Ukraine-Russland-Konflikt: Nato erweitert Militärhilfe
Großbritannien startet eine „Luftbrücke“ in die Ukraine. Und liefert panzerabwehrenden Waffen „zur Selbstverteidigung“.
„Es ist wichtig, dass die Ukraine in der Lage ist, sich zu verteidigen“, sagte Großbritanniens Verteidigungsminister Ben Wallace am Montagabend im britischen Parlament. Er kündigte ein „neues Paket der Sicherheitsunterstützung“ für die Ukraine an: „Wir haben beschlossen, die Ukraine mit leichten panzerbrechenden Defensivwaffen zu beliefern. Eine kleine Zahl britischen Militärpersonals wird außerdem für einen kurzen Zeitraum eine erste Schulung durchführen.“ Die Briten würden nach dem Training nach Großbritannien zurückkehren.
Berichten zufolge handelt es sich bei den Lieferungen um Waffen wie die schultergestützte Panzerabwehrhandwaffe AT4. Ukrainische Soldaten könnten damit das Einrollen russischer Panzer zumindest stören. Wallace sagte: „Es handelt sich nicht um strategische Waffen und sie stellen keine Bedrohung für Russland dar. Sie sollen zur Selbstverteidigung eingesetzt werden.“
Für Großbritannien ist die militärische Unterstützung der Ukraine eine Verpflichtung. Das Vereinigte Königreich ist Garantiemacht der Ukraine gemäß dem Budapester Memorandum von 1994, als die vier Atommächte Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA der Ukraine für den Verzicht auf ihr sowjetisches Atomwaffenarsenal im Gegenzug die Souveränität und territoriale Unversehrtheit des Landes garantierten. Als Russland sich 2014 nicht an die Vereinbarung hielt, die Krim besetzte und Rebellen in der Ostukraine aufrüstete, blieben die drei westlichen Mächte aber tatenlos – dies wird heute weithin als Fehler gesehen. Nun soll die Ertüchtigung der ukrainischen Streitkräfte einen erneuten russischen Einmarsch möglichst unattraktiv gestalten.
Großbritannien baut die Marine der Ukraine neu auf
„Opferzahlen unter den ukrainischen Streitkräften verringern und ihre Kapazität und Widerstandsfähigkeit aufbauen“, nannte das britische Verteidigungsministerium bereits 2015 das Ziel seiner Militärhilfe für die Ukraine. Unter der damals gestarteten britischen „Operation Orbital“ laufen auch die neuen Lieferungen, die eine erhebliche Ausweitung der bisherigen Unterstützung darstellen. Parallel dazu baut Großbritannien die Marine der Ukraine neu auf, die bei der russischen Besetzung der Krim größtenteils verlorenging. Minenjagdboote, moderne Kriegsschiffe und schiffsbasierte Raketen sollen geliefert werden; dafür wurden im vergangenen November umgerechnet zwei Milliarden Euro bereitgestellt.
Mit all dem ist die britische Unterstützung fast so umfangreich wie die der USA, die seit 2014 Militärhilfe im Wert von über 2,2 Milliarden Euro an die Ukraine geleistet haben. Am interessantesten für Kiew sind dabei die vor wenigen Monaten gelieferten Javelin-Panzerabwehrraketen – mit einer Reichweite von bis zu 2.000 Metern, die modernsten der Welt. Dazu gibt es unter anderem Radar- und Überwachungstechnologie sowie zwei Patrouillenboote.
Noch weiter vor wagen sich die kleineren Nato-Partner Türkei und Kanada. Am 26. Oktober 2021 setzte die ukrainische Armee erstmals eine türkische Bayraktar-TB2-Drohne ein, um eine Scharfschützenposition der prorussischen Separatisten im Donbass auszuschalten. Es kam niemand zu Tode, aber die Stellung wurde zerstört – ein perfekter Einsatz.
Türkische Drohnen sollen nun auch unter Lizenz in der Ukraine hergestellt werden. Dies könnte der Regierung die Oberhand im Stellungskrieg im Donbass geben: Im Berg-Karabach-Krieg 2021 hatten sich die hochmodernen russischen Systeme zur elektronischen Kriegsführung, über die Armenien verfügte und die auch im Donbass stationiert sind, als untauglich gegen die von Aserbaidschan eingesetzten türkischen Drohnen erwiesen. Die Ukraine bemüht sich derzeit auch um türkische Investitionen in den zu sowjetischer Zeit führenden Militärflugzeughersteller Antonow, um eine neue Generation besonders großer Transportflugzeuge zu bauen.
Belarus kündigt Militärmanöver mit Russland an
Kanada wiederum hat als erster Nato-Staat Spezialkräfte in die Ukraine entsandt. Ein kanadischer Militärsprecher bestätigte diese Woche, Trainingseinsätze fänden seit 2020 statt und aktuell sei ein am 9. Januar dieses Jahres entsandtes Kontingent dort. Bereits 2019 belieferte Kanada die Ukraine mit Scharfschützengewehren, seit Jahren laufen Gespräche über den Bau einer kanadischen Munitions- und Kleinwaffenfabrik in der Ukraine.
Die Haltung Deutschlands, selbst keine Waffen an die Ukraine zu liefern und nach Möglichkeit auch die Lieferungen anderer Staaten zu verhindern, stößt in diesen Ländern wie auch in Kiew auf Unverständnis. Im November legte Deutschland sein Veto gegen neue Lieferungen von Scharfschützengewehren an die ukrainische Armee ein; die Regierung protestierte.
Für Erstaunen sorgt, dass die britischen Rüstungsflüge in die Ukraine seit Montag einen großen Bogen um Deutschland fliegen – sie nutzen den dänischen und polnischen Luftraum. In britischen Medien heißt es dazu, Deutschland habe eine Überfluggenehmigung verweigert. Dieser Darstellung widersprach am Dienstagmittag die britische Regierung. Auch das Bundesverteidigungsministerium in Berlin sagte, es habe keine entsprechende britische Anfrage gegeben. In deutschen Regierungskreisen hieß es, die Genehmigung sei von Dänemark schneller zu bekommen gewesen als von Deutschland, weil Großbritannien und die skandinavischen Länder eng zusammenarbeiten.
Nun bemühen sich die westlichen Regierungen verschärft, eine gemeinsame Linie gegenüber Russland zu vertreten und die vergangene Woche begonnenen Gespräche mit Moskau in die Länge zu ziehen, um es Russland zu erschweren, sie für gescheitert zu erklären. Am Dienstag reiste US-Außenminister Antony Blinken nach Kiew; er soll am Donnerstag nach Berlin weiterreisen und seine deutschen, britischen und französischen Amtskollegen treffen. In Berlin traf am Dienstag Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Bundeskanzler Olaf Scholz und sagte, er habe alle Mitglieder des Nato-Russland-Rates zu einer „Reihe von Treffen“ eingeladen. Derweil kündigte die Regierung von Belarus gemeinsame Militärmanöver mit Russland auf belarussischem Gebiet vom 10. bis 20. Februar an.
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