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Überlastung des SchulsystemsEin Teufelskreis namens Schule

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

Das Schulbarometer zeigt, welche Belastungen Corona für Leh­re­r:in­nen wie Schü­le­r:in­nen bedeutet. Bund und Länder müssen hier dringend handeln.

Eine Mehrheit der Leh­rkräfte ist so überlastet, dass sie ihren Job nicht mehr gut machen kann Foto: Sebastian Gollnow/dpa

W ie überfordert das System Schule ist, hätte schon vor der Pandemie Anlass zu großer Sorge bereiten müssen. Seit Jahren sind die Schulabbrecherquoten schmerzlich hoch. Pisa-Rankings belegen ein ums andere Mal, dass Deutschland das Versprechen auf Chancengleichheit immer noch nicht einlöst. Und Schul­lei­te­r:in­nen müssen sich viel zu viel mit Verwaltungsaufgaben und unbesetzten Stellen herumschlagen. Krisenmanager ist keine übertriebene Bezeichnung für ihren Job.

Und jetzt noch Corona. Wie sehr die mehr als zwei Jahre Pandemie zu Buche schlagen, zeigen aktuelle Daten des Deutschen Schulbarometers. Ausgebrannte Lehrkräfte, verhaltens­auffällige Kinder, fehlende Hilfsangebote. Was die rund 1.000 dafür befragten Leh­re­r:in­nen beobachten, ist im höchsten Maße alarmierend. Denn sie beschreiben einen Teufelskreis, den die Schulen ohne Hilfe von Bund und Ländern nicht werden durchbrechen können.

Eine überwiegende Mehrheit der Leh­re­r:in­nen ist so überlastet, dass sie ihren Job nicht mehr gut machen kann. Drei von vier Lehrkräften sagen, dass ihre Schule nicht mehr alle Schü­le­r:in­nen ausreichend unterstützen kann; auf deren Sorgen und Ängste kann gerade mal jede zweite Lehrkraft wirklich eingehen. Gleichzeitig stellen fast alle Päd­ago­g:in­nen fest, dass die Kinder im Vergleich zum Frühjahr 2020 aggressiver, unkonzentrierter, unruhiger geworden sind. Schul­psy­cho­lo­g:in­nen aber gibt es laut dem Schulbarometer nur an jeder dritten Schule.

Bund und Länder müssen dringend für Entlastung an Schulen sorgen. Dass dies keine leichte Aufgabe wird, wenn in vielen Regionen Fachkräfte fehlen, ist klar. Das heißt aber nicht, dass man gar nichts tun kann. Mit zusätzlichen Verwaltungsstellen würde den Schulleitungen Arbeit abgenommen. Auch müsste es möglich sein, an jeder Schule eine professionelle psychologische Betreuung anzubieten.

Schließlich muss die Politik die Weichen dafür stellen, dass Schulen künftig noch stärker aus multiprofessionellen Teams bestehen. Etwa indem mehr Er­zie­he­r:in­nen und Schul­so­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen ausgebildet und zu besseren Konditionen angestellt werden. Davon hätten alle was: Schü­le­r:in­nen, Lehrkräfte – und sie selbst.

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Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
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7 Kommentare

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  • Jeder, der im edukativen Bereich arbeitet, weiss, dass das System kurz vor dem Kollaps steht.

    Corona hat das systemimmanente Versagen und die Scheinheiligkeit der Kultuspolitik ins Rampenlicht gezerrt!

    Was den meisten Menschen nicht klar ist: Kultuspolitik wird in den Finanzministerien der Länder gemacht, denn das Geld wird dort zur Verfügung gestellt, was in die Kultushaushalte fließt.

    Und jeder weiss: will man das System retten oder gar verbessern, wird es Milliarden kosten und etliche Jahre dauern. Denn die Ausbildung neuer Lehrkräfte und anderer Mitarbeiter dauert nunmal.

    • @Roland Kölzer:

      Fast jedes öffentliche.System steht kurz vor dem Kollaps, wenn man genau hinsieht. Das ist auch kein Wunder nachdem jahrzehntelang maximal gespart und der Blick in die Zukunft konsequent vermieden wurde...

  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    Die Regierung stellt lieber 10.000 neue Verwaltungskräfte ein und bläht sich selber auf, das ist die Realität.

    Inkompetente Landesherren lassen und ließen auch in der Vergangenheit absolute Fehlentscheidungen (Beispiel NRW) von ihren Schulminister:innen einfach zu. In NRW hat es Kritik des Lehrpersonals gehagelt, doch Frau Gebauer ist immer noch im Amt!

    Da braucht man sich nicht wundern, wenn der Lehrerberuf immer unattraktiver wird: Burn-out und weitere psychische Erkrankungen gehören mittlerweile in dieser Berufsgruppe "zum guten Ton", sind überdimensional vertreten.

    Wenn hier nicht bald etwas geschieht, kann die Regierung in absehbarer Zeit "stolz sein" auf all die ver- und gestörten Schüler:innen, die dann von einer ohnehin miserablen Pisa-Studie weit entfernt sein werden...

    Es gibt nicht nur den Pflegenotstand, der Bildungsnotstand wird das nächste sein.

    Doch Hauptsache, Politiker kassieren ihre Diäten und laben sich an vollkommen überdimensionierten Privilegien.



    Verkehrte Welt, kann man da nur noch sagen.

    • @93851 (Profil gelöscht):

      Ex-Schulsenatorin Scheres erhält für ihre großartige Arbeit 6.000 € monatlich nach ihrem Ausscheiden!



      So geht das!

  • Oh je, was für ein komplexes Thema ! Ich kenne noch den Spruch aus meinen Hochschulzeiten: 'In der Rüstung sind sie fix, in der Bildung tun sie nix'. (Heute stellen wir fest: weder - noch) . Es ist nicht so, dass es an wissenschaftlicher Kompetenz fehlen würde. Leider ist der Apparat insgesamt zu schwerfällig und das Zusammenspiel zwischen Bund, der Länderkompetenz und die Zuständigkeit der Kommunen für die Ausstattung der Bildungsstätten auch deshalb so schwerfällig, weil zu viele Instanzen mit unterschiedlichen Etats mitwirken müssten. So fühlte sich niemand richtig angesprochen und damit wird es für die Klienten dieses Systems ein Glücksspiel, wie sie die richtige Vorbereitung für 'das Leben' mitnehmen. Auf jeden Fall das Nachsehen haben umso mehr die Kinder der ärmeren Bevölkerung, weil ihre Eltern eben nicht die Mittel aufbringen können, -wie eine IT-Ausstattung, die eine selbstständige Entwicklung neben der Schule fördert- und damit eine Karriere in einer Querdenker-Szene befördert. Gerade, nachdem so viele Ansätze nicht berücksichtigt wurden und die Motivation der wissenschaftlichen Begleiter damit fast eingeschlafen ist, wäre ein Bildungsgipfel, der auch in der Politik verstanden wird, notwendiger denn je. Können wir bei den Polen oder Ukrainern lernen ? Wie bekommen wir angesichts der Lehrergeneration, deren Eintritt in den Ruhestand die Lage noch einmal verschärft, möglichst viele Seiteneinsteiger in unser Bildungssystem ? Auch Improvisieren und das Einbringen von Erfahrungen aus einer beruflichen Praxis kann zu neuen Qualifikationen führen, Not macht erfinderisch!

  • Vor allen Dingen bräuchte man Zeit.

    Zeit, um darüber nachzudenken, was im Moment eigentlich wichtig ist.

    Die Vorschläge im Artikel gehen mir wieder zu sehr in Richtung "Optimierung des Lernprozesses".

    Ich würde mich gern mal mit meinen Schülern hinsetzen, den Noten- und Prüfungsdruck rausnehmen (die finden ja mit oder ohne Psychologen in unveränderter Weise statt) und gemeinsam überlegen, was wir sinnvoll fänden und was uns grad Freude machen könnte.

    Stattdessen klär ich sie weiter über die Schwächen der Weimarer Verfassung auf. Auch, wenn mir kaum noch jemand zuhört.

    Ist halt Abistoff im nächsten Jahr.

    • @Plewka Jürgen:

      Genau das Thema kommt mir allerdings politisch ganz aktuell vor.



      Auch wenn der Fokus vielleicht zu sehr auf den Verfassungstext statt auf die Verfassungspraxis gelegt wird - weil an Text leichter zu forschen ist...