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Ukraine gibt Stahlwerk aufSoldaten ergeben sich

Nach wochenlangem Ausharren im belagerten ukrainischen Stahlwerk Asowstal in Mariupol sind 264 Soldaten evakuiert worden.

Ein Bild des russischen Verteidigungsministeriums von der Evakuierung am 17. Mai 2022 Foto: Russian Defense Ministry Press/ap

Berlin taz | Nun schweigen die Waffen am Stahlwerk Asowstal in Mariupol, die bislang längste Schlacht dieses Krieges scheint beendet zu sein. Soldaten mit weißen Armbändern nehmen andere Soldaten in Empfang, tasten diese nach Waffen ab und weisen ihnen den Weg in wartende Busse. Wer nicht mehr laufen kann, und das sind Dutzende, wird von vier Männern auf einer Trage in einen wartenden Bus getragen. Diese Bilder sind aus dem russischen Fernsehen und sie zeigen, dass sich die im Mariupoler Stahlwerk Asowstal verschanzten ukrainischen Soldaten ihren russischen Belagerern ergeben haben.

Zuvor hatte das ukrainische Oberkommando offensichtlich seine Leute im Werk aufgefordert, die Waffen niederzulegen. 53 schwer verwundete Soldaten wurden darauf ins russisch kontrollierte Nowoazowsk gefahren, 211 weitere nach Olenevka auf der Krim. Sie sollen später, so die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna We­re­schtschuk, gegen russische Gefangene ausgetauscht werden.

Nach Angaben des Generalstabs ist die Operation zur Evakuierung der im Werk Azowstal verbliebenen Soldaten noch nicht abgeschlossen. Während russische Medien von einer Gefangennahme der ukrainischen Militärs vom Regiment Asow, der Nationalgarde, der Polizei und den Kräften der freiwilligen Verteidigung „Teroborona“ sprechen, ist auf offizieller ukrainischer Seite von einer humanitären Aktion die Rede.

Klar ist aber auch: Ohne diese Aktion wären die Menschen auf dem Betriebsgelände von Asowstal, unterschiedlichen Schätzungen zufolge 600 bis 2.200 Personen, ums Leben gekommen, durch Hunger, Krankheit oder Bomben. Noch wenige Stunden vor der Aktion war das Werk, so berichtet strana.news, von russischer Seite mit Phosphorbomben angegriffen worden. Zuvor hatte Denis Prokopenko, Kommandeur des rechtsradikalen Asow-Regiments, ­erklärt, man sei bereit, den Befehl, Leben zu erhalten, auszuführen.

Verhöre beginnen schon bald

Dass es indes nicht nur um eine rein humanitäre Aktion geht, bei der das Leben von Menschen geschützt werden soll, wurde bald deutlich. Und dieses Mal scheinen die russischen Medien, die von einer Gefangennahme sprechen, näher an der Wahrheit zu sein als die ukrainische Seite. Schon am Morgen nach der Ankunft der ukrainischen Soldaten in einem Krankenhaus würden die ersten Verhöre beginnen, so die russische Journalistin Irina Kuksenkova vom staatlichen russischen Fernsehen.

Während die Kämpfe um Mariupol nun beendet sein dürften, gehen die Angriffe andernorts weiter. In der Nacht auf Dienstag ist die westukrainische Stadt Lwiw von mehreren russischen Raketen angegriffen worden. „Gerade einmal 20 Kilometer von der Grenze zur Europäischen Union entfernt“, berichtet der Bürgermeister von Lwiw, Andrij Sadowoj. Kaum zuvor in diesem Krieg, so Sadowoj, sei die Stadt gleichzeitig mit so vielen Raketen angegriffen worden. Der Luftabwehr sei es jedoch gelungen, alle Raketen abzufangen.

Im Gebiet Luhansk, im Osten der Ukraine, sind in der Nacht zum Dienstag zehn Menschen ums Leben gekommen. Hier, so Gouverneur Sergej Gajdaj auf seiner Facebook-Seite, kontrolliere die Ukraine nur noch zehn Prozent des Territoriums. Im Gebiet Saporischschja ist die Stadt Gulajpole von Russen beschossen worden. In der Region Sumy an der Grenze zu Russland wurden 70 Explosionen registriert.

Verhandlungen sind zum Erliegen gekommen

Unterdessen erklärte Michaj­lo Podoljak, Berater des Chefs der ukrainischen Präsidialadministration, gegenüber dem Internetportal NV, die ukrainisch-russischen Verhandlungen seien faktisch zum Erliegen gekommen, habe es doch seit dem Kommuniqué von Istanbul keinerlei entscheidenden Fortschritte gegeben.

Die russische gazeta.ru zitiert den stellvertretenden russischen Außenminister Andrei Rudenko, der ebenfalls erklärte, dass die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zum Erliegen gekommen seien. Die Schuld sieht er in Kiew. „Die Ukraine ist praktisch aus dem Verhandlungsprozess ausgestiegen“ so Rudenko. Kiew habe Moskau nicht auf einen Vertragsentwurf geantwortet, beschwert sich Rudenko.

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29 Kommentare

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  • Lustiger Frame. Sie ergeben sich, kapitulieren also, und werden "evakuiert". Sie kapitulieren ud gehen in Gefangenschaft weil sie nix mehrzu fressen hatten. Wie in Stalingrad.

  • "Schon am Morgen nach der Ankunft der ukrainischen Soldaten in einem Krankenhaus würden die ersten Verhöre beginnen, so die russische Journalistin Irina Kuksenkova vom staatlichen russischen Fernsehen."

    Von russischen Funktionsträgern "verhört" zu werden, klingt in meinen Ohren bedrohlich. Ich hoffe, dass sehr genau beobachtet wird / werden kann, wie es den Soldaten ergeht. Nach russischer Lesart handelt es sich nicht um normale Kriegsgefangene, sondern um Kriegsverbrecher.

  • Von "Evakuierung" zu schreiben, wenn Soldaten sich ergeben und in Kriegsgefangenschaft begeben ist euphemistisch. Wieso wird hier russische Kriegspropaganda nachgeplappert?



    Bitte ändert diese unerträgliche Bildunterschrift!

    • @Kassandra1911:

      Es ist andersherum: Die Ukrainer sprechen von "Evakuierung", die Russen von "sich ergeben".

      Ich finde, es hat was von beidem, da ja auch das Internationale Rote Kreuz als Beobachter dabei ist.

      Der Ausschlag dazu, wie man gewichtet ist: kommt es zu einem schnellen Austausch für die Mehrzahl oder alle oder bleiben die meisten vorerst oder dauerhaft gefangen, eventuell sogar nach Strafgerichtsurteilen in Gefängnissen.

  • Wikipedia: "...Nach 2014 wurden die rechtsextremen Strömungen im Regiment weitgehend entfernt bzw. nahmen nach Neurekrutierungen eine wesentlich weniger prominente Stellung ein; das Regiment wurde von seinem rechtsradikalen Gründer und seiner ideologischen Asow-Bewegung getrennt. Daher bewerten viele Beobachter das Asow-Regiment nun anders und sprechen von einer Eliteeinheit, die sich von ihrer ideologischen Vergangenheit gelöst habe. ..."

    • @Gerald Stolten:

      "Eliteeinheit, die sich von ihrer ideologischen Vergangenheit getrennt hat"

      - ich möchte lösen: KSK

    • 2G
      2284 (Profil gelöscht)
      @Gerald Stolten:

      Und 2018 dann so:

      www.queer.de/detai...p?article_id=31209

      Vielleicht nicht mehr offen faschistoid, aber immer noch homophob und autoritär.

      • @2284 (Profil gelöscht):

        Homophob und autoritär und dazu verdruckst faschistoid ist auch die derzeitige russische Regierung - die ukrainische sehr viel weniger!

        • 2G
          2284 (Profil gelöscht)
          @Volker Scheunert:

          Hab ich nie geleugnet. Die russische Reigierung kriegt halt gerade kein Waffen von diversen EU Staaten geliefert, die Ukrainische Regierung schon.



          Und Putin hin oder her, homophobe faschos bleiben homophobe faschos, die nun auch noch aus unseren öffentlichen Geldern mit Waffen versorgt werden.



          Da hilft aller whataboutism nix

      • @2284 (Profil gelöscht):

        Von einigen Deppen auf das ganze Regiment zu verallgemeinern, halte ich nicht für angemessen.



        Abgehen davon, dürften autoritäre Einstellungen bei Berufssoldaten wahrscheinlich wohl eher keine Seltenheit sein ...

  • Alles richtig gemacht in Asowstal. Der Weg ist nicht das Ziel, das Ziel ist der Weg.

    @Christoph Buck Genfer Konvention bei der Taz, weil die Taz nicht bereit ist, sich innerhalb von wenigen Wochen als NATO Mitglied direkt zur Verfügung zu stellen?

    @sachmah Kampfhandlungen einstellen, nachdem der Sondereinsatz zur Entnazifizierung der Ostukraine beendet ist. Was ist mit den anderen?

    Leute, ich bin ganz bei euch.

  • Genfer Konvention: "Kriegsgefangene dürfen nicht zur Schau gestellt werden und so" - alles klar bei euch?

    • @Christoph Buck:

      „Unter den Waffen schweigen die Gesetze.“ — Marcus Tullius Cicero, 52 v.Chr.

      „Waffen und Gesetze gedeihen nicht zusammen.“ — Gaius Julius Caesar, 100-44 v.Chr

      "O tempora o mores" — Marcus Tullius Cicero

      ...

    • 1G
      164 (Profil gelöscht)
      @Christoph Buck:

      Nun - zunächst mal hat die taz (hoffe ich) gar keine Kriegsgefangenen gemacht. Und dann glaube ich, das vom russischen Verteidigungsministerium verbreitete Foto dokumentiert, dass die Gefangenen in einem Bus abtransportiert werden. Das ist jetzt nicht wirklich ein entwürdigendes Zurschaustellen. Das geht wohl noch in Ordnung.

      • @164 (Profil gelöscht):

        Wenn hier nur Propaganda reproduziert wird, dann gehts ja nochmal.



        Die Personen unkenntlich zu machen wäre irgendwie zu viel verlangt, weil es ja garnicht die Gefangenen der taz sind ?

        • 1G
          164 (Profil gelöscht)
          @Christoph Buck:

          Ich kann mich irren, aber so wie ich das verstehe, bezieht sich die G.K. auf die Praxis Kriegsgefangene in entwürdigender Weise als Verlierer z.B. öffentlich durch die Straße zu treiben oder sie öffentlich zu verhören. Das sehe ich aber auf dem Bild gar nicht. Da sitzen Soldaten in augenscheinlich ganz ordentlicher Verfassung in einem normalen Reisebus.

          • @164 (Profil gelöscht):

            Und wurden sicher gefragt, ob sie etwas dagegen haben, fotografiert zu werden.

            • 1G
              164 (Profil gelöscht)
              @Jim Hawkins:

              Ja, wahrscheinlich nicht. Aber erstens haben die vermutlich gerade ganz andere Sorgen und 2.: sind die nicht jetzt als "heldenhafte Verteidiger von Asovstahl" Personen der Zeitgeschichte?

              • @164 (Profil gelöscht):

                Sicher haben die andere Sorgen, aber denkt man einmal an die Angehörigen, dann werden die wohl von solchen Bildern nicht begeistert sein.

                Man muss ja nicht alles bringen.

          • @164 (Profil gelöscht):

            Voll - aber man kann halt diskutieren, wo Entwürdigung anfängt... die Übergänge sind bekanntlich fließend. Einfacher wäre es, die Menschen zu verpixeln, um nicht im Graubereich zu landen. Dann wäre das ne klare Kiste.

      • @164 (Profil gelöscht):

        ja, sehe ich auch so. die Wünsche sollten dahin gehen, dass sie ordentlich behandelt und die Verletzten gut versorgt werden. Vor allem auch die Schwerstverletzten. Und das bald ein Austausch stattfindet.

        • @Waage69:

          Ich will mich mal nicht direkt in den Disput von Herrn Mertens und Herrn Buck einmischen, daher hänge ich das mal an meinen eigenen Beitrag an:

          Das ist wie es auf mich wirkt keine Zurschaustellung sondern eine Dokumentation.



          Ich wüsste auch deshalb wirklich nicht, warum man diesen Menschen das Gesicht verpixeln sollte.

          Gerade das fände ich eher respektlos bzw. in Anbetracht dessen, was sie ertragen haben ignorant:



          Wenn diese Leute nicht erhobenen Hauptes in die Gefangenschaft gehen dürfen, wer sollte es dann dürfen?

          • @Waage69:

            Sie bringen hier viel Ehrenhaftigkeit zur Sprache.

            Aber den Gefangenen wurde eine Gerichtsverhandlung in Aussicht gestellt.

            Kiew macht das Gleiche mit einigen russischen Gefangenen.

    • @Christoph Buck:

      Danke für den Kommentar! Sehr gut!

  • Wenn das rechte Asowbatallion nicht mehr existiert kann Russland ja jetzt die Kampfhandlungen einstellen. Und sich zurückziehen. Nach eigener Logik sind die Nazis ja jetzt weg.

    • @sachmah:

      1. Wo sagt die RF denn, dass nur bei Asow Nazis rumlaufen?

      2. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat in 2020 in einer Analyse festgestellt, dass seit dem Euromaidan bis dato eine wachsende Akzeptanz in der ukrainischen Öffentlichkeit für ultranationalustische, teils rechtsextreme Gruppierungen gibt. Also kurz, öffentliche Akzeptanz für Nazis. Hier noch die Quelle:



      www.bpb.de/themen/...ch-dem-euromaidan/

      3. Peace!

      • @Zebo:

        Aus der differenzierten Betrachtung der Bundeszentrale bauen Sie einen "Alles-Nazis"-Popanz auf. Ihr "Peace" ist angesichts der russischen Aggression m. E. reine Heuchelei.

      • @Zebo:

        Würde es wirklich um Ent-Nazifizierung gehen würde Russland im eigene Land die nächsten Jahrzehnte mehr als genug zu tun haben. Aber keine Sorge die Ukraine entnazifizieren die Russen, durchschnittlich um die 300-1000 Mann pro Tag. 10+ Generäle sind auch entnazifiziert und mit der Moskva gleich ein ganzes Schiff.

      • @Zebo:

        Zu 2.: Dasselbe wird regelmäßig in Deutschland festgestellt. Aber nirgends ging es offensichtlich so schnell, wie in Russland.