon doppelt so viele der befragten Männer der Aussage zu, dass sie nur ungern „attraktive Frauen“ einstellten.
Die Umfragen, deren aktualisierte Ergebnisse gerade in der Harvard Business Review veröffentlicht wurden, sind nicht repräsentativ. Sie verstärken allerdings ein Narrativ, das in Medien und Gesellschaft stetig wiederholt wird: Männer haben seit #MeToo Angst. Angst davor, dass ihnen irgendetwas vorgeworfen wird, was sie gar nicht getan haben. Doch diese Angst macht nun offenbar wieder Frauen zu den großen Verlierer*innen der Debatte.
Denn anstatt einen Schritt in Richtung Gleichberechtigung und ein Leben ohne Angst für Frauen zu erreichen, führt der Backlash der #MeToo-Debatte zu noch mehr Diskriminierung – zumindest am Arbeitsplatz. Zu diesem Schluss kommt auch Wissenschaftlerin Sturm: „Wenn Männer sagen, dass sie Frauen nicht mehr anstellen, nicht mehr auf Reisen schicken und von Aktivitäten ausschließen, ist das ein Rückschritt.“
Doch auch wenn die Studie einen gesellschaftlichen Rückschritt andeutet, ist die Schuld nicht der #MeToo-Debatte zuzuschieben. Vielmehr zeigt es, wie wichtig das Aufschreien der Frauen war und dass wir mit der Debatte noch nicht am Ende sind.
Immerhin – auch das zeigt die Studie – stimmen knapp 75 Prozent der befragten Frauen und Männer in ihrer Einschätzung überein, was genau sexuelle Belästigung und Missbrauch ist. Heißt: Das Verständnis ist da, nur die richtigen Schlüsse werden noch nicht flächendeckend gezogen.
Nun kann eine Studie noch nicht abschließend beurteilen, wie erfolgreich die #MeToo-Debatte ist. Doch klar ist, ein Wandel von einer patriarchalen hinzu einer gleichberechtigten Gesellschaft kann nicht in zwei Jahren vollzogen werden. Damit die Gesellschaft sich nicht rückwärts wandelt, sollen Frauen nun aber nicht wieder schweigen, sondern noch lauter werden. Und die Männer? Endlich richtig zuhören.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!