piwik no script img

Überflug von G8-Protestcamp illegalTornado geht nach hinten los

Ein Gericht erklärt den Jet-Überflug eines G8-Protestcamps 2007 für rechtswidrig, Grüne fordern Konsequenzen. Die Verfahrensdauer sei „ein Unding“.

So sahen es wohl auch die Tornado-Flieger: das damalige G8-Protestcamp in Reddelich 2007 Foto: Michael Sohn, AP

BERLIN taz | Jan Philipp Albrecht kann sich noch gut erinnern, wie er damals, am 5. Juni 2007, aus dem Zelt krabbelte und plötzlich der Tornado über das Protestcamp donnerte. In nur gut 100 Metern Höhe rauschte der Flieger über die Demonstrierenden gegen das G8-Treffen in Heiligendamm, mit ohrenbetäubendem Lärm. „Das war eine Szene, die man nicht vergisst“, sagt Albrecht der taz. „Die Aktion sollte einschüchtern und war völlig unverhältnismäßig.“

Nun hat Albrecht auch das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern recht gegeben – und den Tornado-Flug für rechtswidrig erklärt. Der von der Polizei beauftragte Überflug des Protestcamps in Reddelich habe das Recht der Kläger auf Versammlungsfreiheit verletzt, heißt es in einem Beschluss vom Mittwochnachmittag.

Albrecht, der damals mit der Grünen Jugend an den Protesten teilnahm, hatte die Klage gegen das Land Mecklenburg-Vorpommern mit seiner Parteikollegin Paula Riester durchgefochten. Das Problem nur: Bis zu diesem letztinstanzlichen Beschluss brauchte es 14 Jahre. Heute ist Albrecht längst Umweltminister in Schleswig-Holstein.

14 Jahre bis zum Beschluss stehe „in keinem Verhältnis“

„Die Entscheidung ist ein wichtiges Signal für die Durchsetzung von Grundrechten“, freut sich Albrecht dennoch. „Menschen dürfen keine Angst haben, auf Demonstrationen zu gehen. Und die Behörden müssen wissen, dass es Grenzen gibt.“ Die 14 Jahre bis zur Entscheidung aber beklagt auch Albrecht. „Das steht in keinem Verhältnis. Gerade in so sensiblen Bereichen wie den Grundrechten müssen solche Verfahren beschleunigt werden.“

Einen Tag vor Beginn des G8-Gipfels 2007 hatte die Landespolizei die Bundeswehr beauftragt, mit ihrem Tornado „in Amtshilfe“ Fotos des Camps zu machen. Mehrere Tausend Demonstrierende waren damals angereist. Offiziell hieß es, man wolle nach Erddepots für Werkzeuge Ausschau halten. Auch das Oberverwaltungsgericht sieht in dem Überflug nun eine einschüchternde Wirkung. Eine von Albrecht und Riester ebenfalls beklagte Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung wies es hingegen zurück. Eine Identifizierung einzelner Personen sei auf den Fotos nicht möglich gewesen.

Ströbele fordert Konsequenzen für Verantwortliche

Auch Grünen-Urgestein Hans-Christian Ströbele, der damals ebenfalls demonstriert hatte und die Klage mit vorantrieb, freut sich über die Entscheidung. „Es war damals sofort klar, dass das grob rechtswidrig war und nur als Einschüchterung zu verstehen. Nun haben wir dafür auch die Bestätigung.“ Die lange Verfahrensdauer aber sei „ein Unding“, so Ströbele zur taz. Auch wenn der Vorfall inzwischen schon lange zurückliege, müssten die damals Verantwortlichen „zur Rechenschaft gezogen“ werden.

Bei den Behörden aber bleibt man vage. Für die Bundeswehr verwies eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums auf das Land Mecklenburg-Vorpommern, gegen das geklagt worden sei. Auch blieben die genauen Entscheidungsgründe abzuwarten. Gleiches betonte auch eine Sprecherin des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern. Liege das schriftliche Urteil vor, werde man prüfen, ob sich „neue Handlungs- und Regelungsbedarfe ergeben“, sagte sie der taz. „Es ist selbstverständlich, dass die Landespolizei die geltenden Rechtsprechungen in seine zukünftigen Maßnahmen, Entscheidungen und in die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr einfließen lässt.“

Der Rechtsstreit zog sich auch deshalb so lange hin, weil er über mehrere Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht ging und dann zurück zum Oberverwaltungsgericht. Auch für Grünen-Umweltminister Albrecht darf die Entscheidung aber für künftige Großeinsätze nicht folgenlos bleiben. „Der Trend, Demonstrierende immer weiter von internationalen Gipfeln fernzuhalten, muss ein Ende haben. Sicherheit darf eine friedliche Versammlungsfreiheit nicht verhindern.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Wann werden die jeweiligen verantwortlichen Staatsanwälte befragt, wann sie nun gegen die Verantwortlichen vorgehen.



    Oder anderes gesagt, weil hier soviele Akteure zumeist aus wenigen Parteien (die die Regierungen stellen) aktiv sind, könnte man ja auch eine "kriminelle Vereinigung" dahintersehen. Ich habe gehört bei manch anderem Fall des Generalbundestaatsanwalt reicht es aus, das eine Frau gesichtet wurde, das dies als Grundlage für ein Linksterrorismus-Prozess benutzt wird.

    Aber der Generalbundesstaatanwalt hat sicher mit den bösen Linksextremisten noch zu tun, da kann er weder Faschoaktivitäten noch antidemokratische Aktivitäten der Landesregierungen einfach nicht mehr in seinen Zeitplan integrieren...

  • Dann mal was genauer zum mehr als gut Abgehangenen!;(



    www.mv-justiz.de/g...a.pressemitteilung

    “… Bei dem Einsatz des Bundeswehr-Kampfflugzeugs, der einen Tag vor dem Beginn des G8-Gipfels in Heiligendamm im Wege der Amtshilfe für die Polizei des beklagten Landes Mecklenburg-Vorpommern erfolgte, wurde das Camp in einem Tiefflug von 150 m bzw. 114 m überflogen. Dabei wurden durch die im Flugzeug installierte Kameratechnik Lichtbilder, die keine Identifizierung einzelner Personen ermöglichten, gefertigt und an die Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern weitergeleitet.



    Der Senat hat diesen Überflug als rechtswidrigen Eingriff in das Grundrecht der Kläger auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG erachtet und insoweit der Klage stattgegeben. Soweit sich die Kläger auch auf eine Verletzung ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG berufen haben, hatten die Klagen dagegen keinen Erfolg.



    Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor.“



    & etwas knapper =>



    www.mv-justiz.de/s...p?datei_id=1639661

    unterm—— btw but not only —



    Als einer der nicht im Camp - aber vor Ort (psst als RA im seriösen Outfit;)



    Möchte ich anmerken - daß damit der Ungeheuerlichkeiten nicht genug waren



    Daß die staatlichen Kräfte - welcher Zugehörigkeit im Einzelnen auch - sich gezielt als agents provacteures sich in Gruppierungen eingeschlichen hatten.



    Aber. Dumm auffielen - weil sie Kutten noch mit Liegefalten & die falschen - nicht szenetypischen Sonnenbrillen trugen! War es ja nicht genug. Nein!



    Die zwei ”rein zufällig“ auf der sonst leer gefegten Pier verbliebenen Autos - abgefackelt ”rein zufällig“ vor dem TV-Turm des ZDF - sprechen eine deutliche antidemokratische bürgerfeindliche Sprache! Aber. Schlimmer geht immer!

    gleich ff

    • @Lowandorder:

      gleich? - aber jetzt funzts

      ff



      Denn. Die gezielte “Drauffahrt“ mittels eines BW-Schiffes auf besetzte Greenpeace-Gummibote mit der im 📺 klar erkennbaren Absicht diese “zu Versenken“ mit in Kauf genommener Lebensgefahr stellte ersichtlich angesichts des eingesetzten Mittels - einen terroristischen Staatsakt dar.



      Der noch jedem Kapitän zu recht die Lizenz auf Lebenszeit gekostet hätte!



      (Ob man das staatliche Vorgehen strafrechtlich als mehrfachen versuchten Mord oder Totschlag einordnet - ist hier ohne Belang).

      Das alles anlässlich der Wahrnehmung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs&Meinungsfreiheit - “dem Unterpfand unserer Demokratie“ (O-Ton Karlsruhe im Brokdorf-Beschluß!) durch die Bürger dieses Staates - dem Souverän!



      Aber unsere Bediensteten - von Polizei Schlapphüte bis Politikaster - spielen mit diesen Verfassungsgarantien kaltschnäuzig & gezielt Fußball. Newahr



      Unfaßbar! Aber Normal •

      Ende des Vorstehenden

  • In reddelich finden polizei und bundeswehr nichts dabei ein protestcamp mit zwei tornado-kampfbombern in einer höhe unterhalb von 150 metern zu überfliegen Polizeiführung und verteidigungsminister begründen dies bauernschlau mit einer amtshilfe zur erstellung von luftbildern.

    Im hambacher forst hetzt die nrw-landesregierung unter einem vorwand tausende polizisten in einen mehr als eine million arbeitsstunden dauernden rechtswidrigen großeinsatz. Der innenminister Reul tönt scharfmacherisch: „Sie wollen nicht die Bäume retten, sondern unseren Staat abschaffen“. Dabei ist es der cdu-mann reul, der in diesen wochen unseren demokratischen freiheitlichen rechtsstaat abschafft. Mehr als zehntausend friedlich demonstrierende werden rechtswidrigen polizeilichen maßnahmen, werden unmittelbarem zwang ausgesetzt. Damit unterstützen Laschet und Reul das profitinteresse der rwe.

    Wenn ich als bürger dieses landes weiterhin auf artikel 20 des grundgesetzes vertrauen soll, dann hätte ich gern eine selbstkritische aufarbeitung von der obersten polizeiführung zu solch rechtswidrigen polizeieinsätzen. Von politikern des typs Laschet, Reul, Seehofer & Co. ist kritische selbstreflexion nicht zu erwarten. Wenn repräsentanten unseres staates keinen respekt vor den gesetzen unseres landes haben, was unterscheidet einen Armin Laschet dann noch von einem Viktor Orbán, einem Recep Tayyip Erdoğan, einem Aljaksandr Lukaschenka?

    Wo bleibt in diesem traurigen spiel die verantwortung der polizeiführung? Wie kann ich dem staatlichen gewaltmonopol vertrauen, wenn es niemals kritische äußerungen von der polizei gibt?

    Art. 20 gg verspricht: "Alle staatsgewalt geht vom volke aus. Sie wird ...durch besondere organe der ...vollziehenden gewalt ... ausgeübt... die vollziehende gewalt (ist) an gesetz und recht gebunden."



    Dort steht aber auch:



    " Gegen jeden, der es unternimmt, diese ordnung zu beseitigen, haben alle deutschen das recht zum widerstand, wenn andere abhilfe nicht möglich ist."

  • Wie mensch bei G20/Hamburg sehen kann hat die Polizei riesige Fortschritte gemacht. Da ist sie gänzlich ohne [1] Gewalt ausgekommen.

    Sagt zumindest Olli Scholz.

    [1] taz.de/Kommentar-u...ferspray/!5527531/